Stammzellenforschung: Gehirnzellen aus Urin wecken neue Hoffnung für Alzheimer-Patienten
11.12.2012
Urin als Heilmittel? Was zunächst etwas befremdlich klingt, haben Forscher des chinesischen Instituts für Biomedizin und Gesundheit in Guangzhou in einer neuen Studie gezeigt – und wecken damit neue Hoffnungen für Patienten, die an neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson leiden.
Für die Studie, die am 9. Dezember im Wissenschaftsmagazin „Nature Methods“ veröffentlicht wurde, haben Dr. Duanqing Pei, Professor für Stammzellenbiologie und Präsident des Guangzhou- Institutes of Biomedicine and Health (GIBH) und sein Team aus menschlichem Urin Zellen isoliert, die sich in Gehirnzellen umwandeln lassen – und damit eine Möglichkeit geschaffen, den Bereich der embryonalen Stammzellen zu umgehen.
Alternative zu embryonalen Stammzellen
Das Thema embryonale Stammzellen in Forschung und Medizin gilt unter Kritikern als ethisch fragwürdig – denn um menschliche embryonale Stammzellen zu gewinnen, ist es notwendig, frühere menschliche Embryonen zu zerstören. Eine mögliche Lösung bieten hier die sogenannten „induziert pluripotenten Stammzellen“, Zellen, die künstlich produziert werden, indem Stammzellen eines Patienten in Zellen eines früheren Entwicklungsstadiums zurück verwandelt werden. Die Basis für diese Forschungen bildeten bisher Blut- oder Hautzellen – doch das chinesische Forscherteam um Prof. Duanqing Pei verwendete nun erstmals Urin als Grundlage, dnn dieser bietet den großen Vorteil, dass er unkomplizierter und schneller zur Verfügung steht.
Für ihre Studie extrahierten die Wissenschaftler aus dem Urin dreier Probanden im Alter von 10, 25 und 37 Jahren Zellen und wandelten diese in Zellen um, die den induziert pluripotenten Stammzellen “stark ähnelte“ – und dieses in einem relativ kurzen Zeitraum von 12 Tagen, andere Methoden hatten bisher die doppelte Zeit in Anspruch genommen.
Schon 2011 erste Erfolge mit Urin
Bereits letztes Jahr war es dem chinesischen Forscher-Team gelungen, aus Urin pluripotente Stammzellen zu produzieren – allerdings nutzten die Wissenschaftler damals zur Einbringung der erforderlichen Gene Retroviren, zu denen auch das HI-Virus zählt, und die einen klaren Nachteil mit sich bringen: Denn diese Viren wirken sich verändernd auf das Erbgut der Zellen aus und macht diese unberechenbarer, was unter Umständen auch bedeuten könne, dass solche wuchern und im schlimmsten Falle Krebs auslösen könnten.
Neue Methode mit weniger Risiken
Für ihre aktuellen Untersuchungen modifizierten die Forscher nun ihre Methode: Sie verwendeten winzige Stücke einer DNA eines Bakteriums, die zwar den Zustand der Zelle verändern, sich aber nicht dauerhaft auf das Erbgut auswirken – und sich somit das Risiko unberechenbarer Entwicklungen minimieren ließe.
Um sich der Ergebnisse zu vergewissern, ließen die chinesischen Wissenschaftler die gewonnenen Zellen zusätzlich in einer Nährlösung weiterwachsen und konnten Erfreuliches feststellen: Denn tatsächlich hatten sich auf diesem Wege funktionstüchtige Nervenzellen (Neuronen) entwickelt, die anschließend in die Gehirne frisch geborener Ratten injiziert wurden. Das Resultat: Nach vier Wochen hatten sich die Zellen in das Neuronen-Netzwerk eingefügt, ohne Tumore zu bilden.
Doch die Forschung von Duanqing Pei und seinen Kollegen ist noch nicht am Ende: In einem nächsten Projekt sei geplant, aus dem Urin von Alzheimer- und Parkinson-Patienten Zellen zu isolieren, um zu untersuchen, inwiefern diese möglicherweise zur „Wiederherstellung“ angegriffener Neuronen dienen könnten.
Methode verspricht großes Potenzial für die Forschung
Die Ergebnisse der chinesischen Experten stoßen in Fachkreisen auf großen Zuspruch, denn die angewendete Methode biete hohes Potenzial für die Forschung: "Damit könnten wir die Dinge deutlich beschleunigen", so etwa die Meinung des Autismus-Spezialisten James Ellis vom Kinderkrankenhaus in Toronto (Kanada) auf Nachfrage des Magazins „Nature“. Denn auch er sei auf pluripotente Stammzellen für die Erforschung möglicher genetischer Ursachen für Autismus angewiesen – und gerade bei der Arbeit mit Kindern sei eine Urin-Probe deutlich leichter zu bekommen, als eine Blut- oder Hautprobe.
Und auch wenn eine tatsächliche Anwendung der Methode bei der Behandlung neurodegenerativer Krankheiten sicherlich noch viel Zeit und weitere Studien in Anspruch nehmen würde – möglicherweise haben die chinesischen Wissenschaftler mit ihrem Ansatz neue Wege für die Forschung in diesem Bereich geschaffen. Ein kurzes Abstract der Studie "Generation of integration-free neural progenitor cells from cells in human urine" finden Sie hier. (sb)
Bild: Gerd Altmann / pixelio.de
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