Trauma in der Kindheit brennt sich in das Erbgut
03.12.2012
Traumatisierende Erlebnisse in der Kindheit, wie Gewalt, Missbrauch oder tragische Todesfälle, haben ein deutlich erhöhtes Risiko psychischer Erkrankungen im späteren Lebensverlauf zur Folge. Ein internationales Forscherteam um Elisabeth Binder vom Max-Planck-Instituts für Psychiatrie München konnte nun einen molekularen Effekt entschlüsselt, der diese erhöhte Anfälligkeit für psychische Erkrankungen bedingt.
Laut Angaben der Forscher führen die Traumatisierungen im Kindesalter und der hiermit verbundene hohe Stress zu dauerhaften Veränderungen in der Regulation der Gene. „Manche Varianten des FKBP5-Gens werden durch ein frühes Trauma epigenetisch verändert“, was „bei Menschen mit dieser genetischen Veranlagung eine dauerhafte Fehlregulation des Stresshormonsystems“ verursacht, berichtet das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in einer aktuellen Pressemitteilung. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen haben die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature Neuroscience“ veröffentlicht.
Lebenslange Beeinträchtigungen durch traumatische Kindheitserlebnisse
Das Missbrauch und Gewalterfahrungen in der Kindheit die Betroffenen ein Leben lang beeinträchtigen können, ist seit langem bekannt. Auch die erhöhte Anfälligkeit für psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Phobien wurde in diesem Zusammenhang bereits vielfach diskutiert. Doch blieben mögliche molekulare Zusammenhänge dabei bislang außen vor. Das internationale Forscherteam um Elisabeth Binder hat daher im Rahmen einer umfassenden Studie das Erbmaterial von knapp 2.000 Afro-Amerikanern untersucht, „die als Erwachsene oder auch bereits als Kinder mehrfach schwer traumatisiert wurden“, berichtet das Max-Planck-Institut. Rund ein Drittel der Probanden war psychisch krank und zeigte in Folge der durchlebten Ereignisse eine Posttraumatischen Belastungsstörung, während die übrigen Studienteilnehmern ihre traumatischen Erlebnisse offenbar besser verarbeiten konnten. Die Wissenschaftler verglichen die genetischen Sequenzen von erkrankten und nicht erkrankten Traumaopfern , um „den Mechanismus dieser Gen-Umweltinteraktion“ aufzuklären und herauszufinden, welcher genetische Effekt hinter dem erhöhten Erkrankungsrisiko steckt.
Spezielle Gen-Variante bedingt ein erhöhtes Risiko psychischer Erkrankungen
Tatsächlich sei das „Risiko an Posttraumatischer Belastungsstörung zu erkranken mit steigender Schwere der Misshandlung nur in den Trägern einer speziellen genetischen Variante im FKBP5-Gen“ zu beobachten gewesen, so die Mitteilung des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie. Lediglich Probanden mit entsprechender genetischer Veranlagung wiesen demnach ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko nach traumatischen Ereignissen in der Kindheit auf. Die Variante des FKBP5-Gens bildet demnach den Schlüssel für die vermehrt auftretenden psychischen Erkrankungen nach kindlichen Trauma-Erlebnissen. Das Gen „bestimmt, wie wirkungsvoll der Organismus auf Stresshormone reagieren kann, und reguliert so das gesamte Stresshormonsystem“, erläuterte das Max-Planck-Institut die Funktion von FKBP5.
Genetische Veränderungen durch Kindheitstrauma
Die Wissenschaftler wiesen in Experimenten an Nervenzellen nach, dass „extremer Stress und somit hohe Konzentrationen an Stresshormon eine sogenannte epigenetische Veränderung“ des FKBP5-Gens bewirken. So werde „an dieser Stelle eine Methylgruppe abgespalten, was die Aktivität von FKBP5 deutlich erhöht“, erläutert das Max-Planck-Institut für Psychiatrie. Der Effekt werde vor allem durch Traumata im Kindesalter bedingt. Studienteilnehmern, die ausschließlich im Erwachsenenalter traumatisiert wurden, zeigten demnach „keine krankheitsassoziierte Demethylierung im FKBP5-Gen.“ Der ebenfalls an der Studie beteiligte Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, Torsten Klengel, erläuterte, dass Traumata im Kindesalter je nach genetischer Veranlagung dauerhafte Spuren auf der DNA hinterlassen. Durch die epigenetischen Veränderungen im FKBP5-Gen werde „eine anhaltende Fehlsteuerung der Stress-Hormonachse beim Betroffenen“ bedingt, die schlimmstenfalls „in einer psychiatrischen Erkrankung enden kann.“ Laut Aussage des Experten ist eine der entscheidenden Erkenntnisse der aktuellen Studie, „dass die Stress-induzierten epigenetischen Veränderungen nur dann auftreten können, wenn auch diese spezielle DNA-Sequenz“ vorliegt.
Neue Behandlungsstrategien bei psychischen Erkrankungen nach Kindheitstrauma
Die Ergebnisse der Forscher sind einerseits ein wichtiger Beitrag zum „Verständnis von psychiatrischen Erkrankungen als Folge der Interaktion von Umwelt- und genetischen Faktoren“, können anderseits jedoch auch helfen „Menschen individualisiert zu behandeln, bei denen vor allem eine Traumatisierung in früher Jugend das Erkrankungsrisiko erheblich vergrößert hat“, berichtet das Max-Planck-Institut für Psychiatrie. „Diese Identifizierung von molekularen Mechanismen der Genotyp-bedingten langfristigen Umwelt-Reaktivität wird nützlich sein für die Gestaltung effektiver Behandlungsstrategien für stressbedingte Störungen“, schreiben die Forscher in dem „Nature Neuroscience“-Artikel.
Die aktuellen Ergebnisse werfen jedoch auch die Frage auf, ob die durch kindliche Trauma bedingten epigenetischen Veränderungen möglicherweise auch an die Kinder der erkrankten Trauma-Opfer weitergegeben werden. Dies muss nun in weiteren Studien untersucht werden. Zudem besteht auf Seiten der Forscher auch die Hoffnung, die zugrundeliegenden Prozesse mit Medikamenten zukünftig rückgängig machen zu können, was ebenfalls in künftigen Untersuchungen überprüft werden sollte. (fp)
Lesen Sie auch:
Die Qual der Erinnerungen beim Trauma
Gehirnschäden durch Misshandlungen in der Kindheit
Kindesmisshandlungen hinterlassen Narben in Gehirn
Höheres Erkrankungsrisiko durch Traumatisierungen
Bild: Martin Schemm / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.