EGMR: Kindeswohl und Kindeswille beim Umgangsrecht entscheidend
Straßburg (jur). Ein getrennt lebender Vater kann gegen den Willen seines Kindes faktisch keinen Umgang erzwingen. Auch wenn das Kind letztlich nur aus Loyalität gegenüber der Mutter den Kontakt zu seinem Vater ablehnt, ist für Behörden und Gerichte bei der Durchsetzung des Umgangsrechts das Kindeswohl und der Kindeswille entscheidend, urteilte am Dienstag, 7. Februar 2017, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg (Az.: 28768/12). Der EGMR hielt damit die Maßnahmen polnischer Gerichte in einem jahrelangen Umgangsrechtsstreit für ausreichend.
Im konkreten Fall hatten sich die polnischen Eltern nach der Geburt ihres Sohnes am 2. Dezember 2002 kurz darauf getrennt. Für das Kind übten sie zwar das gemeinsame Sorgerecht aus, die Mutter vereitelte jedoch immer wieder den Umgang ihres Sohnes mit dem Vater.
Eine Einigung, dass dieser das Kind an einem Tag pro Woche sehen könne, hielt nicht lange. Der Vater suchte schließlich 2006 gerichtliche Hilfe und verlangte mehr Umgang mit seinem Sohn. Ein polnisches Gericht stellte im März 2007 fest, dass die Umgangsrechte des Mannes nicht beachtet worden seien. Zu diesem Zeitpunkt lebte die Mutter mitsamt Sohn schon zwei Monate in Deutschland. Der Vater wusste davon nichts und hatte ein Jahr lang keinerlei Kontakt zu dem Kind.
Als das Oberlandesgericht Celle die Rückkehr des Kindes nach Polen schließlich anordnete, setzte sich dort der Umgangsrechtsstreit fort. Die polnischen Gerichte regten psychologische Beratungen an, damit die Eltern gemeinsam zum Kindeswohl sich einigen können. Auch mehrere Umgangsregelungen wurden immer wieder getroffen, die dann die Mutter jedoch unterlief.
Schließlich wurde vorgesehen, dass jede Verletzung des Umgangsrechts mit einer Geldbuße in Höhe von 200 polnischen Zloty (umgerechnet 46,56 Euro) geahndet wird. Der Vater hatte die angedrohte Strafe jedoch nie bei seiner Ex-Partnerin durchgesetzt.
Ab dem neunten Lebensjahr zeigte sich das Kind dem Vater gegenüber feindlich und erklärte, dass es keinen Kontakt mehr zu ihm haben wolle.
Der Vater warf den polnischen Behörden und Gerichten daraufhin vor, ihn nicht ausreichend bei der Durchsetzung seines Umgangsrechts unterstützt zu haben. Sein in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankertes Recht auf ein Familienleben sei verletzt worden.
Doch der EGMR urteilte, dass die polnischen Behörden und Gerichte alle erforderlichen Maßnahmen in dem Umgangsrechtsstreit veranlasst haben, die die Interessen der beiden Eltern und des Kindes berücksichtigten. So seien die Eltern nicht nur zu psychologischen Beratungen aufgefordert, auch Regelungen zu Umgangsrechten seien getroffen worden. Zeitweise hätten diese auch funktioniert. Bei Verstößen dagegen seien Geldbußen vorgesehen gewesen. Der Vater habe diese bei Umgangsrechtsverstößen aber nicht eingefordert.
Entscheidend für die Umsetzung des Umgangsrechts sei letztlich der Kindeswille und das Kindeswohl. Auch wenn das Kind den Umgang mit seinem Vater aus Loyalität zur Mutter ablehnte, sei der Kindeswohl und -wille bei den Umgangsrechten maßgeblich.
Die polnischen Behörden und Gerichte haben danach alle notwendigen Maßnahmen veranlasst, um einen Umgang des Kindes mit dem Vater zu ermöglichen. Eine Verletzung des Rechts auf ein Familienleben liege nicht vor, so der EGMR. fle
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