Zahl der Hundertjährigen hat sich verdreifacht
19.07.2013
Die Zahl der Hundertjährigen hat sich in Deutschland in den vergangenen zwölf Jahren verdreifacht. Wissenschaftler der Universität Heidelberg haben die ältesten Menschen unserer Gesellschaft befragt und herausgefunden, dass sie immer zufriedener und fitter werden. Laut der „Zweiten Heidelberger Hundertjährigen-Studie“ leben immerhin 31 Prozent der Hundertjährigen noch allein im eigenen Haushalt. Durchschnittlich leiden sie an vier chronischen Erkrankungen, sind aber trotzdem glücklicher als die 60-Jährigen.
Das Bild über die Hundertjährigen muss korrigiert werden
Angesichts unzähliger Medienberichte über Pflegenotstände und Altersdemenz ist die Vorstellung vieler jüngerer Menschen, sehr alt zu werden nicht positiv belegt. Älterwerden geht häufig auch mit dem Verlust der Autonomie einher. Andererseits zeigen Beispiele wie Johannes Heesters, der bis kurz vor seinem Tod noch vor der Kamera stand, dass das Leben im Alter sehr erfüllt sein kann. Wie Heidelberger Forscher im Rahmen einer Studie herausfanden, gibt es aber auch zahlreiche Graustufen zwischen schwarz und weiß. Viele der Hundertjährigen seien zwar gesundheitlich angeschlagen, hätten aber noch viel vor, sagten die Wissenschaftler im Gespräch mit der „Frankfurter allgemeinen Zeitung“ (FAZ). Am Freitag stellten sie die „Zweite Heidelberger Hundertjährigen-Studie“ vor. Vor rund zehn Jahren wurde die Untersuchung zum ersten Mal durchgeführt.
Die Angaben der Landeseinwohnerämter zeigen, dass sich die Zahl der Hundertjährigen seit 2001 im Raum Heideberg verdreifacht hat. „Davon waren wir sehr überrascht“, erklärte Daniela Jopp, Leiterin der zweiten Studie, gegenüber der FAZ. „Wir hatten mit einer Verdoppelung gerechnet. Der demographische Wandel geht offenbar schneller vonstatten als vermutet, und die Gesellschaft tut gut daran, sich darauf einzustellen.“ Wie die Gerontologin berichtete, sei es diesmal schwieriger gewesen, die Alten zur Teilnahme an der Untersuchung zu überreden. „Die Hundertjährigen von heute sind aktiv und haben einiges vor“, sagte Jopp. „Zugleich wissen sie, dass sie mit ihrer eingeschränkten Energie gut haushalten müssen. Sie sagen deutlich, was sie wollen und was ihnen zu viel wird.“
Vier von fünf Hundertjährige sind mit ihrem Leben zufrieden
Problematisch sei für viele der Hundertjährigen, dass sich ihr soziales Netzt deutlich ausdünne und sie Hobbys aufgeben müssten, weil ihre Sozialpartner, Freunde und Verwandte versterben würden. Zudem belasteten die Alten auch körperliche Einschränkungen wie die nachlassende Energie. Durchschnittlich vier chronische Erkrankungen machten den Männern und Frauen zu schaffen sowie die nachlassende Sehkraft und Gehörleistung. Zwei Drittel der Befragten gaben an, auch an Gleichgewichts- und Bewegungsproblemen bis hin zu Stürzen zu leiden. „Aber das schlägt sich nur bedingt auf die Lebensqualität nieder“, erklärte Jopp klar. „Vier von fünf Hundertjährigen haben ausgesagt, dass sie mit ihrem Leben zufrieden sind. Das ist ein ähnlicher Anteil wie bei den Menschen mittleren Alters.“
Bereits die erste Heidelberger Studie zeigte, dass die Hundertjährigen genauso glücklich wie die Vierzigjährigen waren und sogar glücklicher als die Altersgruppe der 60-Jährigen. „Nicht selten beobachten wir, dass körperliche und geistige Ressourcen deutlich abnehmen“, sagte Jopp der Zeitung. „Aber viele Hundertjährige berichten uns, dass sie den Augenblick genießen und dankbar auf das Leben blicken.“ Jeder zehnte Hundertjährige wünscht sich laut Studie den Tod.
Hundertjährige haben eine optimistische Grundhaltung
Die Wissenschaftler untersuchten auch die psychischen Stärken der Hochaltrigen. Demnach profitieren viele Hundertjährige von einer positiven Grundhaltung, dem Lebenswillen sowie der Fähigkeit, einen Sinn im Leben zu sehen. Darüber hinaus ist die Selbstwirksamkeit wichtig, die es ihnen ermöglicht ein selbstbestimmtes und selbstgestaltetes Leben zu führen. Dazu zählen alltägliche Dinge wie das Mittagessen selbst zuzubereiten oder Verabredungen zu treffen. „Auch Hochaltrige müssen trotz ihrer Einschränkungen noch das Gefühl haben, ihr eigenes Leben zu kontrollieren“, erläuterte Jopp. „Das Konzept der Pflege mit seinem eng getakteten Zeitplan sollte daher revidiert werden. Es ist wichtig, dass das Bedürfnis nach Selbstständigkeit respektiert und eigenständiges Verhalten ermutigt wird.“ Das Bedürfnis nach Autonomie äußert sich auch darin, dass rund ein Drittel (31 Prozent) der Hundertjährigen noch allein in ihrem eigenen Haushalt lebt. Fünf Prozent leben gemeinsam mit ihrem Ehepartner.
Wie die Wissenschaftler berichten, hätten sich die Fähigkeiten der Alten im Vergleich zur ersten Studie deutlich verbessert. 83 Prozent von ihnen könnten demnach heute noch selbständig essen. In der ersten Untersuchung waren es nur 61 Prozent. Immerhin 22 Prozent der Hundertjährigen würden sich ihre Mahlzeiten eigenständig zubereiten, eine Vervierfachung im Vergleich zur ersten Studie. Um ihre finanziellen Belange kümmerten sich noch 19 Prozent, 2011 waren es laut Studie nur neun Prozent.
Immer mehr Hundertjährige
Eine demografische Studie von Forschern der Universität Rostock um Professor Roland Rau belegt ebenfalls einen unerwartet schnellen Anstieg der Zahl der Hundertjährigen. Während es heute noch als etwas Besonders gilt, 100 Jahre oder gar älter zu werden, könnte das zukünftig zur Normalität werden. Denn eine derartige Lebenserwartung wird laut Rostocker Studie sehr wahrscheinlich bei den heute Geborenen nichts Ungewöhnliches sein. Modellrechnungen zeigten, dass die Hälfte der heute Geborenen 100 Jahre alt und die Vielzahl der Neugeborenen das nächste Jahrhundert erleben würden, berichtete Rau. Seit 1960 habe sich die Sterblichkeit der 80-Jährigen in vielen Ländern mehr als halbiert. Konkret bedeute das, dass elf von 100 achtzigjährigen Frauen vor 50 Jahren noch vor ihrem 81. Geburtstag gestorben seien, während das heute lediglich vier betreffe.
Ein wesentlicher Grund für die steigende Lebenserwartung sei die „kardiovaskulären Revolution“ zu finden, schreiben die Forscher. Ärzte sind heute in der Lage Erkrankungen des Herzens wie die koronare Herzkrankheit und der Blutgefäßen wie Arterienverkalkung besser und effektiver zu behandeln. Dementsprechend ist die Zahl der Todesfälle durch Herzinfarkt oder Schlaganfall viel geringer. (ag)
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