Studie: Landbewohner mit Kontakt zu Nutztieren können Stresssituationen besser bewältigen
Trotz technischen Fortschritts erhöht sich der Arbeitsdruck bei vielen Bürgern immer mehr. Wer ständig gestresst ist, ist auch anfälliger für Krankheiten. Landbewohner sind hier offenbar klar im Vorteil. Denn wie sich nun in einer Studie gezeigt hat, können Menschen, die auf dem Land aufgewachsen sind und engen Kontakt zu Nutztieren haben, Stresssituationen besser bewältigen.
Gesundes Landleben
Zunehmender Arbeitsdruck und Stress gefährden die Gesundheit. Entspannung und Ruhe sind wichtig für den Menschen. Um abzuschalten begibt man sich am besten in die Natur beziehungsweise aufs Land. Denn dort können sich die meisten Menschen am besten erholen. Doch was macht das Landleben eigentlich so gesund und erholsam? Die dörfliche Ruhe, die frische Luft oder die intakte Nachbarschaft? Wissenschaftler der Universität Ulm haben darauf eine ganz andere Antwort: Landbewohner mit engem Kontakt zu Nutztieren können Stresssituationen immunologisch viel besser bewältigen als Großstädter, die ohne Haustiere aufgewachsen sind. Hilfe bekommen sie dabei von den „old friends“ unter den Mikroben.
Versuchsteilnehmer mehr und mehr unter Druck gesetzt
„Damit gemeint sind Umweltbakterien, mit denen der Mensch seit Jahrtausenden recht friedlich zusammenlebt, und die es in der Großstadt heute schwer haben“, erklärt Professor Stefan Reber in einer Mitteilung der Hochschule.
Der Leiter der Sektion für Molekulare Psychosomatik an der Ulmer Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie hat gemeinsam mit Kollegen aus dem Universitätsklinikum Ulm und Forschern aus Erlangen, London und Boulder (Colorado) herausgefunden, dass Männer, die die ersten 15 Lebensjahre auf einem Bauernhof mit Nutztierhaltung aufgewachsen sind, psychosozialen Stress besser verarbeiten können als Männer, die die ersten 15 Lebensjahre in einer Großstadt mit über 100.000 Einwohnern und ohne Haustiere verbracht haben.
Für ihre Studie, die vor kurzem im Fachmagazin „PNAS“ veröffentlicht wurde, haben die Forscher insgesamt 40 gesunde männliche Probanden einem Stresstest unterzogen und begleitend dazu Stresshormone und immunologische Parameter erhoben.
„Gestresst“ wurden die Probanden in einem standardisierten Laborexperiment mit dem sogenannten „Trier-Social-Stress-Test“ (TSST).
Dabei werden die Versuchsteilnehmer einer fingierten Bewerbungssituation ausgesetzt und mehr und mehr unter Druck gesetzt. Sie müssen zwischendurch Kopfrechenaufgaben lösen und bei Fehlern erneut von vorne beginnen.
Vor und nach dem Test haben die Wissenschaftler Blut- und Speichelproben entnommen, um bestimmte Immunzellen wie mononukleäre Zellen des peripheren Blutes (PBMC) zu gewinnen oder Stressparameter wie Cortisol zu erfassen.
Das Immunsystem der Landbewohner ließ sich durch den Stress weniger provozieren
Dabei kam heraus, dass die „Landbewohner“ im Test zwar einerseits höhere Stresswerte zeigten als die „Großstädter“; dabei waren sowohl die basalen Stresshormonlevel höher als auch das im Fragebogen abgefragte subjektive Stressempfinden.
Andererseits ließ sich das Immunsystem der „Landbewohner“ nicht so stark zu einer Reaktion provozieren wie das der „Großstädter“, die in ihrer Kindheit keinen Kontakt zu Tieren hatten.
So war bei den Probanden, die in der Großstadt ohne Tiere aufgewachsen sind, nicht nur der stressinduzierte PBMC-Anstieg größer, sondern auch die Werte für den Entzündungsmarker Interleukin 6 blieben länger erhöht als bei der Vergleichsgruppe.
Und ein weiteres klares Indiz, dass das Immunsystem der „Landbewohner“ Stress besser verkraftet, fanden die Wissenschaftler.
Dafür wurden die isolierten mononukleären Zellen des peripheren Blutes auf die Ausschüttung des Entzündungshemmers Interleukin 10 untersucht.
Das Ergebnis: nach dem Stresstest war bei den tierlosen Städtern die Abgabe dieser antientzündlich wirkenden Substanz deutlich verringert, nicht jedoch bei den nutztiernahen Ländlern.
Chronische Entzündungsreaktionen
Für die Gesundheit sind überschießende Immunantworten ein Problem, weil diese häufig zu chronischen Entzündungsreaktionen führen.
„Solche Prozesse spielen beispielsweise bei der Entstehung von Asthma und allergischen Erkrankungen eine Rolle, vergrößern aber auch das Risiko für psychische Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen und Posttraumatische Belastungsstörungen“, erläutert der Ulmer Psychoneuroimmunologe Stefan Reber.
Schon länger ist bekannt, dass die Anfälligkeit für Asthma und Allergien sowie für psychische Erkrankungen bei Menschen, die in der Großstadt leben, überdurchschnittlich hoch ist, beziehungsweise das Bauernhof-Leben vor Allergien schützt.
Mit dem globalen Trend zur Verstädterung – immer mehr Menschen zieht es vom Land in die Metropolen – gewinnt dieser Befund noch an Brisanz.
Dass dabei der fehlende Kontakt zu bestimmten Bakterien eine Schlüsselrolle spielt, wie die sogenannte „missing microbes“-Hypothese besagt, wird in der Forschung seit ein paar Jahren vermutet.
„Impfung“ mit Umweltbakterien
In einem früheren Experiment mit Mäusen konnte ein Forscherteam um Professor Reber bereits zeigen, dass sich die Stressresilienz der Tiere durch die „Impfung“ mit solchen altbekannten Umweltbakterien verbessern lässt.
Schön wäre es natürlich, wenn sich die Ergebnisse von der Maus auf den Menschen übertragen ließen. Möglicherweise könnte eine solche Impfung in Zukunft auch bei menschlichen Risikogruppen funktionieren.
Ob es in der Stadt vielleicht auch der frühe Kontakt mit Haustieren tut, wollen die Wissenschaftler in einer Folgestudie herausfinden. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
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Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.