Kontrolliertes Schreien lassen wirkt sich negativ auf die Entwicklung des Kindes aus
In der Erziehungswissenschaft streiten sich die Gelehrten seit Jahren, welcher Weg der Bessere ist, um Kindern ein Durchschlafen zu ermöglichen. Was vor 30 Jahren obsolet war, soll heute wieder stimmen: Babys in der Nacht schreien lassen. Das „kontrollierte Schreien lassen“ von Babys wird von einer Vielzahl von Psychotherapeuten und Psychologen als „veraltet und schädigend“ kritisiert.
„Unser Kind schläft in der Nacht nicht durch und schreit oft“. Diese Erfahrung machen fast alle Eltern in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder. Aufgrund der Gefahr des plötzlichen Kindstods bei Neugeborenen werden nächtliche Unterbrechungen und das Schlafen des Kindes in der Nähe der Eltern als selbstverständlich angesehen. Während die Wissenschaft bei Neugeborenen sich weitestgehend einig ist und niemand von Babys erwartet, dass diese durchschlafen können, sieht es bei Kleinkindern, die den sechsten Lebensmonat überspringen, wieder ganz anders aus.
Babys schlafen nicht durch
Babys können nicht durchschlafen, sie wachen in der Nacht ständig auf. Sie haben noch keine Objektrepräsentanz entwickelt und wissen daher nicht, ob sie selbst (Ich) sind. Je näher das erste Lebensjahr rückt, um so mehr müssen sich die Eltern mit der Frage beschäftigen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um ihr Kind aus dem elterlichen Schlafzimmer zu verbannen. Auch von außen hören Eltern von Verwandten oder Freunden gut gemeinte „Ratschläge“ die oft darin münden, dass Kind ein Schlafverhalten anzutrainieren sei, in dem man das Kind schreien lässt. Manche Eltern fühlen sich bei diesem Gedanken (zurecht) unwohl. Ein Kind, dass weint, einfachen weinen lassen? „Nein“, fühlen viele Eltern.
Kontrolliertes Schreien lassen als Konditionierung
In den letzten Jahren hat sich die Überzeugung erneut durchgesetzt, Babys müssten ab dem sechsten Monat lernen, durchzuschlafen. Damit sie es lernen, müsse man sie hierzu anleiten. Die oft angewendete Durchschlafmethode ist die sogenannte Ferber-Methode. Dabei geht es um das kontrollierte „Schreien lassen“, damit das Kind angeblich lernt, dass in der Nacht keine Mutter oder Vater kommt, um es zu beruhigen. Wurde das durch das Kind internalisiert, lernt es, so die Theorie, durchzuschlafen.
In der Tat hat diese Methode „Erfolg“, denn das Kind resigniert irgendwann und ruft nicht mehr nach seinen Eltern. Tatsächlich schläft das Kind jedoch nicht durch, wie einige neue Studien nun zeigten. In der Realität werden die Kinder in der Nacht genauso oft wach, wie Kinder, die durch ihre Eltern beruhigt werden. „Da sie aber konditioniert wurden, dass auf ihr nächtliches Schreien niemand reagiert, machen sie sich auch nicht mehr bemerkbar.“ (Lüpold, 2009).
Resignation ist kein Durchschlafen
Resignation ist allerdings kein Durchschlafen und aus psychologischer Sicht mindestens bedenklich. Neben dem schlechten Gefühl der Eltern, kann das „Schreien lassen in der Nacht“ zum Teil schwerwiegende psychische Folgen nach sich ziehen. Jüngere Untersuchungen haben nämlich zeigen, wie wichtig auch das Reagieren der Eltern auf das Weinen des Kindes in der Nacht ist (Lüpold, 2009). Vor allem vor dem Hintergrund einer „sicheren Mutter-Kind-Bindung“ und der Schaffung des Urvertrauens beim Kind sei das „Schreien lassen“ in der Nacht für das Kind schädlich.
Ist die Objektpermanenz noch nicht ausreichend entwickelt, glaubt das Kind, wenn keine Reagieren auf das „Rufen durch Weinen“ erfolgt, dass die Eltern verschwunden sind und es nunmehr allein ist. Das Baby hat keine Chance ein Vertrauen zu entwickeln, dass Mutter und Vater da sind, um die Bedürfnisse zu stillen. Lüpold geht davon aus, dass hierdurch die Entwickelung der Bindung zu den Eltern mindestens erschwert, wenn nicht gestört wird.
Durchschlafen mit 12 Monaten?
Wird das Kind ein Jahr alt, versuchen viele Eltern das “Schreien lassen”. Obwohl das Kind nun krabbeln oder gar laufen kann, wäre es eben in jenem Alter geradezu fatal, das Kind schreien zu lassen, weil in diesem Zeitabschnitt besonders ausgeprägte Verlustängste beim Kind vorherrschen. Zusätzlich scheinen negative Folgen für die Entwicklung des späteren Selbstbewusstseins zu resultieren, da sich das Selbstvertrauen aus dem Urvertrauen entwickelt. Demnach ist es für das Kind förderlich, wenn auch Geduld und Fürsorge in der Nacht seitens der Eltern vorhanden sind, bis das Kind selbst zeigt, dass es in der Lage ist, durchzuschlafen.
Kleinkinder überprüfen in der Nacht ihre Sicherheit
Andere Studien zeigten, dass das Schlafverhalten des Kindes sich dem eines Erwachsenen unterscheidet. Säuglinge und Kleinkinder haben einen sehr aktiven Schlaf und zeigen laut Tarullo ein „zerstückeltes Schlafmuster“ mit zahlreichen Übergängen auf. Dieses Wissen nutzt aber nichts, werden viele Eltern beim Lesen des Artikels denken. Denn die allnächtlichen Schlafunterbrechungen sind sehr anstrengend und rauben vielfach die letzte Energie. Jedoch hat das kindliche Schlafmuster einen Sinn und Zweck.
Evolutionsbiologisch prüfen Kinder in der Nacht wenn sie erwachen, ob sie noch in Sicherheit sind und eine ihnen bekannte Bezugsperson in der unmittelbaren Nähe ist. Ist keine Person in der Nähe, wären sie im Sinne der ursprünglichen Natur Gefahren hilflos ausgesetzt. Das nächtliche Aufwachen setzt sich auch im Erwachsenenalter fort, um die Umgebung zu prüfen. Nur dass sich Erwachsene in den meisten Fällen an das Aufwachen am nächsten Morgen nicht mehr erinnern.
Auch lernpsychologisch hat das kindliche Schlafverhalten einen gewichtigen Grund. Hinweise deuten daraufhin, dass das typische Schlafmuster von Kleinkindern das Lernen erleichtert (siehe auch Tarullo et al., 2011). Im ersten Lebensjahr lernen Kinder in einem schnellem Tempo. Die neu gewonnen Erfahrungen müssen sortiert, verarbeitet und gespeichert werden. Entwicklungsstudien zeigen, dass der Schlaf bei der Gedächtniskonsolidierung eine hohe Wertigkeit besitzt. Das was das Kind am Tage gelernt hat, wird im Schlaf abgespeichert. Das Gehirn erfährt im Schlaf auch eine sensorische Stimulation und lernt während des Schlafs weiter.
Wann lernen Kinder das Durchschlafen?
Doch ab wann können Kinder „durchschlafen“? Die meisten Psychologen sehen den Schlaf als eine Art Reifeprozess. Ist das kindliche Gehirn ausgereift, geschieht das Durchschlafen von selbst. Einen genauen Zeitpunkt zu beziffern fällt allerdings schwierig, weil jedes Kind nach eigenem Tempo wächst. Es gibt Kinder, die schlafen bereits mit 15 Monaten durch, andere erst im vierten Lebensjahr.
Aufgrund gestiegener Leistungsansprüche erwartet man von Kindern vor allem in Deutschland, dass diese bereits nach 12 Monaten durchschlafen können. In zahlreichen anderen Ländern, auch in westlich geprägten Ländern, ist das nicht so. Dort gehen Eltern, Psychologen oder Erziehungswissenschaftler eher von einem Alter zwischen 3 und 5 Jahren aus. Beinahe ganz selbstverständlich schlafen Kinder in südlichen Ländern im elterlichen Bett oder mindestens im selben Raum, bis die Kinder selbst im Kinderzimmer schlafen wollen.
Wer von dem weiß, macht sich weniger Druck und kann auch Druck von außen besser argumentativ abwehren. Es kann helfen, die eigene innere Unruhe und auch Müdigkeit gelassener zu betrachten. Um das Einschlafen selbst zu vereinfachen, helfen Rituale.
Rituale zum Einschlafen
Wichtig ist, dass der Zeitpunkt des Zubettgehens möglichst zu festen Zeiten geschieht. Allerdings ist hier entscheidend, die Signale des Kindes richtig zu deuten. Wenn es im Winter früher dunkel wird, sind Kinder meist auch früher müde, als zu hellen Jahreszeiten. Dann kann es hilfreich sein, die Einschlafzeit auch an die Jahreszeiten leicht anzupassen. Vor dem Zubettgehen sollten Abläufe wie Umziehen, Waschen und Windelnwechseln in einer warmen, ruhigen und entspannten Umgebung passieren. Statt zu toben oder Späße zu machen, sollte im Schlafanzug/Babyschlafsack ein gemeinsames Buch angeschaut werden, bevor es ins Bett geht. Dieses Ritual sollte fest installiert sein, damit das Kind weiß, die Schlafenszeit wird nun eingeläutet.
Schläft das Kind dennoch nicht ein, könnten äußere Umstände es daran hindern. Fragen sind: „Ist die Windel nass“, „ist es zu kalt oder warm“, hat das Kind Schnupfen, Husten oder Fieber? Gerade wenn letzteres der Fall ist, benötigen Kinder mehr Aufmerksamkeit und Geborgenheit als sonst. Das Verweilen neben dem Kind, bis es einschläft, ist sinnvoll, um Sicherheit zu signalisieren. Will das Kind toben, soll es wieder in die ursprüngliche Lage zurück gelegt werden. Auch hier ist wichtig, beruhigend zu wirken und nicht zu schimpfen oder zu reden. In vergangenen Zeiten sangen die Eltern ihren Kindern ein „Gute-Nacht-Lied“ vor. Auch das wirkt wahre Wunder. Dabei ist nicht die Textsicherheit wichtig, sondern der einschläfernde monotone Ton. (sb)
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