Wie HUS mit Antikörpern besiegt wurde
15.11.2011
Über 3500 Menschen waren nach Angaben des Robert-Koch-Institut im Frühsommer diesen Jahres an den Auswirkungen des EHEC Keims zum Teil schwer erkrankt. In der Mehrzahl erkrankten Erwachsene und darunter überwiegend Frauen. Darunter litten 855 Menschen an schwerwiegenden Versagen der Nieren oder akuten Hirnschädigungen. Vor allem in der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf (UKE) herrschte über Wochen ein medizinischer Ausnahmezustand. Konventionelle Therapien mit antibiotischen Medikamenten versagten, so dass den behandelnden Ärzte nichts anderes übrig blieb, als ein neuartiges Arzneimittel mit einem Antikörper zu testen. Neben dem Hamburger Universitätsklinikum beteiligten sich sieben weitere deutsche Kliniken an der Erprobung des Mittels. Wie sich zeigte, brachte der Antikörper mit der Bezeichnung „Eculizumab“ den entscheidenden therapeutischen Durchbruch. Eine Studie aus dem Jahre 2010 gab hierzu den Anstoß.
Eine nun ausgewertete Studie unter Beteiligung von 148 an EHEC erkrankten Patienten zeigte, dass der Antikörper Eculizumab adäquat ist, um Erkrankte mit dem hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) zu therapieren. Zu diesem Ergebnis gelangten Mediziner und Forscher des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Die Studienergebnisse wurden gestern einer breiteren Öffentlichkeit während einer Präsentation vorgestellt. Das HUS-Syndrom hatte bei rund einem Viertel der EHEC Patienten schwere gesundheitliche Komplikationen ausgelöst. In Folge litten die Betroffenen an akutem Nierenversagen sowie beträchtlichen Störungen der Gehirnfunktionen.
Wirkstoff brachte den Durchbruch in der HUS-Behandlung
Das Ärzteteam um den Nierenspezialisten Prof. Dr. Rolf Stahl und den Neurologen Prof. Dr. Christian Gerloff hatten während der Studienarbeit die Daten von insgesamt 148 behandelten HUS-Patienten ausgewertet. Alle Patienten stammten aus dem Norddeutschen Raum und wurden mit den Antikörpern Eculizumab therapiert. Der Gesundheitszustand von 95 Prozent der Therapierten hatte sich in einem Zeitraum von acht Wochen signifikant gebessert. Bei 61 Prozent der Behandelten mit neurologischen Störungsbildern stellte sich eine vollendete Wiederherstellung ein. Laut Datenlage zeigten die übrigen zwar noch leichte Symptome wie beispielsweise leichte Orientierungslosigkeit, allerdings zeigte sich auch hier insgesamt eine verbessertes Wohlbefinden, wie Prof. Gerloff während der Präsentation der Studie sagte.
21 Probanden, bei denen durch HUS Epilepsie auftrat, beklagten keine epileptischen Anfälle mehr. Der überwiegende Anteil der Patienten (19) benötige heute keine Medikamente mehr. Hierzu liegen jedoch erst Mitte des kommenden Jahres weitere abschließende Ergebnisse vor. Bis Mitte 2012 werden noch 120 Patienten zu Folge- und Nachuntersuchungen in das Klinikum UKE kommen. Der Internist Stahl betonte, dass die Behandelung mit Antikörpern „keine Wunderheilung ist, sondern eine medizinisch rationale Therapie“.
HUS erzeugte Dominoeffekt
Die spannendste Frage war natürlich, wie die Antikörpertherapie wirkt. Dazu mussten die Forscher zunächst ergründen, wie bakteriellen EHEC Keime und in Folge HUS derart massive Störungsbilder auslösen konnte. Um zu verdeutlichen, warum das zentrale Nervensystem, das Blutbild und die Nieren angegriffen werden, erläuterte Professor Stahl die Kettenreaktion mithilfe eines Dominospiels. Das erste Steinchen in dem „Spiel“ ist das sogenannte Shiga-Toxin. Dieser Giftstoff löst eine Kettenreaktion aus, an deren Ende es zu schweren Nierenschäden und Störungen der Gehirnfunktionen kommt. Der bei der Behandlung eingesetzte Wirkstoff Eculizumab nimmt in dieser Reihe einige „Dominosteinchen“ heraus, so dass weitere Schädigungen im Körper ausbleiben. Der Organismus hat dann wieder die Möglichkeit sich zu regenerieren. Die Symptome bessern sich und der Patient ist auf dem Heilungsweg. An einen HUS Patienten kann sich Dr. Gerloff noch sehr gut erinnern. Der Mann war Marathonläufer und war schwer an HUS erkrankt. "Er lag im Koma – und heute, nach der Behandlung mit Eculizumab, läuft er schon wieder 20 Kilometer – ein sensationeller Erfolg."
Antikörper war zunächst kein Mittel der Wahl
Zu Beginn der EHEC Epidemie setzten Ärzte den Antikörper nur vereinzelt in sehr schweren Patientenfällen ein. Am Klinikum Hamburg-Eppendorf bekamen Patienten am 27. Mail zum ersten Mal das Medikament. Zu jener Zeit war der EHEC Keim gerade einmal eine Woche medial bekannt und die ersten Fälle mehrten sich in Hamburg und Niedersachsen. Eculizumab war damals keineswegs das „Mittel der Erstwahl“, sondern wurde nur dann verwendet, wenn nichts anderes mehr half und die Patienten sich bereits in akuter Lebensgefahr befanden. Die Idee, das neuartige Therapeutikum anzuwenden, gab ein medizinischer Fachbericht über eine Behandlung mit Eculizumab. In der Webausgabe des "New England Journal of Medicine" publizierten Wissenschaftler aus Heidelberg, Paris und Montreal über erste Behandlungserfolge von drei schwerkranken Kindern mit Eculizumab. Die kleinen Patienten hatten sich im Jahre 2010 mit EHEC Bakterien infiziert und erkrankten danach an dem HUS Syndrom. Der Wirkstoff konnte die drei Kinder retten und eine deutliche Linderung der Symptome herbeiführen. Der Bericht sollte erst in dem Printmedium erscheinen, wurde allerdings aufgrund der sich abzeichnenden EHEC Epidemie im Mai 2011 vorab online gestellt, damit Forscher auf den Wissensstand zugreifen konnten. Somit hatten alle Spezialisten in Deutschlands Unikliniken Zugriff darauf.
Im Anschluss setzten die Ärzte am UKE Eculizumab erstmals bei Schwerkranken ein. Als die Patienten sich in relativ kurzer Zeit auf dem Weg der Besserung befanden, wurde das Mittel seit Juni 2011 als Standardmedikation überall in Deutschland bei fast allen HUS Patienten eingesetzt. Zusätzlich zur Eculizumab Therapie wurde ein Blutplasma-Austausch (medizinisch: Plasmapherese) unternommen. "Die Daten sprechen sehr dafür, dass dies mit dem Antikörper zusammenhängt", sagte Neurologe Christian Gerloff. Ohne verbleibende Zweifel könne dies allerdings nicht belegt werden. Dazu müssten weitere Studien folgen.
Studie ist eine Hilfe für kommende EHEC Epidemien
Die Datenauswertung der Experten aus Hamburg könnte aber bei möglicherweise künftigen HUS Syndromen helfen. Nun sei die Ärzteschaft besser aufgestellt, betonte der Neurologe Dr. Christian Gerloff. Als Standardmittel ist das Antikörper-Medikament noch nicht zugelassen. Hierüber entscheidet die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA). Aus diesem Grund, müsse „vor jeder Behandlung die Anwendung erst abgesprochen werden“, sagten die UKE Ärzte. Wann das Zulassungsverfahren abgeschlossen ist, vermochten die Mediziner nicht einzuschätzen.
Vorwürfe gegen Sprossen-Anbaubetrieb
Schwere Vorwürfe erheben Wissenschaftler gegenüber dem Sprossen-Anbaubetrieb. Der Hof war von den Gesundheitsbehörden gesperrt worden, weil dieser als Ursprungshort der EHEC Verbreiter galt. Der Hygiene-Professor Martin Exner sagte gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Focus“, bei einer Begutachtung des Hofs wurden massive Mängel der Hygiene vor Ort festgestellt. Beispielsweise waren die Toiletten für das Personal zu nahe an dem Brunnen gelegen, der zur Sprossen-Bewässerung diente. Der Sprossen-Produzent hat mittlerweile Klage gegen die Sperrung seiner Anlage eingelegt. Eine Entscheidung hierzu steht noch aus. (sb)
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Bild: Gerd Altmann / pixelio.de
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