Ärzte plädieren für weniger Krebs-Diagnosen
01.08.2013
Krebs ist für die meisten Menschen ein Schreckensbild. Freunde oder Verwandte, die bereits an Krebs verstarben, zeigen, wie schnell es gehen kann, aus dem Leben herausgerissen zu werden. Doch nicht jeder Krebstumor muss mit einem schnellen Ableben enden. So sterben viele Frauen nicht an Brustkrebs sondern mit ihm. Auch bei vielen Männern wird bösartiger Prostatakrebs diagnostiziert. Oftmals wächst diese aber außerordentlich langsam, so dass das Leben kaum bzw. überhaupt nicht verkürzt wird.
In der konventionelle Schulmedizin wird derzeit ein recht interessante Debatte geführt. Ein renommiertes Ärzteteam des US-National Cancer Institute fordert zum „radikalem Umdenken in der Krebstherapie“ auf. Zwar können medizinische Errungenschaften in der Krebsfrüherkennung für Brust, Darm, Haut-, Gebärmutterhals, und Prostatakrebs immer mehr Leben retten. Auf der anderen Seite können die hoch komplexen und sensiblen Apparaturen auch minimale Veränderungen sichtbar machen, die erst zu viel späterer Zeit oder überhaupt nicht bösartig entarten. Patienten, die nicht oder nur kaum zwischen minimalen Veränderungen und Krebstumoren unterscheiden können, werden durch die vermeintlichen Diagnosen seelisch schwer belastet. Zudem werden in Folge zahlreiche unnötige Diagnoseverfahren, Operationen, Bestrahlungen und Chemotherapien durchgeführt, die den Körper des Betroffenen schadhaft belasten.
Die Kritiker kommen aber nicht aus den Reihen der Naturheilkunde, sondern aus dem Inneren der schulmedizinischen Krebstherapie. So fordern die hochkarätigen Ärzte Laura Esserman, Ian Thompson und Brian Reid im US-Wissenschaftsmagazin „JAMA“ eine weitreichende Reform beim Thema Krebs. "Die Bezeichnung ‘Krebs’ sollte nur für Veränderungen verwendet werden, die unbehandelt sehr wahrscheinlich zum Tod führen", fordert das Expertenteam. Krebsvorstufen oder ungefährliche Tumore sollten stattdessen neu klassifiziert und definiert werden.
Für die radikale Neustrukturierung, die zu einem massivem Umdenken in der Krebsbehandlung führen könnte, haben die Mediziner bereits konkrete Vorschläge unterbreitet. In fünf Punkten stellten sie ein Maßnahmenpaket zusammen, damit Patienten künftig hiervon profitieren könnten.
Fünf-Punkte-Plan für wenige Krebsoperationen
Zunächst sollten Ärzte und auch Patienten lernen, dass relativ häufig Überdiagnosen gestellt werden. Das passiere auch deshalb, weil die Screening-Programme sich weiter verbessern und im Umfang zunehmen. Im zweiten Schritt sollte der Begriff „Krebs seitens der Ärzte nur noch mit Vorsicht verwendet werden.“ Vorstufen müssen neu definiert sein. Hierfür müssen neue Diagnoseverfahren entwickelt werden, um aggressive von harmlosen Tumorvarianten auf molekularbiologischer Ebene zu unterscheiden. Ein neues Erfassungsregister könnte geschaffen werden, um eher harmlose bzw. weniger gefährliche Krebstumore zu unterscheiden. Im verlauf können so nach und nach neue Erkenntnisse gewonnen werden. Zusätzlich müssen nach Ansicht der Autoren die Überdiagnosen deutlich reduziert werden. Hierfür sei es sinnvoll nur noch gezielt Screenings von Hochrisikogruppen zu unternehmen und die Abstände von Reihenuntersuchungen zu vergrößern. Forscher und Ärzte müssten ein neues Verständnis von der Tumorentstehung entwickeln. Dadurch können vorbeugende Maßnahmen und Alternativen zur chirurgischen Therapie konzipiert werden.
Die Autoren fordern darüber hinaus, dass die Kommunikation zwischen dem Arzt und dem Patienten sehr viel sensibler stattfinden sollte. Nur wenn die „Patienten richtig aufgeklärt werden, könnten vermutlich überflüssige Eingriffe vermieden werden“.
Seit einigen Jahren schwellt das Thema in Mediziner Kreisen. Immer wieder warnen einzelne Wissenschaftler davor, den PSA-Wert als Marker für Prostatakrebs zu verwenden. Dies würde zu vielen unnötigen Operationen führen. Das selbe passiere auch durch das Brustkrebsscreening. So zeigte sich beispielsweise, dass nur eine von zehn Frauen, bei denen im Verlauf der Mammografie ein verdächtiger Befund erstellt wurde, tatsächlich auch an Brustkrebs erkrankte. "Die neuen CT-Screenings der Lunge liefern bei bis zum jedem Vierten auffällige Befunde", sagt Rudolf Kaaks, Leiter der Epidemiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum, zum Magazin Spiegel. "Die optimale Balance zwischen Leben retten durch Früherkennung und falschen Diagnosen haben wir noch nicht gefunden."
Krebs ist nicht gleich Krebs
Bei den Menschen kommt das Wissen aber nicht an. Die meisten würden den Nutzen der Früherkennung überschätzen. Aus diesem Grund entscheidet die Angst mit und die allermeisten Patienten entscheiden sich dafür, Auffälligkeiten weiter untersuchen bzw. entfernen zu lassen. Das ist dann jedoch mit vielen Risiken verbunden. Dabei sind Krebserkrankungen und deren Vorstufen sehr verschieden. Ausschlaggebend sind zum Beispiel Alter, Ernährung, Genetik, Lebensstil und Geschlecht. Zudem entwickeln sich Zellen noch immer vielfältig, so dass dies auch von hochspezialisierten Ärzten nicht immer verstanden werden kann. So kann nicht vorher gesagt werden, ob ein kleiner Tumor in der Brust sehr schnell wächst oder nie Probleme bereiten wird.
Kritik an der Neustrukturierung
Aus diesem Grund befinden andere Experten die Reform für einen Fehlgedanken. "Ich wünschte, wir wüssten, welche Vorstufen in einen aggressiven Tumor übergehen und welche nicht", sagte Larry Norton, Direktor des Evelyn Lauder Breast Center gegenüber der New York Times. "Aber Sie können nicht Jahrhunderte alte Literatur umschreiben, weil Sie plötzlich die Terminologie ändern wollen." (sb)
Bild: Rainer Sturm / pixelio.de
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