Bundesärztekammer: Ärzteverbrechen im Nationalsozialismus unzureichend aufgeklärt
24.03.2011
Die Bundesärztekammer (BÄK) hat bei der Aufarbeitung des Verhaltens und der Lebenssituation von Mediziner in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus erhebliche Lücken aufgedeckt. Der im Auftrag der BÄK mit dem Thema befasst Professor für Neuere Geschichte, Robert Jütte, hat den Stand der Forschung nun in dem Buch „Medizin und Nationalsozialismus: Bilanz und Perspektiven der Forschung“ veröffentlicht.
Mit dem bisherigen Forschungsstand zur nationalsozialistischen Vergangenheit in der Medizin hat sich der Professor für Neuere Geschichte und Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch Stiftung (Stuttgart) im Auftrag der BÄK intensiv auseinandergesetzt und bestehende Lücken in der Aufarbeitung dargestellt. Klar ist, dass „Ärzte (…) in der Zeit des Nationalsozialismus aktiv an der systematischen Ermordung von Kranken mitgewirkt“ haben, betonte der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, bei Vorstellung des Forschungsberichtes.
Aufklärungslücken in der Medizinhistorie des Nationalsozialismus
Obwohl bereits zahlreiche Forschungsarbeiten sich mit der Medizinhistorie im Nationalsozialismus befasste haben und insbesondere die Verbrechen in den Konzentrationslagern sowie die Ermordung von psychisch Kranken und Behinderten thematisiert wurde, bestehen nach Aussage von Professor Robert Jütte immer noch erhebliche Lücken in der medizinhistorischen Aufarbeitung der Nazivergangenheit. Der Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin hatte im Auftrag der BÄK den Stand der Forschung dargestellt und dabei auf bestehende Lücken hingewiesen. Zum Beispiel sei die Geschichte jüdischer Ärzte und Krankenhäuser bisher nur wenig beleuchtet worden. Wenig untersucht ist nach Aussage von Prof. Jütte auch die Rolle der jüdischen Ärzte, die auch zu Beginn der Hitlerzeit noch als „Krankenbehandler“ von Juden arbeiteten. Von den mehr als 8.000 jüdischen Medizinern, die vor der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland tätig waren, übten 1938 nur noch rund 700 diese Tätigkeit aus, erklärte Prof. Jütte in seinem Forschungsbericht. Auch die Geschichte der jüdischen Krankenhäuser sowie das Verfahren mit alten und kranken Zivilisten bleibe bis heute weitgehend ungeklärt, so das Fazit des Experten zur Medizinhistorie des Nationalsozialismus.
Ärzte waren aktiv an der Ermordung von Kranken beteiligt
Auch die massenhaft Tötung von psychisch Kranken und behinderten Menschen wird von Prof. Jütte in seinem Forschungsbericht dargestellt. Was unter dem Begriff der Euthanasie bekannt wurde und dem Verständnis der Nationalsozialisten nach zur Reinheit der Rasse beitragen sollte, beschreibt nichts anderes als die Ermordung hunderttausender Menschen, erklärte der Experte. Auch Experimente, wie beispielsweise die Überlebenschancen nach einem Flugzeug im Wasser wurden mit lebenden Menschen durchgeführt. Zwangssterilisationen zur Vermeidung von Verunreinigungen der "arischen Rasse", waren in den Zeit des Nationalsozialismus ebenfalls relativ weit verbreitet. Insgesamt wirft der Forschungsbericht „Medizin und Nationalsozialismus: Bilanz und Perspektiven der Forschung“ ein düsteres Licht auf die Vergangenheit in der deutschen Medizin. Die Liste der menschenverachtenden Gräueltat scheint kein Ende zu nehmen. Prof. Jütte zufolge wurden während der Nazizeit mindestens 300.000 psychisch Kranke und geistig Behinderte ermordet sowie 400.000 Zwangssterilisationen durchgeführt. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, betonte: „Ärzte haben in der Zeit des Nationalsozialismus aktiv an der systematischen Ermordung von Kranken mitgewirkt“ und wer nicht aktiv beteiligt war, habe weggesehen und geschwiegen.
Jörg-Dietrich Hoppe sieht die Bundesärztekammer hier in einer besonderen Verantwortung zur Aufklärung der Medizinhistorie aus der Zeit des Nationalsozialismus. Er selber sei voraussichtlich der letzte BÄK-Präsident, der die Zeit noch persönlich miterlebt habe und umso wichtiger sei die historische Aufarbeitung, erklärte Hoppe. Weitere Forschungsarbeiten seien geplant, um die noch bestehenden Lücken zu schließen und dem medizinischen Nachwuchs einen Überblick zu den zentralen Themen der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik und der zugrundeliegenden menschenverachtenden Weltanschauung zu ermöglichen. In dem vorliegenden Forschungsbericht werden das Gesundheitswesen und die medizinische Forschung im Nationalsozialismus, die medizinische Praxis sowie die Brüche und die Kontinuitäten nach dem Kriegsende 1945 bereits äußerst anschaulich dargestellt. Doch bis heute bleibt die Medizinhistorie an dieser Stelle äußerst lückenhaft, betonte Prof. Jütte. (fp)
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