1765 wurde im deutschen Sprachraum in Wien die erste tiermedizinische Hochschule, 1778 die TIHO Hannover als Rosstierschule gegründet. Das Veterinärmedizinhistorische Museum der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover ist heute hier beheimatet. Prof. Dr. Dr. Johann Schäffer leitet es seit 1991 und außerdem das Fachgebiet „Geschichte der Veterinärmedizin und der Haustiere“ ebenso wie das „Hochschularchiv“ der TIHO. Seit 1992 führte er zudem die Fachgruppe Geschichte der Veterinärmedizin.
Die forscht erstens zur „Geschichte, Theorie und Ethik der Tiermedizin“ wie zur „Geschichte der Haustiere“, fördert diese Arbeit auf nationaler Ebene und verbessert die Fortbildung dazu in Inhalt und Methoden. Zweitens professionalisiert die Fachgruppe die Geschichte der Veterinärmedizin durch interdisziplinäre Zusammenarbeit, um das Fach ebenso zu verankern wie die Geschichte der Humanmedizin – in der Wissenschaft und als Institution.
Inhaltsverzeichnis
Verbindung von Geschichtsforschung und Lehre
Dieses Museum war weltweit das erste seiner Art und die Initialzündung für heute um die 40 solcher Fachmuseen. Das alte Apothekenhaus der Hochschule beherbergt heute die Ausstellung, ist durch Schäffers Professur direkt mit der TIHO verknüpft und bietet Informationen auch für fachfremde Besucher. Eine solche Verbindung von Geschichtsforschung, Lehre und Dienstleistung gibt es in der Tiermedizin an keinem anderen Ort Europas.
Promovierende stellen die Ergebnisse ihrer Forschung auf den Tagungen der DVG-Fachgruppe Geschichte vor, und die Tagungsberichte sind inzwischen unverzichtbar für die Historiographie der Tiermedizin.
Das Museum zeigt mehr als 650 Exponate, in den Magazinen lagern um die 6500 Objekte: Geräte, Instrumente, Dokumente, Schriften und Bilder aus allen Bereichen der Veterinärkunde. 1995 kam eine Abteilung für Militärgeschichte hinzu.
Das Konzept richtet sich nach den Prinzipien wissenschaftlicher Museen: Sammeln, Bewahren, Ausstellen, Erforschen und Unterrichten; es ist zwar öffentlich zugänglich, aber nicht öffentlich. Studierende der Tiermedizin erhalten Einblicke in die Museumsarbeit; Besucher und Schulklassen profitieren von Führungen – sowohl allgemein wie auch zu speziellen Themen.1
Tiermedizin – eine alte Geschichte
Die Geschichte der Tiermedizin wirft nicht nur ein Licht auf historische Methoden der Heilung, sondern auch darüber, wie Mensch, Tier und Welt gedacht wurden.Seit Menschen Tiere domestizierten, kümmerten sie sich vermutlich um deren Krankheiten und behandelten Wunden. Die alten Ägypter bildeten zum Beispiel Geburt und Fortpflanzung von Tieren ab.
Den ersten Beleg für Tiermedizin bieten Bullenknochen: Die zeigen, dass Rinder kastriert wurden. Ein ägyptischer Papyrus von Kahun von 1850 v. Chr verweist darauf, dass die Ägypter Tierheilkunde praktizierten, Diagnosen, Symptome und Therapien kannten, und mehrere Tierarten behandelten: Rinder, Gänse und sogar Fische.
Hippokrates (460 bis 377 v. Chr.) begründete die empirische Medizin und gab damit auch die „Denk-Instrumente“, um Tiere zu heilen.
Aristoteles (384-322 v. Chr.) entwarf eine Hierarchie: Ganz oben standen die Götter, dann die Menschen, darunter die Tiere, unter ihnen die Pflanzen und zuletzt die anorganische Materie.
Diese Wertung bestimmte das Denken des Abendlandes – bis heute; Schäffer erläutert dies an der Stellung des Tierarztes: „Humanmediziner können beim Militär den Rang eines Generals erreichen, Tiermediziner bis heute nur den Rang eines Obersts. Der Menschen behandelnde Arzt stand in der Skala von Aristoteles zwischen Mensch und Gott, der Tierarzt zwischen Mensch und Tier.“ 2
Aristoteles beschrieb Tollwut, Fußgicht wie Milzbrand und gab Anleitungen zum Kastrieren. In seiner historia animalum widmete er sich explizit auch Tierkrankheiten.
Der römische Dichter P. Vergil (70-19 v. Chr.) schrieb in seiner georgica auch über Tiermedizin. Er skizzierte Schafräude, Klauenseuche, Milzbrand, Viehseuche und Schweineseuche. Bei den letzten beiden ist nicht klar, um welche Krankheiten es sich handelt.3
Die Säftelehre
Tier- wie Humanmedizin gründeten sich auf die Humoraltherapie, die Lehre von den Körpersäften. Hippokrates hatte sie begründet. Demnach gab es vier Säfte, nämlich Blut (sanguis), Schleim (phlegma), gelbe Galle (chole) und schwarze Galle (melanchole), die den vier Elementen Feuer, Erde, Luft und Wasser zugeordnet waren und vier Zuständen entsprachen: heiß, kalt, feucht und trocken. Gesund zu sein bedeutet, dass diese Säfte im Gleichgewicht (Eukrasie) sind – bei Mensch und Tier. Bis heute verwenden wir diese Begriffe, um Typen von Menschen zu beschreiben: Choleriker, Melancholiker, Phlegmatiker und Sanguiniker.
Der Aderlass (Phlebotomie) diente dazu, das Gleichgewicht herzustellen, und das Blut wurde nahe an der erkrankten Körperstelle entnommen. Das Brennen (Kauterisierung) stammte ebenfalls aus der Säftelehre: Aus der „heißen“ Wunde sollten die krank machenden Säfte austreten. Bei Fieber wiederum musste das „Feuer“ gekühlt werden – mittels feuchter Tücher oder Eis.4
Rossärzte und Stallmeister
Die Araber hatten ihr Weltreich auf dem Pferderücken erobert und spezialisierten sich auf Pferdeheilkunde: Die Völkerwanderung brachte in Westrom die antike (Tier-) Medizin in Vergessenheit; in Byzanz blieb dieses Wissen jedoch erhalten, und später übersetzten die Muslime die Quellen der Römer und Griechen ins Arabische. An die Stelle des griechischen hippiatros (Pferdearzt) trat der arabische baitar. Die Araber verfassten Bücher über Krankheiten der Pferde, Rinder, Kamele und Schafe.
Im christlichen Europa vermischte sich derweil der Aberglaube, dass Dämonen Tierseuchen auslösen mit sinnvoller Heilkunde. Hildegard von Bingen (1098 – 1179) beschrieb Tierkrankheiten, für die sie das Fabeltier Basilisk verantwortlich machte, welches aus einem Schlangenei schlüpfte, das ein Hahn ausgebrütet hatte. Tränke aus Wisenthorn und Luchsblut sollten ihr zufolge Viehseuchen heilen. Für kranke Schweine empfahl sie Schneckenhäuser, Dill und gekochte Brennessel.
Die wissenschaftliche Tiermedizin im Mittelalter Europas begann mit dem deutschen Kaiser Friedrich II von Hohenstaufen (1194-1250). Er hatte die Unsterblichkeit der Seele bezweifelt und die Macht des Kaisers mit der des Papstes gleich gesetzt; Papst Gregor hatte ihn deshalb 1227 zur Buße auf einen Kreuzzug nach Jerusalem geschickt. Statt die Muslime aber zu bekämpfen, schloss der kritische Kaiser mit ihnen Freundschaft, studierte die von den Arabern bewahrte antike Philosophie, lernte die empirische Methode, versöhnte sich mit dem Sultan Al Khamil und kam mit einer Menagerie nach Europa zurück.
Dieser frühe Aufklärer verfasste Bücher zur Heilung von Pferden, Falken wie Jagdhunden und gilt als Wegbereiter einer Tiermedizin, die Schlüsse aus Beobachtungen zieht und magische Erklärungen ablehnt. Friedrich führte die Falkenhaube im Abendland ein und verfasste das Standardwerk „De arte venandi cum avibus“. („Über die Kunst zu beizen“). Seine Schriften zur Vogelkunde verblüffen durch realistische Abbildungen der Tiere, die heutigen Bestimmungsbüchern nicht nachstehen.
Jordanus Ruffus, einer seiner Stallmeister, schrieb ein Buch über Pferdemedizin; Aderlass und Kauterisieren zeigen ihn als Verfechter der Säftelehre.Meister Albrant arbeitete ebenfalls bei Friedrich II als Pferdearzt und schrieb ein weiteres Handbuch zu deren Heilkunde. Wie sein Kaiser verzichtete er auf die damals gängigen Zaubersprüche. Sein „Rossarzneibüchlein“ blieb bis in das 18. Jh. im Umlauf und wurde das wichtigste Handbuch zur Pferdemedizin.5 Ruffus und Albrant begründeten die berufsmäßige Tiermedizin der Stallmeister der höfischen Gestüte.
Die Gesundheit der Pferde war ein entscheidender Machtfaktor: Pferdeseuchen und damit der Zusammenbruch der Kavallerie entschieden nämlich Kriege. Die Pferdeärzte waren hohe Angestellte des Hofes; dieses Privileg prägte die konservative Mentalität dieser Spezialisten bis in das 20. Jh..
Die hohe Zeit der Kavallerie war zwar mit dem ersten Weltkrieg vorbei; doch gerade da setzte sich die Erkenntnis durch, Zahnmedizin bei Pferden oberste Priorität einzuräumen, da Pferde mit Zahnweh nicht kämpften. Pferdemedizin hatte noch vor wenigen Jahrzehnten mit privater Zuneigung wenig zu tun; erst gegen 1950 setzte sich der Traktor bei den Bauern durch – bis dahin war das Pferd ein existentielles Arbeitstier.
Tierseuchen und Schmutzmedizin
Tierkrankheiten wie Wurmbefall, Rotz und Milzbrand waren auch im Mittelalter bekannt; allerdings mutet die Behandlung oft widersinnig an, was unter anderem am Unwissen über Viren und Bakterien lag. So vermutete man den Tollwurm, einen Zungenmuskel des Hundes, als Auslöser der Tollwut und schnitt ihn heraus. Schweinegebete, auf Brotscheiben geschrieben, sollten vor Rotz und Fieber schützen.
Die falsche Interpretation der Symptome der Tollwut bedingte die Vorstellung, dass sich die Kranken in Hunde oder Wölfe verwandelten und befruchtete so mutmaßlich den Glauben an Werwölfe.6 St. Hubertus, der Schutzpatron der Jagd sollte die „Hundswuth“ heilen. „Hubertusschlüssel“, auf Mensch und Hund gelegt, sollten gegen die Krankheit helfen. Eine gängige „Therapie“ bestand darin, die infizierten Hunde und Menschen tot zu schlagen. Mal wurden die erkrankten Menschen an das Bett gefesselt und mit Decken erstickt, oder ihnen wurden die Adern zerschnitten.7
Die so genannte „Schmutzmedizin“ für Tier und Mensch war die Apotheke der kleinen Leute. Kot von Tieren und Menschen, Blut, Haare, Ohrenschmalz und verfaultes Obst bildeten die Grundlage. Dazu kamen Arzneipflanzen, die wir auch heute noch verwenden: Baldrian, Kamille oder Salbei. Gegen Krankheiten der Schweine sollte gekochtes Pferdefleisch, die Asche verbrannter Frösche und Eisenkraut helfen.
Die Bauern wussten, dass kranke Tiere die Gesunden ansteckten und isolierten sie. Gegen Viehseuchen waren sie dennoch machtlos: Vom 16. bis 18. Jh rafften Epidemien immer wieder fast die gesamten Nutztiere Europas dahin: Rinderpest, Milzbrand, Schafpocken, Rotz, Maul- und Klauenseuche ebenso wie die Tollwut. Klerus und Landvolk glaubten fest, dass Seuchen Strafen Gottes seien und beäugten rationalere Therapien mit Argwohn – daraus wurde in der frühen Neuzeit schnell ein Hexenprozess.
Petrus de Crescentiis (1230-1321) schlug für kranke Schweine vor, ihnen zerstoßene Lorbeeren, Kleie und Sauerteig zu geben. Wegweisend war aber sein Hinweis auf die Sauberkeit: Die Ställe müssten täglich gereinigt, und die Schweine in Salzwasser gebadet werden. Seuchen verbreiteten sich im Mittelalter nämlich vor allem wegen der grauenhaften Hygiene.8
Sauschneider und Scharfrichter
Tiermedizin fächerte sich wie die Humanmedizin weit auf. Studierte behandelten Tiere der Herrschenden wie Jagdfalken, Jagdhunde und Reitpferde. Medizinpraktiker wie Henker, Metzger, Abdecker und Hirten kümmerten sich hingegen um die Nutztiere des Volkes.
Kastrieren diente dazu, die Tiere zu mästen. Das Fleisch von Ochsen und Kapaunen galt als zart; das Fleisch von unkastrierten Ebern ist ungenießbar. Wallache und Ochsen sind zahmer als unkastrierte Hengste und Bullen. Das Entmannen war brutal, aber einfach. Stallknechte und Hirten durchtrennten die Samenstränge mit Messern oder Scheren, zerquetschten die Hoden mit Steinen oder Zangen. Es gab indessen auch Kastrierzangen und -klemmen. Aber Sauschneider kastrierten auch Sauen, um die Befruchtung durch Wildeber zu verhindern – sie verstanden sich also auf Chirugie.
Tierheilkunde unterlag Berufen, die wir heute kaum damit in Verbindung bringen: Metzgern, Scharfrichtern, Abdeckern, Schmieden, Hirten, Förstern und Jägern. Förster und Jäger behandelten Verletzungen der Jagdhunde. Metzger oblag die Fleischbeschau und Lebend-Diagnose. Abdecker (Wasenmeister) und Tierheiler war oft der gleiche Beruf. Der Münchner Wasenmeister Bartholomäus Deibler genoss zum Beispiel solches Ansehen, dass er auch die Rösser der städtischen Oberklasse kurierte; der Scharfrichter Hans Stadler behandelte Pferde wie Menschen mit seinem Kräutertee.
Niemand kannte die Krankheiten der Tiere besser als die Abdecker, die die Kadaver von Tieren beseitigten, die an diesen Krankheiten gestorben waren. Diese Tierkörperverwerter machten auch Geschäfte mit dem Aas. Bis zur Fleischbeschau durch amtliche Veterinärmediziner war die Essbarkeit von Fleisch eine Sache des Geldbeutels. Noch 1789 berichtete der Abdecker Adam Kuisl das Fleisch von „kranck Vieh“ in die Wirtshäuser geliefert wurde.9
Die Hirten standen den Stallmeistern in der sozialen Tierheilerskala gegenüber. Wie die Abdecker und Scharfrichter waren sie, die mit Kadavern hantierten, der schwarzen Magie verdächtig. Hirten führten das Vieh draußen in der Natur, wo die Wölfe und Waldräuber der Wirklichkeit, und die Nachtgespenster der Fantasie ihr Zuhause hatten Sie lebten nicht nur außerhalb der Kontrolle der Obrigkeit, sondern begegneten dem Tod, verwerteten und begruben gestorbene Tiere. Hirten bewahrten das Erfahrungswissen über die Heilkräfte der Natur, in einer Zeit, als die Kirche die empirische Forschung in den Bereich des Teufels verbannte.
Die Hirten verkauften neben rational wirksamen Mitteln den Wolfsbann, legten also einen Schutzzauber auf die Herden, damit die Wölfe fern blieben. Mit dem Hexenwahn geriet Zauber in das Reich des Teufels: Der Wolfsbanner wurde zum Werwolf, der helfende Hirte zum Hexer, der in Tiergestalt Kinder fraß. Die Gegenmedizin der Außenseiter stellte durch ihren Erfolg die Allmacht der Kirche in Frage, und Hirten, die unter der Folter gestanden, in Wolfsgestalt gewütet zu haben, starben auf dem Scheiterhaufen.
Ein „Beleg“ wie die Hexensalbe ließ sich leicht finden, denn Salben hatten die Tierheiler zu Genüge. Der Hirte Henn Knie aus dem Westerwald gestand, der Teufel habe ihn mit einer scharfen Salbe eingerieben, ihm einen weißen Pelz übergeworfen, und er sei „mit seinen Sinnen und Gedanken dermaßen beschaffen gewesen (…) als ob er alles niederreißen müsste.“ Den Wolf meinte er zu vertreiben, indem er ein Brot buk mit der Formel „Dem leidigen Waldhund, schließe ich zu seinen Mundt, dass er mein Viehe nicht erbeiße, oder auch nicht angreife.“
Zum Beispiel wurde 1600 Rolzer Bestgen als Werwolf hingerichtet: Neben dem Wolfsbann benutzte der Hirte auch Zauber, um Geschwülste bei Pferden und Schweinen zu heilen. Der Alte drohte allerdings tatsächlich: Seinen Lebensunterhalt bestritt er, indem er Schweinen das Evangelium vorlas. Wenn er dafür kein Geld bekam, fluchte er, den Wolf auf Fohlen zu jagen.10
Der üble Ruf derjenigen, die mit toten Tieren arbeiteten hielt sich über Jahrhunderte. König George III verfasste 1778 die Gründungsurkunde der TIHO als „Roß-Arßney-Schule“. Er schrieb: „Wann nun bey einer solchen Schule (…) zu Erreichung des Nutzens ganß unausweichlich nothwendig ist, Cörper gefallener Thiere zu zergliedern, (…) und Lehrern (…) der Roß – und Vieh-Arßney-Schule diesethalben einst Vorwürfe gemachet werden; So wollen wir zwar hoffen, daß gesittete und verständige Leute (…) dessen sich von selbst entstehen und enthalten.“11
Tierärzte im Krieg
Die militärgeschichtliche Ausstellung widmet sich den Veterinärmedizinern bei der Armee. Dort spielten sie eine wesentliche Aufgabe bei der Versorgung der Truppe. Der erste Weltkrieg hatte zwar gezeigt, dass die Zeit der Kavallerie als Kriegswaffe vorbei war. Doch als Reit-, Lasten- und Zugtier dienten Pferde in Massen der deutschen Wehrmacht 1939. Pferde zogen Maschinengewehre und leichtere Geschütze, trugen Kabelrollen und Funkapparate. An der Ostfront waren die Pferdewagen oft die einzigen Transportmittel, nachdem die Motoren ausfielen – die Wehrmacht setzte insgesamt 2800 000 Pferde ein. Bis 1941 waren über 1500 000 von ihnen gestorben.
Veterinäre versorgten verletzte wie kranke Pferde. Sie brachten sie von der Truppe zu einem Sammelplatz einige Kilometer hinter der Front, mit Pferdetransportern zur Veterinärkompanie, und bei schweren Fällen in das Pferdelazarett.
Kriegsveterinäre der Wehrmacht bekämpften Seuchen, sorgten für den Gasschutz der Armeetiere, versorgten und pflegten kranke wie verletzte Tiere der Wehrmacht ebenso versorgten sie die Tiere der Zivilisten im Gebiet der Truppe; sie beschlugen die Hufe; sie kontrollierten die Futtermittel; sie beschauten das Schlachtvieh und Fleisch der Soldaten; sie beseitigten und verwerteten Tierkörper im Operationsgebiet, und sie brachten die Tiere der Truppe unter.
Die Geschichtsforschung zur Tiermedizin in Hannover
Die Geschichte der Tiermedizin gehörte in Hannover schon 1881 zum Unterrichtsstoff. Heute führt eine Vorlesung in die „Geschichte der Veterinärmedizin“ und ein „Veterinärmedizinhistorisches Seminar“ in die Methoden der Geisteswissenschaft ein.
Die Themen sind vielfältig: Von der Tierheilkunde des alten Orients, über das Mensch-Tier-Verhältnis im antiken Ägypten bis zur Zeitgeschichte: Tiermedizin im Nationalsozialismus oder der DDR. Die Geschichte der Haus- und Nutztiere stellt dabei einen eigenen Block. Schäffers Arbeiten allein reichen von „Pferdeheilkunde in Förster- und Jägerhand“ über „Die Rolle und tierärztliche Behandlung von Hunden im ersten Weltkrieg“ bis zu „Mit Schlange und Totenkopf – Veterinäre in der SS“.
Forschende können auf einen reichen Fundus im Museumsmagazin, Hochschularchiv und der militärgeschichtlichen Sammlung zurück greifen. Dazu gehören Kupierschablonen, die Hunden ins Ohr gelegt wurden und Darstellungen des Mäuselns bei Pferden: Auch Pferden wurden nämlich die Ohren kupiert – wegen der falschen Vorstellung, das würde den Luftwiderstand verringern.
Das Embryoton für Rinder wurde der Kuh an den Gebärmutterhals geschoben, um das Kalb aus dem Geburtskanal zu ziehen. Kastrierzangen und Kastrierklemmen sind ebenso zu sehen wie Scheidenspanner für Rinder und Geburtszangen für Schweine. An Instrumenten wird deutlich, dass Tiermedizin oft harte Arbeit war: Eine Zange, um Pferden die Zähne zu ziehen, wiegt zum Beispiel mehrere Kilogramm, und der Tierarzt musste sie frei in den Händen halten, da das Pferd während der Operation stand.
Historische Abbildungen zeigen die alten Methoden: Fontanellen, kleine Lederstücke mit Löchern waren das Pendant zu Schröpfköpfen bei Menschen. Der Arzt brachte dem Tier kleine Wunden bei und ließ sie eitern; in der Lehre von den vier Säften flossen so die schlechten Säfte aus der Wunde. Diese als Aberglauben verrufene Methode wirkt tatsächlich: Sie regt nämlich die Immunabwehr an. Die Huf- und Kurschmiede in der Stallmeisterzeit von 1250-1800 brannten Pferden Wunden aus, ließen sie zur Ader und flößten ihnen Tränke ein.
Original-Handbücher wie „Der wohlerfahrene Roß-Arzt, welcher durch seine Glücklichen Kuren an verschiedenen Höfen sich berühmt gemacht“ von 1712 sind in Vitrinen ausgestellt. Schaubilder wie das „Fehlerpferd“ von 1820 waren, so Schäffer, die „Power Point Präsentationen ihrer Zeit“. Das Bild vom „Fehlerpferd“ zeigt an einem Pferd sämtliche damals bekannten Krankheiten.
Eine nachgestellte Praxis aus dem frühen 20. Jahrhundert zeigt den Tierarzt als Allrounder, wie er zwar heute noch durch die Fantasie geistert, aber der Vergangenheit angehört. Dieser klassische Landtierarzt half ebenso der Kuh beim Kalben, wie er dem Hund Splitter aus dem Fußballen zog. Seine Medikamente stellte er selbst her.
Heute spezialisiert sich die praktische Tiermedizin immer mehr. Es gibt nicht nur Groß- und Kleintierpraxen, sondern Reptilienexperten, Veterinäre für Zier- und solche für Nutzfische. Das liegt zum einen am technischen Fortschritt, zum anderen aber an veränderten Haltungsgewohnheiten wie der Schwemme an exotischen Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fischen: Ein Kleintierarzt vor 30 Jahren bekam vielleicht einmal eine griechische Landschildkröte, mit Infektionen eines Pfeilgiftfrosches wäre er hingegen überfordert. Ein boomender Markt mit exotischen Tieren erfordert heute Fachleute, die deren Krankheiten kennen – Veterinäre werden zu „Tropenärzten“. Neue Kuscheltiere bringen Kompetenzprobleme: Ein Mini-Pig als Kuscheltier bleibt rechtlich ein Schwein, auch wenn es im Ehebett schläft, und ein Kleintierarzt darf es nicht behandeln.12
Verändert hat sich auch die Tierethik: Haustiere werden nicht nur immer älter, nach dem Tierschutzgesetz ist es zudem verboten, ohne einen vernünftigen Grund ein Wirbeltier zu töten – und Alter ist kein vernünftiger Grund. „Gnadenhöfe“ unterliegen heute nicht mehr der Gnade -also der Willkür- sondern sind ein Recht, und die Zahl der Hospize für Tiere stieg innerhalb weniger Jahre von zehn auf 130.
Das ethische Problem mit Grenzfällen stellte sich für Tierärzte schon immer: Ein Tier vom Leid zu erlösen, gehört zur Pflicht des Veterinärs, und auch hier verschiebt der technische Fortschritt die Grenzen: Sind Rollstühle für Hunde mit Querschnittslähmung zum Beispiel angemessen oder sorgen sie für vermeidbares Leid?
Das Museum und das Archiv übernehmen auch Dienstleistungen: Historische Instrumente der Tiermedizin werden wissenschaftlich untersucht, Fragen von Behörden und Fachleuten beantwortet. Seit 1992 veranstaltet der Fachbereich Geschichte wissenschaftliche Tagungen und veröffentlicht die Tagungsberichte, unter anderem zu „Veterinärgeschichte im Sozialismus“, „Veterinärmedizin im Dritten Reich“ und „Tiermedizin in der Nachkriegszeit“ sowie zuletzt zu „Tiermedizin und Museologie“.
Studierende der Veterinärmedizin lernen in vier Lehrblöcken das Museum kennen – in Block 1 allgemein. Dazu gehören Methoden wie Fontanellen legen, Phlebotomie und Kauterisation. In Block 2 bestimmen wie dokumentieren sie neue Objekte und ordnen diese in das Magazin ein. Block 3 dient der Recherche nach dem Ursprung der Objekte in der Geschichtsbibliothek und dem Hochschularchiv. In Block 4 stellen die Studierenden einzelne Objekte vor, erklären und diskutieren diese im historischen Zusammenhang.13
Forschung ohne Förderung
Das Veterinärmedizinische Museum, das Hochschularchiv, die Fachgruppe Geschichte der Veterinärmedizin und damit Prof. Dr. Dr. Johann Schäffer, genießen international einen erstklassigen Ruf – und das zu Recht. Angewandte Tiermedizin hat keinen Boden unter den Füßen, wenn die historischen Grundlagen nicht bekannt sind; diese prägen nämlich, wie Mensch und Tier gedacht werden, und dieses Denken bedingt, welche Methoden Tierärzte anwenden. Die Bedeutung des Fachbereichs geht zudem weit über die Tiermedizin hinaus, denn Quellen der Vergangenheit können Antworten liefern auf Fragen der Gegenwart: Zum Beispiel wird keine Debatte im Naturschutz so heftig geführt wie die Wiederkehr des Wolfes. Dokumente des Archivs könnten Aufschluss geben, wie groß die Gefahr war, dass Wölfe Tollwut übertragen, oder ob Wölfe jemals Menschen angriffen.
Mensch-Tier-Verhältnisse (Human Animal Studies) gewinnen in den Geistes- und Sozialwissenschaften an Bedeutung; damit einher geht eine Kritik an der Konstruktion Tier im Abendland. Die Geschichte der Tiermedizin, als angewandte Heilkunde ebenso wie als Tierethik stünde im Schnittpunkt dieser Pionierforschung: Nutz-, Haus- und Zootierhaltung, Tierschutz, heilen und töten, das Ausloten der Grenze zwischen Tier und Mensch treffen sich in der Veterinärmedizin.
Die institutionelle Basis steht im Gegensatz zu der herausragenden Leistung von Johann Schäffer und seinen Kollegen, zu der Relevanz des Fachbereichs und dem immensen Potenzial, das Archiv, Museum und Bibliothek bieten: Die Bibliothek mit 5000 Büchern, das Hochschularchiv mit 600 laufenden Metern ist bisher nur ansatzweise EDV erfasst. Zusätzliches Personal ist zwingend nötig, um die wissenschaftliche und archivarische Arbeit zu vertiefen. Für zukünftige Doktorarbeiten lagern hier mit Sicherheit nicht geborgene Schätze. Johann Schäffers Aufgaben, die er zusätzlich zu seiner Professur erfüllt, müssten auf mehrere hauptamtliche Stellen verteilt werden. Es fehlen zumindest ein Archivar, ein Museumspädagoge, und ein Mitarbeiter für Presse und Öffentlichkeit. Dazu kämen Museumsführer auf Honorarbasis. Das Museum lebt derweil ausschließlich von Schenkungen.
Derzeit besteht der Komplex Museum und Archiv aus 1,5 Stellen, aus Johann Schäffer und der halben Stelle einer Sekretärin. Das Museum soll von Dienstag bis Donnerstag von 10.00-16.00 geöffnet sein – wegen Personalmangel geht dies aber derzeit nur nach Absprache. Damit fehlt die Infrastruktur, um nötige Forschung, Lehre und öffentliche Bildung voran zu treiben – zum Beispiel die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Historikern für Studien im Archiv. Auch „Special Events“ zu aktuellen Anlässen, wie sie in subventionierten Museen Standard sind, lassen sich so nicht durchführen – angefangen von Aktionen für Kinder über die Geschichte der Haustierhaltung aus Liebhaberei bis zu ethischen Fragen des Mensch-Tier-Verhältnisses.
„Wer die Vergangenheit nicht kennt, verspielt die Zunkunft,“ sagt ein jüdisches Sprichwort. Die Hochulleitung „würdigt“ Museum, Archiv und historische Forschung in der Art von Stadtverwaltungen oder Firmen: Zu Jubiläen sind Vorträge gefragt, danach bleibt das Museum sich wieder selbst überlassen. Die museale Arbeit an der TIHO teilt also das Los vieler Universitätsmuseen und wichtiger, aber ökonomisch nicht Profit trächtiger Zweige der Historiographie. „Die institutionelle Basis wird leider auf ewig ein Desiderat bleiben,“ schließt Schäffer.14(Dr. Utz Anhalt)
Erstveröffentlichung in Museum aktuell Juli / August 2015
Literatur:
Utz Anhalt: Der Werwolf. Ausgewählte Aspekte einer Figur der Mythengeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Tollwut. Magisterarbeit Geschichte. E-Text im historicum net unter hexenforschung.
Alfred Martin: Geschichte der Tollwutbekämpfung in Deutschland. Ein Beitrag zur Volksmedizin. Aus den Hessischen Blättern für Volkskunde. Band XIII. Gießen 1914.
Jutta Nowosadtko. Der Alltag zweier „unehrlicher“ Berufe in der frühen Neuzeit. Paderborn 1994.
Joseph Claudius Rougemont: Abhandlung von der Hundswuth. Aus dem Französischen übersetzt von Professor Wegeler. Frankfurt am Main 1798.
Anja Schullz: Die Geschichte der Tierkrankheiten unter besonderer Berücksichtigung der Ferkelgrippe. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Veterinärmedizin an der Freien Universität Berlin vorgelegt von Anja Schulz Tierärztin aus Neustadt / Holst. Berlin 2010
Rita Voltmer und Günter Gehl (Hg.): Alltagsleben und Magie in Hexenprozessen. Weimar 2003.
Fußnoten:
http://www.vethis.de/index.php/fachgebiet-geschichte.html
Autoren- und Quelleninformationen
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