Krankenkassen plädieren für Schließung von 12.000 Arztpraxen
08.07.2011
Rund 12.000 Arztpraxen könnten laut einem im Auftrag des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen erarbeiteten Gutachten des Prognos-Instituts geschlossen werden, ohne das Defizite in der ärztlichen Versorgung auftreten würden. Der GKV-Spitzenverband forderte daher, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen gesetzlich dazu verpflichten werden sollten, überzählige Arztsitze aufzukaufen, wenn die ehemaligen Betreiber in den Ruhestand gehen.
Dem Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler, zufolge gehen die aktuellen Forderungen des GKV-Spitzenverbandes jedoch „völlig an der Realität vorbei“ und berücksichtigen „nicht die Interessen der Patienten“. Das Gutachten zum „Aufkauf von Arztpraxen als Instrument zum Abbau der regionalen Ungleichverteilung in der vertragsärztlichen Versorgung“ des Prognos-Instituts lasse wesentliche Faktoren unberücksichtigt, da die „kritisierte Überversorgung häufig nur auf dem Papier besteht und nicht den Bedarf abbildet“, betonte Köhler. Die stellvertretende Pressesprecherin des GKV-Spitzenverbandes, Ann Marini, unterstrich hingegen, dass mit der Anpassung des Versorgungsgesetzes die Möglichkeit eröffnet werde, die derzeit „ungünstige Verteilung der Ärzte zu korrigieren“.
Ärztemangel auf dem Land, Ärzteüberschuss in Ballungsgebieten
Immer wieder wurde in den vergangenen Monaten über einen möglichen Ärztemangel insbesondere in ländlichen Regionen diskutiert. Dabei haben die gesetzlichen Krankenversicherungen stets darauf verwiesen, dass dem Mangel im ländlichen Raum ein Ärzteüberschuss in den Ballungsgebieten gegenüberstehe. Es bedürfe daher lediglich einer Umverteilung, um das Defizit in den peripheren Regionen auszugleichen, so der Standpunkt des GKV-Spitzenverbandes. In diesem Zusammenhang müsse auch über die Schließung von Arztpraxen in den überversorgten Ballungsgebieten nachgedacht werden. Diesen Standpunkt hat der GKV-Spitzenverband nun mit dem Gutachten des Prognos-Instituts untermauert. 12.000 Arztpraxen könnten demnach geschlossen werden, ohne das Versorgungsdefizite auftreten. Rund 7.000 Ärzte könnten bereits in den nächsten fünf Jahren in den Ruhestand gehen, ohne dass bei einer Schließung ihrer Praxen der Versorgungsgrad in den betroffenen Regionen unter 130 Prozent sinken würde, so das Ergebnis des Prognos-Instituts. Bei den bisherigen Vorgaben der Bedarfsplanung gelte indes bereits ein Versorgungsgrad von 110 Prozent als überversorgt. Auf Basis eines 110-prozentigen Versorgungsgrades wäre damit laut Prognos mittelfristig die Schließung von etwa 12.000 Arztpraxen möglich. Da der Praxisverkauf einen wesentlichen Faktor in der Altersabsicherung der Mediziner bilde, sollten die Praxen in den überbesetzten Regionen von den Kassenärztlichen Vereinigungen aufgekauft und anschließend geschlossen werden, so die Forderung des GKV-Spitzenverbandes. Die hierfür benötigten finanziellen Mittel bezifferte das Prognos-Institut auf maximal 1,5 Milliarden Euro, was auf einen Zeitraum von fünf Jahren verteilt, einem Anteil von weniger als einem Prozent des jährlichen Honorarvolumens in der ambulanten Versorgung entspreche.
Kassenärztlichen Bundesvereinigung kritisiert den GKV-Vorschlag massiv
Der Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler, kritisierte den Vorstoß des GKV-Spitzenverbandes jedoch massiv und erklärte dieser gehe „völlig an der Realität vorbei“. Denn „wir erleben doch in Deutschland derzeit einen zunehmenden Arztmangel bei gleichzeitig steigendem Versorgungsbedarf. Immer mehr Menschen werden immer älter und brauchen eine gute ambulante Versorgung“, betonte Köhler. Vor allem in den „Ballungsgebieten wie Berlin und Hamburg zeigt sich, dass die von den Krankenkassen kritisierte Überversorgung häufig nur auf dem Papier besteht und nicht den Bedarf abbildet“, so der KBV-Chef weiter. In dem Prognos-Gutachten bleibe außerdem unberücksichtigt, dass die niedergelassenen Ärzte in den Ballungsräumen häufig Patienten aus angrenzenden Gebieten mitversorgen. Bevor die Kassenärztlichen Vereinigungen zum Aufkauf der Arztpraxen verpflichtet werden, sollte daher bis ins Detail geprüft werden, ob eine echte oder nur eine rechnerische Überversorgung vorliege, betonte Köhler. Ansonsten sei zu befürchten, dass die Änderungen eindeutig zu Lasten der Patientenversorgung gehen. Einen ähnlichen Standpunkt vertritt auch der Medi Verbund Deutschland, dessen Vorsitzender Werner Baumgärtner nach bekanntwerden des neuen Gutachtens gegenüber dem „Deutschen Ärzteblatt“ erklärte: „Krankenkassen, die öffentlich behaupten, dass es in Deutschland zu viele Ärzte gibt, sollen endlich die Regionen benennen, auf die das zutrifft und dann ihre dortigen Mitglieder darüber informieren, dass für sie das ambulante medizinische Angebot deutlich reduziert werden soll.“
Schließung von Arztpraxen in überversorgten Regionen gefordert
Die stellvertretende Pressesprecherin des GKV-Spitzenverbandes, Ann Marini, erklärte hingegen, dass „heute die Überversorgung mit Ärzten in Ballungszentren de facto nicht abgebaut, sondern sogar verfestigt“ werde. Diese gehe zu Lasten „von Ärzten und Patienten in wirtschaftlich schwachen Regionen“, so Marini gegenüber der „Ärzte Zeitung“. In Hinblick auf die Kritik der Kassenärztlichen Vereinigungen erläuterte Marini: „Statt alleine nur über Lösungen für eine mögliche Unterversorgung zu diskutieren, müssen wir endlich auch über die andere Seite der Medaille, den Abbau von Überversorgung, reden“. Hier bilde das aktuelle Prognos-Gutachten eine gute Basis, denn es werde auch eine Möglichkeit aufgezeigt, welche die Interessen der in den Ruhestand gehenden Ärzte berücksichtige und ihnen eine finanzielle Entschädigung für die Schließung ihrer Praxen biete. Der GKV-Spitzenverband plädierte daher für eine „Klarstellung im Gesetz, dass in überversorgten Gebieten Arztpraxen von Kassenärztlichen Vereinigungen aufgekauft werden müssen, wenn ein Arzt ausscheidet und eine Wiederbesetzung für die Versorgung nicht erforderlich ist.“ (fp)
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