Ungenügende Krankenversorgung durch verweigerte Kassenleistungen?
25.08.2013
In Deutschland wird Patienten immer öfter benötigte Hilfe verweigert. Die gesetzlichen Krankenkassen tendieren häufiger dazu, Leistungen wie Krankengeld, RehaMaßnahmen oder Hörgeräte abzulehnen. Dies gehe aus Zahlen des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes hervor. Auch der Bundesgesundheitsminister hat sich jetzt eingeschaltet.
Hunderttausende negative Bescheide
Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland verweigern ihren rund 70 Millionen Mitgliedern immer häufiger benötigte Hilfen. Hunderttausende Krankenversicherte hätten von ihrer Versicherung im Jahr 2012 einen negativen Bescheid zu Leistungen wie Reha-Maßnahmen, Hilfsmitteln oder Krankengeld erhalten, berichtet die Nachrichtenagentur „dpa“ unter Berufung auf aktuelle Zahlen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). So kamen in 16 Prozent aller von den Krankenkassen initiierten Überprüfungen zur Arbeitsunfähigkeit Gutachter zum Ergebnis, dass die Arbeitnehmer gesund seien und wieder arbeiten könnten. Von den fast 700.000 überprüften Anträgen zu Reha-Leistungen seien 39 Prozent abgelehnt worden und bei Hilfsmitteln wie Hörgeräten wurden fast 500.000 Gutachten erstellt, wobei es in 37 Prozent der Fälle negative Urteile gab.
Politik schaltet sich ein
Der rheinland-pfälzische CDU-Bundestagsabgeordnete Erwin Rüddel, der seine Fraktion im Gesundheitsausschuss des Berliner Parlaments als Berichterstatter für Patientenrechte vertritt weist darauf hin, dass die Kassen durch das neue Patientenrechtegesetz verpflichtet seien, innerhalb von drei Wochen über Versicherten-Anträge zu entscheiden. „Sollten die Kassen diese Vorschrift dahingehend interpretieren, dass sie Anträge ‚vorsichtshalber‘ erst einmal ablehnen, so würde das den Sinn des Gesetzes in sein Gegenteil verkehren. Deshalb werden wir die Praxis der Krankenkassen im Umgang mit den Anträgen ihrer Versicherten jetzt sehr genau unter die Lupe nehmen“, so Rüddel. Auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) wurde nun aktiv. Laut BILD.de schrieb er an den Spitzenverband der gesetzlichen Kassen (GKV) und an die oberste Kassenaufsicht Bundesversicherungsamt einen strengen Brief, in dem er „Prüfung und Stellungnahme“ zu den Vorwürfen „der Ablehnung von Leistungen durch gesetzliche Krankenkassen“ verlange. Am 28. August ende die Frist für eine Antwort.
Widerspruch einlegen
Experten verweisen darauf, dass es möglich und sinnvoll sein könne, Widerspruch gegen abgelehnte Maßnahmen einzulegen. Auch Rüddel empfiehlt Betroffenen einen möglichen Ablehnungsbescheid nicht einfach hinzunehmen: „Hiergegen kann selbstverständlich Widerspruch eingelegt werden, und der behandelnde Arzt kann ein zweites Gutachten einfordern. Zudem steht in solchen Fällen allen Bürgern die Unabhängige Patientenberatung Deutschlands mit Rat und Tat zur Seite.“
Psychisch Kranke und gebrechliche Alte
Für bestimmte Patientengruppen ist dies jedoch kaum möglich. So sind etwa gebrechliche alte Menschen und psychisch Kranke der Krankenkassenbürokratie oft hilflos ausgeliefert. Für manche dieser Patienten komme zu den Leiden der Krankheit noch hinzu, dass sie mit unsensiblem Verhalten des Krankenkassenpersonals konfrontiert werden. So käme es zu Anrufen, die Kranken wieder zur Arbeit zu motivieren. Arbeitnehmer verschweigen psychische Erkrankungen zudem oft aus Angst, ihren Job zu verlieren, oder aus Scham. Denn psychische Erkrankungen gelten immer noch als Tabu.
Krankenkassen als Gewinner
Die Gewinner dieser Praktiken sind wohl die Krankenkassen selbst. So verbessert jede abgelehnte Leistung die Bilanz der Kasse. Den Krankenkassen wird zudem seit 2009 für besonders kostenintensive Patienten ein Risikostrukturausgleich gewährt, der jedoch für psychisch Kranke entfalle. Diese Patientengruppe solle also möglichst schnell wieder arbeiten oder gar die Kasse verlassen. Um so größer wird das Unverständnis, wenn man auch noch einen Blick auf den Kassenstand wirft. So haben die gesetzlichen Krankenkassen im ersten Quartal des Jahres 2013 einen Einnahmeüberschuss von 850 Millionen Euro erwirtschaftet. Dies offensichtlich auch unter anderem wegen abgelehnten Leistungen. Von einigen Kassen werden zwar Prämien an ihre Mitglieder ausgezahlt, jedoch nur denen, die ohnehin kaum Kosten verursachen würden.
Ärzte steigern Einnahmen
Während Patienten immer weniger Hilfen gewährt werden, steigerten neben den Krankenkassen auch die Ärzte ihre Einnahmen. Dies wird teils auch von den Kassen kritisiert. So sagte der Vorstand des AOK-Bundesverbands, Uwe Deh dem Magazin „Focus“: „Offen bleibt, welchen Gegenwert die Versicherten für ein Einkommensplus von 17 Prozent erhalten haben.“ Es sei nicht hinnehmbar, dass einzelne Arztgruppen ihr Einkommen um bis zu 35 Prozent steigern konnten und andere hingegen gar nicht. Ein weiteres Problem, das durch abgelehnte Krankenkassen-Leistungen verstärkt werde, ist das Prinzip der Selbstmedikation. So kämen in Apotheken mittlerweile auf jedes verkaufte verschreibungspflichtige Medikament ein frei verkäufliches. Noch vor zehn Jahren waren es nur halb so viele. Kassenpatienten müssten also nicht nur auf verschiedenste Leistungen verzichten, sondern zahlen obendrein ihre Medikamente häufiger aus eigener Tasche. (ad)
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