Psychische Krankheiten nehmen erneut deutlich zu: Immer mehr Deutsche leiden an psychischen Störungen
14.02.2011
Psychische Erkrankungen haben deutschlandweit im vergangenen Jahr dramatisch zugenommen. Die Techniker Krankenkasse (TK) meldet, dass die Krankmeldungen ihrer Versicherten 2010 wegen psychischer Leiden um 14 Prozent gestiegen sind.
Seelische Erkrankungen wie Depressionen, Burn Out, Angststörungen, andere psychosomatischen Krankheiten oder Suchterkrankungen haben in Deutschland im Jahr 2010 deutlich zugenommen. Berichten der TK zufolge lagen die krankheitsbedingten Fehlzeiten im vergangenen Jahr insgesamt durchschnittlich bei 12,3 Tagen je Beschäftigten, was einem Krankenstand von 3,36 Prozent entspricht. Zwei Fehltage pro Arbeitnehmer waren dabei im Schnitt auf Erkrankungen der Psyche zurückzuführen, so die Mitteilung der TK. „Binnen eines Jahres sind Fehlzeiten durch psychische Diagnosen um fast 14 Prozent gestiegen“, betonte Gudrun Ahlers, verantwortlich bei der TK für die Gesundheitsberichterstattung
Atemwegserkrankungen rückläufig, Psychische Störungen immer häufiger
Die Auswertung der Krankmeldungen durch die TK hat ergeben, dass „die Beschäftigten (…) 2010 seltener krank“ waren, erklärte Gudrun Ahlers. „Wir verzeichnen für das Jahr 2010 etwa 2,4 Prozent weniger Krankschreibungen als in 2009“, so die Expertin. Vor allem bei den Atemwegserkrankungen sei ein deutlicher Rückgang festzustellen gewesen. Das der Krankenstand unter den 3,5 Millionen bei der TK versicherten Beschäftigten und Arbeitslosengeld-I-Empfänger im vergangenen Jahr mit 3,36 Prozent dennoch nahezu auf Vorjahresniveau (2009: 3,32 Prozent) stagnierte, ist nach Angaben der TK auf vor allem auf die Zunahme der Krankschreibungen mit Diagnosen einer psychischen Störung zurückzuführen. Denn die Krankschreibungsdauer liegt hier weit höher als zum Beispiel bei den meisten Atemwegserkrankungen. Werden Versicherte wegen einer Bronchitis mehrere Tage krank geschrieben, können es bei psychischen Leiden leicht Wochen oder Monate sein. So steht der rückläufigen Anzahl von Krankschreibungen eine erhöhte Krankschreibungsdauer gegenüber.
Leistungsdruck und Stress Ursache psychischer Leiden
Außerdem stellte die TK in ihrem Gesundheitsbericht fest, dass die krankheitsbedingten Fehltage sich in den einzelnen Bundesländern stark unterschieden. Der TK zufolge waren die wenigsten durch Krankschreibungen begründeten Fehlzeiten mit durchschnittlich 9,9 Tagen in Baden-Württemberg zu verzeichnen, wohingegen in Mecklenburg-Vorpommern mit 15,5 Tagen die höchsten Ausfälle festzustellen waren. Die Krankschreibungen aufgrund psychischer Leiden sind jedoch erneut in allen Bundesländern deutlich gestiegen. Diesen Trend konstatierten die TK, die BKK und das wissenschaftliche Institut der AOK schon im vergangenen Jahr in getrennten Untersuchungen. Wobei die Experten der Krankenkassen die seit Jahren zu beobachtende Zunahme der psychischen Störungen auf den extremen Leistungsdruck, die gestiegene Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und den permanenten Stress, dem viel Beschäftigte ausgesetzt sind, zurückführen. Auch seien Betroffenen heute eher bereit, sich wegen seelischer Leiden behandeln zu lassen, wodurch die entsprechenden Krankschreibungen ebenfalls gestiegen seien, so die Auskunft des Bundesverbandes der Psychotherapeuten im vergangenen Jahr.
Psychische Erkrankung bedingen Produktionsausfälle in Milliardenhöhe
Eine weitere Dimension der Auswirkungen psychischer Leiden, lässt sich anhand der Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion im letzten Jahr ablesen. Demnach liegen die Kosten der durch psychische Krankheiten bedingten Produktionsausfälle bei fast vier Milliarde Euro jährlich, der Ausfall bei der Bruttowertschöpfung in Deutschland betrage sogar knapp sieben Milliarde Euro, erklärte das Bundesgesundheitsministerium im vergangenen Jahr unter Berufung auf eine Statistik der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Darüber hinaus fallen erhebliche Kosten bei der Behandlung der Betroffenen an, die eine immer stärkere Belastung für das Gesundheitssystem darstellen. Schätzungen der Experten zufolge leiden heute bereits bis zu 30 Prozent der Deutschen an psychischen Erkrankungen, wobei in Zukunft weiterhin mit einer deutlichen Zunahme zu rechnen sei. Neunzehn Professoren und Klinikchefs aus den Bereichen Psychologie und Psychosomatik hatten im vergangenen Jahr die Verbreitung psychischer Erkrankungen in Deutschland untersucht und dabei den erschreckenden Trend bestätigt.
Zunahme psychischer Krankheiten – Belastungsprobe fürs Gesundheitssystem
Joachim Galuska, Ärztlicher Direktor der Psychosomatischen Kliniken Bad Kissingen, Thomas Loew, Universitätsprofessor für Psychosomatische Medizin in Regensburg und Johannes Vogler, Chefarzt der Klinik Isny-Neutrauchburg initiierten mit Hilfe der Zeitschrift „Focus“ letztes Jahr eine Warnung, um auf die gesellschaftlichen Konsequenzen der enorm gestiegenen Verbreitung psychischer Leiden hinzuweisen. So seien beispielsweise in Zukunft Probleme bei der Behandlung durch die deutlich gestiegene Zahl der psychischen Störungen absehbar, erläuterten die Experten. Außerdem sei aufgrund der Vielzahl der Diagnosen eine adäquate Therapie der Patienten künftig nicht mehr möglich. Denn auch wenn hohe zusätzliche Geldsummen zur Finanzierung bereitgestellt würden, müssten Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiater drei bis fünf Mal mehr Patienten behandeln, als sie können, warnten Galuska, Loew und Vogler. Um die Ausprägung einer psychischen Störung zu vermeiden, raten die Experten in erster Linie zur Stressvermeidung und Entspannung beispielsweise mit Hilfe von Entspannungsübungen oder autogenem Training. Außerdem wird ein gesunder Lebensstil mit ausreichend Schlaf, Bewegung und guter Ernährung empfohlen. Wer dennoch erste Anzeichen einer psychischen Störung bei sich erkennt, sollte nicht zögern und frühzeitig Unterstützung beim Fachmann suchen, um den seelischen Leiden angemessen zu begegnen. (fp)
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Bild: Rainer Sturm / pixelio.de
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