Erstmals einzunehmender Wirkstoff gegen Multiple Sklerose zugelassen
22.03.2011
Die Europäischen Arzneimittelkommission (EMA) hat einen neuen Wirkstoff für die Behandlung der schubförmigen remittierenden Multiplen Sklerose (englisch relapsing remitting, kurz RRMS) zugelassen. Für die Betroffenen verspricht das unter dem Handelsnamen Gilenya® verfügbare Präparat eine erheblich angenehmere Anwendung, da statt der bisher üblichen Injektionen einmal tägliche der Wirkstoff Fingolimod oral eingenommen wird. Allerdings warnen Experten auch vor den nicht minderen Nebenwirkungen des neuen MS-Arzneimittels. Während einer Studie waren zwei Probanden verstorben.
Die EMA hat mit ihrer Entscheidung für die Zulassung des neuen Wirkstoffs zur Behandlung der RR-Mulitple Sklerose (RRMS) den Ergebnissen mehrere Studien Rechnung getragen, wobei zuletzt zwei großen Phase III Studien (FREEDOMS, TRANSFORMS) belegen konnten, dass Fingolimod die jährlichen Schubraten, die Progression der Behinderung und die Zahl der entzündlichen Hirnläsionen bei MS-Patienten günstig beeinflussen kann. Die Nebenwirkungen wie Influenza-Infektionen, Kopfschmerzen, Durchfall, Rückenschmerzen, Erkältungen sowie erhöhte Leberwerte und Lymphopenien (Lymphozytenmangel), sind nach Einschätzung der EMA bei einer erfolgversprechenden Behandlung der schubförmigen remittierenden Multiplen Sklerose vertretbar.
Erstmals oral einzunehmender Wirkstoff gegen MS
Multiple Sklerose kann als chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems künftig mit Hilfe des täglich oral einzunehmende Wirkstoffes Fingolimod behandelt werden. „Für viele Betroffene, die mit den Injektionen der handelsüblichen Wirkstoffe nicht ausreichend therapiert sind, gibt es jetzt eine neue Option mit einem Plus an Lebensqualität“, betonte der Vorstandssprecher des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS), Professor Heinz Wiendl. Auch das KKNMS begrüßte die Zulassung des Wirkstoffes zur Behandlung der RR-Multiple Sklerose, „allerdings fordern wir unsere Kollegen, die niedergelassenen und klinisch tätigen Neurologen, dazu auf, Fingolimod erst nach sorgfältiger Prüfung des Risiko-Wirksamkeitsprofils zu verschreiben, da das Medikament tief ins Immunsystem der Patienten eingreift“, warnte Professor Heinz Wiendl. „Spritzenmüdigkeit per se ist keine Indikation“, die den Einsatz des Wirkstoffes rechtfertige, so der Experte weiter. Das KKNMS empfiehlt insbesondere aufgrund der drohenden Nebenwirkungen einen sorgsamen Umgang mit dem neuen Medikament.
Zulassung des neuen MS-Medikamentes mit Beschränkungen
Fingolimod wirkt bei der Behandlung von Multiple Sklerose als sogenannter Sphingosin-1-Phosphat (S1P)-Rezeptor-Modulator und leitet eine reversible Umverteilung der zirkulierenden Lymphozyten in die Lymphknoten ein. Die Lymphozyten werden für die Entstehung von Entzündungen im zentralen Nervensystem und so für einen Großteil der Krankheitserscheinungen bei multipler Sklerose verantwortlich gemacht. Durch eine Umverteilung der Lymphozyten lassen sich daher deutliche positive Effekte bei der Behandlung von MS erzielen, wie auch die bisherigen Studien belegen. Darüber hinaus kann der neue Wirkstoff auch direkt mit Zellen des zentralen Nervensystems reagieren und hier einen schützenden Effekt sowie eine teilweise Wiederherstellung des Gewebes bewirken, begründet die EMA ihr positives Votum zur Zulassung von Fingolimod. Allerdings hat die EMA den Einsatz des neuen Wirkstoffes an bestimmte Auflagen gekoppelt. Fingolimod darf nur bei RRMS-Patienten eingesetzt werden, die trotz Interferon-Therapie weiterhin eine hohe Krankheitsaktivität aufweisen oder die zwei und mehr behindernde Schübe in einem Jahr erlitten und dabei eine oder mehrere Läsionen (kontrastmittelaufnehmende Krankheitsherde) in der Kernspintomografie aufwiesen, beschloss die EMA.
Zahlreiche Staaten erlauben Verwendung des MS-Medikamentes
Bereits vor zwei Monaten empfahl der beratende Ausschuss der EMA eine Zulassung des Wirkstoffes Fingolimod als einmal tägliche, orale Behandlung der RR-Multiplen Sklerose bei einer Dosierung von 0,5 Milligramm. In den Vereinigten Staaten hat die Arzneimittelzulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) Fingolimod bereits Ende September 2010 zugelassen, wobei die Genehmigung ohne die in Europa verhängten Beschränkungen erfolgte. Zeitgleich mit den USA wurde der Wirkstoff auch in der Schweiz und in Australien registriert. Auch auf dem kanadischen Markt ist Fingolimod mittlerweile zugelassen. Die EMA hat nun ebenfalls ein positives Votum erteilt, warnt jedoch angesichts der in den Phase III Studie festgestellten Nebenwirkungen vor einer leichtfertigen Verwendung.
Nebenwirkungen des neuen Wirkstoffes nicht zu unterschätzen
So habe beispielsweise die TRANSFORMS Studie zwei schwerwiegenden Herpesvirus-Infektionen mit Todesfolge verzeichnet. „Zwar wurden beide Patienten mit einer höheren Dosis behandelt als die nun zugelassenen 0,5 mg pro Hartkapsel, dennoch darf das nicht bagatellisiert werden“, betonte Prof. Wiendl. Zudem wurden mehrere Fälle von Lymphknotenvergrößerungen beobachtet, die möglicherweise durch die Therapie mit dem neuen Wirkstoff ausgelöst wurden. Prof. Wiendl unterstrich, dass in Summe damit zu rechnen ist, „dass unter Behandlung mit Fingolimod Komplikationen auftreten können, deren Folgen sich derzeit schwer abschätzen lassen.“ Daher plädierte der Experte des KKNMS „für ein engmaschiges Monitoring, dessen Ergebnisse in einem Sicherheitsregister erfasst werden“ sollten. Das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose arbeite derzeit an praktischen Hinweisen zur Medikation und werde diese demnächst über seine Homepage und die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Verfügung stellen, erklärte Prof. Wiendl. (fp)
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