Studien zu HES-Infusionsmittel über Jahre gefälscht?
09.07.2013
Skandal um möglicherweise gefährliche Infusionen aus dem Tropf. Infusionen auf Basis von Hydroxyethylstärke (HES) werden seit Jahrzehnten in der Notfall- und Intensivmedizin als sogenannte kolloidale Volumenersatzmittel (Blutplasma-Ersatzstoff) eingesetzt. Bei massiven Blutverlusten oder drohendem hypovolämischen Schock sollen sie den Zustand der Patienten stabilisieren. Möglicherweise ist jedoch das Gegenteil der Fall.
Mehrere jüngere Studien haben Hinweise darauf ergeben, „dass HES in der Therapie kritisch kranker Patienten ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis haben könnte“, berichtete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Das Nachrichtenmagazin „Focus“ kommt in einem aktuellen Artikel sogar zu der Einschätzung, es spreche „viel dafür, dass die Risiken lange durch gefälschte Studien verdeckt wurden.“ Im März hatte das BfArM ein Risikobewertungsverfahren auf europäischer Ebene ausgelöst, um das Nutzen-Risiko-Verhältnis von HES-Präparaten grundlegend zu überprüfen. Das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur hatte anschließend nach einer ersten Bewertung im Juni 2013 eine Aussetzung der Zulassungen für HES-Infusionslösungen empfohlen.
Erhöhte Sterblichkeit durch HES-Infusionsmittel?
Medizinern wird vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte empfohlen, die gängigen HES-Infusionslösungen nicht länger zu verwenden. Den Notarztstellen und Kliniken rät BfArM-Präsident Walter Schwerdtfeger in einem Gespräch mit dem „Focus“, verstärkt andere Infusionslösungen als HES zu bevorraten. „Sie müssen sich darauf einrichten, dass die Zulassung von HES auf europäischer Ebene in den nächsten Monaten eingegrenzt oder ausgesetzt wird“, so Schwerdtfeger weiter. Das PRAC kam im Juni zu dem Schluss, dass die HES-Infusionen im Vergleich zu sogenannten Kristalloiden-Infusionslösungen ein höheres Risiko von Nierenschädigungen und eine erhöhte Sterblichkeit mit sich bringen. Insbesondere der Einsatz bei Patienten mit Sepsis hatte sich in den jüngeren Studien als ungünstig erwiesen.
Studien zu den HES-Infusionsmitteln gefälscht?
Der „Focus“ kommt in seinem aktuellen Artikel zu dem Schluss, dass „eine Reihe von älteren, aufgrund wissenschaftlichen Fehlverhaltens mittlerweile zurückgezogenen Untersuchungen des deutschen Mediziners B.“ zu der seit mehr als 40 Jahren verbreiteten Anwendung der HES-Infusionen beitrug. Hier seien auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen im Gange, wobei Körperverletzung.einen der Verdachtsmomente bilde. Der Mediziner habe sich gegenüber dem Blatt nicht äußern wollen, soll dem „Focus“ zufolge jedoch „mit einer ehemaligen hochrangigen Mitarbeiterin des HES-Weltmarktführers Fresenius (Bad Homburg) verheiratet“ sein. Hier liegt der Verdacht nahe, dass möglicherweise ein Interessenkonflikt bestanden haben könnte. Zwar nahm der Fresenius-Sprecher Matthias Link hierzu aus „Datenschutzgründen“ keine Stellung, doch sieht der Konzern sein Infusionsmittel offenbar zu unrecht am Pranger. „Wir fordern eine Neubewertung“, zitiert der „Focus“ den Fresenius-Sprecher. Das negative Urteil des erstinstanzlichen EU-Gremiums wecke einen falschen Eindruck, denn wenn überhaupt, hätten die neuen Studien ein erhöhtes Risiko nur bei Anwendung von HES gegen eine sich anbahnende Sepsis ergeben, erläuterte Link.
Sollte sich die vorläufige negative Nutzen-Risiko-Bewertung der HES-Infusionsmittel bestätigen, ist mit einem zeitnahen Verlust der Zulassung zu rechnen. Doch stellt sich die Frage, wie viele Menschen tatsächlich in den vergangenen Jahrzehnten möglicherweise schon durch entsprechenden Infusionen zu Schaden gekommen sind. (fp)
Bild: Herbert Käfer / pixelio.de
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