Ombudsmann hilft, wenn Ärzte das Vertrauen ihrer Patienten missbrauchen
21.05.2013
Immer wieder machen Fälle von Missbrauch durch Ärzte Schlagzeilen – so etwa ein Gynäkologe aus der Pfalz, der während der Untersuchung hunderte Patientinnen fotografiert und gefilmt haben soll oder ein Narkosearzt aus Bayern, der wegen des Missbrauchs von neun Mädchen im Alter von zehn bis zwölf Jahren zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Um Betroffenen Unterstützung zu bieten, hat die Landesärztekammer Hessen nun eine „Ombudsstelle für Fälle von Missbrauch in ärztlichen Behandlungen“ eingerichtet, die in den ersten Wochen seit Bestehen einen regen Zulauf verzeichnet.
Übergriffe in Praxen oder Kliniken werden oft verschwiegen
Grenzverletzungen und Missbrauch kommen auch dort vor, wo sich Patienten eigentlich gerade sicher fühlen sollten: beim Arzt. Doch auch wenn Fälle wie in der Pfalz oder Bayern glücklicherweise relativ selten sind, fangen Übergriffe in Praxen oder Klinik bereits viel früher an, denn „dabei geht es nicht nur um sexuellen Missbrauch, sondern auch um die Ausnutzung der Abhängigkeit des Patienten und um Machtmissbrauch“, so die Landesärztekammer Hessen.
Seit März erste Ombudsstelle für Fälle von Missbrauch in ärztlichen Behandlungen in Hessen
Da solche Übergriffe immer wieder vorkommen, häufig aber verschwiegen werden, hat die Landesärztekammer Hessen im März dieses Jahres nun als erste Ärztekammer in Deutschland eine so genannte „Ombudsstelle“ für Fälle von Missbrauch in ärztlichen Behandlungen eingerichtet, an die sich Betroffene nun direkt, unbürokratisch und vor allem vertrauensvoll wenden können – dies sei laut der Ärztekammer besonders wichtig, denn „viele Patientinnen und Patienten haben große Schwierigkeiten, mit Erfahrungen von Missbrauch in einer Behandlung umzugehen.“ So würden einige Betroffene beispielsweise davon ausgehen, sofort Strafanzeige stellen zu müssen, inklusive aller dazugehörigen polizeilichen und juristischen Konsequenzen – doch „zu einem solchen Schritt wollen oder können sie sich meist nicht entschließen, sei es aus Scham oder Schuldgefühlen, aus Furcht vor Beschämung während eines solchen Verfahrens oder aber auch, um den betreffenden Arzt aus emotionaler Verbundenheit und Abhängigkeit zu schützen“, so die Ärztekammer weiter.
Bisher etwa 25 Fälle für den Ombudsmann
Im Rahmen der Ombudsstelle steht nun also den Betroffenen ein neutraler Gesprächspartner zur Verfügung, mit dem das Geschehene besprochen und mögliche Folgeschritte geklärt werden können – als Ombudsmann benannte das Präsidium der Landesärztekammer Dr. med. Meinhard Korte, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Facharzt für Allgemeinmedizin. Seit Schaffung der Beratungsstelle Mitte März sei das Angebot etwa 25 Mal in Anspruch genommen worden, dabei lag "ein klarer Missbrauch des Arzt-Patienten-Verhältnisses [.] nur in wenigen Fällen vor", so Meinhard Korte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa
In den meisten Fällen würden sich Patienten stattdessen über mangelndes Einfühlungsvermögen oder eine zwischenmenschlich schlechte Behandlung beschweren, so der Mediziner – dennoch würde aber auch von tatsächlichen Missbrauchsfällen aus der Vergangenheit erzählt. So habe zum Beispiel eine Mutter Hilfe gesucht, da sie unsicher war, ob das Verhalten des Arztes ihrer behinderten Tochter noch „korrekt“ sei.
Beratungsstelle verzeichnet großen Gesprächsbedarf
Nach Ombudsmann Korte könnte nach den ersten zwei Monaten ein „großer Gesprächsbedarf“ bilanziert werden – so wären zwar bisher keine strafrechtlich relevanten Fälle dabei gewesen, doch dies würde nicht die Notwendigkeit der Beratungsstelle in Frage stellen. Stattdessen bestehe seine zentrale Aufgabe darin, mit den Betroffenen gemeinsam zu klären, ob es sich um einen Fall von Missbrauch oder Grenzverletzung handelt oder nicht. Um diese Frage zu klären, sei das Motiv des Arztes ausschlaggebend: „Missbrauch ist, wenn das Arzt-Patienten-Verhältnis ausgenutzt wird, um ein persönliches Bedürfnis zu befriedigen“, so der Ombudsmann. Dementsprechend müsse die Frage gestellt werden: „Dient das Handeln des Arztes der Behandlung oder widerspricht es diesem Ziel?"
In seltenen Fällen sind auch Ärzte die Opfer
In sehr seltenen Fällen käme es laut Korte auch zum umgekehrten Fall – denn Patienten könnten das Verhältnis zu ihrem Arzt ebenso ausnutzen. Dementsprechend könnten sich auch Ärztinnen und Ärzte an die Ombudsstelle wenden, „um Fragen und Probleme mit Grenzwahrung und Missbrauch in Behandlungen zu bearbeiten und sich beraten zu lassen“, so die Ärztekammer. So gab es nach Korte zum Beispiel den Fall eines Psychotherapeuten, der Rat suchte, da eine Patientin ihn des Missbrauchs beschuldigte – nach dem er ihren Wunsch nach einer intimen Beziehung abgelehnt hatte. Die Dame hatte den Arzt angezeigt, dieser konnte das Gericht jedoch von seiner Unschuld überzeugen.
Kritik: Einrichtung müsste völlig unabhängig sein
Auch für den Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, Wolfram-Arnim Candidus, stellt die neue Beratungsstelle eine sinnvolle Einrichtung dar – doch um Betroffenen tatsächlich helfen zu können, müssten solche Einrichtungen voll und ganz unabhängig sein, das heißt also statt von einem Arzt geleitet und durch Steuern finanziert, eher bei einer nicht-ärztlichen Stelle angesiedelt, so Candidus. So bestehe seiner Ansicht nach ein kleines Risiko, dass diese eine "Schaufensterveranstaltung" der Landesärztekammer sein könne, die unter Umständen sogar dazu dienen könne, Betroffene davon abzuhalten, sich polizeiliche oder juristische Hilfe zu suchen.
Idee: Eine allgemeine Ombudsstelle für alle Probleme in der medizinischen Versorgung
Dies sei nach Dr. Korte keineswegs beabsichtigt, dennoch aber eine häufige Reaktion auf die Beratung, denn "wenn Ratsuchende die Erfahrung machen, dass sie und ihr Anliegen ernst genommen werden, können auch Alternativen zur juristischen Aufarbeitung ins Blickfeld rücken“, so der Ombudsmann gegenüber der dpa. Hierzu würde beispielsweise auch der Kontakt zu dem entsprechenden Arzt zählen, wobei Korte diesen auf Wunsch des Patienten herstellen könne. Für Candidus wäre dennoch eine Ombudsstelle "für alle Probleme in der medizinischen Versorgung" eine sinnvollere Lösung als Einzellösungen etwa für Missbrauch oder Behandlungsfehler, denn dann könnten Patienten auch in allen anderen Bereichen Beschwerde einreichen oder Rat finden, zum Beispiel wenn im Falle akuter Beschwerden kein Arzttermin zu bekommen sei. (nr)
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