Unbekannte Ursache des plötzlichen Kindstod
12.07.2011
Alle Eltern bereitet der Gedanke große Sorge, ihr Neugeborenes könnte an dem plötzliche Kindstod sterben. Bislang konnte die Forschung nicht erklären, wie es zu dem unerwarteten Ableben der Säuglinge kommt. Doch Eltern können das Risiko mindern, wenn sie bestimmte Faktoren beachten.
Plötzlicher Kindstod häufigste Todesursache
Die Todesfälle aufgrund des plötzlichen Kindstod nehmen seit einigen Jahren kontinuierlich ab. Das ist zunächst eine gute Nachricht. Heute sterben aber immer noch jedes Jahr rund 250 Babys am plötzlichen Kindstod. Vor gut 20 Jahren waren es noch 1300 Kinder pro Jahr. Demnach konnten wissenschaftliche Untersuchungen die Sterberate deutlich senken. Dennoch ist der plötzliche Tod noch immer die häufigste Todesursache bei Babys. 80 Prozent der Todesfälle passieren in den ersten sechs Monaten nach der Geburt. Zum Vergleich: Nur fünf Prozent des erklärbaren Kindstod ereignet sich nach dem ersten Lebensjahr.
Trotz der verbuchten Erfolge kann die Medizin noch keine eindeutige Erklärung dafür geben, warum plötzlich ein Kleinkind verstirbt. Eltern und Ärzte sehen sich beinahe machtlos diesem schrecklichen Phänomen ausgesetzt. Denn es gibt auch keine erkennbaren Frühhinweise oder Symptome, die auf ein Todesereignis hinweisen könnten. Einzig und allein auf Risiken können Eltern achten und diese versuchen möglichst abzuschalten. Und trotzdem ist die Gefahr nicht gebannt, wie Prof. Dr. Gerhard Jorch von der Uniklinik Magdeburg erklärte. Denn die „überwiegende Mehrheit von Fällen des plötzlichen Kindstods ist so, dass die Eltern alles richtig gemacht haben“. Und trotzdem ist das Kind dann verstorben. Jorch gehört seit Jahren zu den führenden Wissenschaftlern des Forschungsgebiet „plötzlicher Kindstod“. So erhielt der Forscher aufgrund seiner erfolgreichen Arbeiten beispielsweise im Jahre 2004 den Meinhard-von-Pfaundler-Präventionspreis von der Stiftung Kindergesundheit.
Angeborene Risikofaktoren vermutet
Viele Eltern wollen vor allem wissen, ob es angeborene Faktoren gibt, die das Risiko erhöhen. Leider sind von eben jenen kaum welche bekannt. Das was man weiß, weiß man oftmals nur anhand der statistischen Daten. Demnach sind Jungen im Vergleich mit 60 Prozent etwas häufiger betroffen als Mädchen. Zudem haben Frühchen und Babys von noch sehr jungen Müttern ein etwas erhöhtes Risiko. Ein erhöhtes Risiko besteht offenbar auch, wenn der plötzliche Kindstod schon einmal in einer Familie passierte. Einige Forscher haben bereits Gene entdeckt, die für die gestörten Atemreflexe und den Sauerstoffmangel verantwortlich sind, erklärte Jorch weiter. In Zukunft könnten bereits erste Forschungsarbeiten anlaufen, um den noch sehr theoretischen Unterbau zu untermauern. Denn im Moment „haben diese Aspekte rein theoretische Bedeutung.“ sagte der Experte gegenüber „Focus Online“. Theoretisch für das „Sudden Infant Death Syndrome (SIDS)“ – wie der plötzliche Kindstod in der Medizinerkreisen genannt wird – sind auch die meisten anderen Erklärungsmodelle. Eine Mehrheit der Forscher nimmt an, dass die unzureichende Sauerstoffversorgung durch einen gestörten Blutfluss zum Hirnstamm ausgelöst wird. Eine Schädigung der Arterie im Gehirn könne im nach ergangenen Ultraschall gesehen werden. Doch ein solches Erklärungsmuster erfasse nicht die gesamte Bandbreite aller Faktoren, wie Jorch mahnt. „Wenn ein Säugling unerwartet und ohne ersichtliche Ursache stirbt, spielen immer mehrere Faktoren unglücklich zusammen.“ Es würde demnach nichts bringen einer der möglichen Ursachen zeitintensiv und aufwendig zu erforschen.
Prävention in der Praxis wichtiger als Erforschung von Risikofaktoren
Der Kindermediziner plädiert eher für eine Weiterentwicklung der Präventionen, um das Kind in der Praxis optimal schützen zu können. Ein positiver Präventivansatz ist die sogenannte „Schnuller-Theorie“. Denn der Schnuller hat sich als praktischer Vorsorgeschutz erwiesen. Das gelte vor allem für Kinder, die nicht per Mutterbrust gestillt werden, erklärt der Arzt. Unklar ist, warum Kinder seltener ein plötzlichen Tod erleiden, wenn sie regelmäßig schnullern. Wahrscheinlich ist, dass Säuglinge mit einem Schnuller zumeist in der Rücken und nicht in der Bauchlage schlafen. „In Rückenlage ist die Handhabung des Schnullers für Eltern und Kind einfach, auf dem Bauch nicht.“ Vielmals vermitteln Hebammen den Müttern, dass ihre Kinder nicht in Bauchlage schlafen sollten. Das ist im Grundsatz richtig. Trotzdem sollten Kinder durchaus lernen, auch einmal in Bauchlage zu liegen. Denn die Augen der Eltern sind nicht immer auf die Kinder gerichtet. Daher sollte die Bauchlage im wachen Zustand einstudiert werden. „Eltern sollten das mit dem wachen Kind trainieren. Es gab schon SIDS-Fälle, da hat sich ein Baby zum ersten Mal im Leben nachts auf den Bauch gedreht und lag dann völlig hilflos auf dem Gesicht.“
Kinderschutzimpfungen begünstigen möglicherweise das Risiko
Vor allem Kritiker werfen den Kinderschutzimpfungen eine Mitschuld an den Säuglingstoten vor. Doch bewiesen ist dieser mögliche Zusammenhang bis heute nicht. „Es gibt keinen direkten Ursache-Wirkung-Effekt, wie jüngste Studien zeigten.“ Eine Schutzimpfung will der Forscher nicht in Frage stellen. Er kann sich aber sehr gut vorstellen, dass Fieber als Folge einer Impfung als Auslöser wirken kann. Daher sollten Kinderärzte Eltern darauf hinweisen, dass Fieber in den nächsten Tagen oder Wochen nach der Schutzimpfung eintreten kann. Die Eltern sollten dann ein besonders waches Auge auf ihr Kind werfen, so der Kinderarzt Jorch.
Größtes Risiko um den 100. Lebenstag
Bei dem SIDS ersticken die Kinder im Schlaf. Die Babys wachen nicht auf, wenn sie eigentlich husten müssten, sie wachen nicht auf wenn sie spucken müssen. Und sie wachen auch nicht auf, wenn sie keine Luft mehr bekommen. Der eigentlich automatisierte Reflex zum unbewussten Atmen setzt plötzlich auf. Die Babys hören einfach auf zu atmen. Oftmals kam es zu dem Unglück, weil sie auf dem Bauch schliefen. Am häufigsten passiert der plötzliche Tod im Alter zwischen der 8. und der 16. Lebenswoche. Experten vermuten, dass viele Kinder ihren Kopf versehentlich unter eine Decke oder Kopfkissen schieben. Aus dieser Situation kann sich das Kind nicht mehr selbst befreien und erstickt. Den Höhepunkt erreicht das Risikolevel um den 100. Lebenstag. Das ist genau die Zeitpunkt, an dem das Baby die reinen Reflexbewegungen zu willkürlichen Bewegungen übergehen, wie der Forscher erklärt. Die Babys können dann zwar zur kuscheligen Decke greifen, diese aber im Anschluss nicht wieder los lassen. Durch diese Situation wird das Kinderbett zur Lebensgefahr. Aus diesem Grund sollten Kuscheltiere und Kopfkissen nichts im Babybett zu suchen haben. Die Sozialpädagogin Dipl. Gritli Bertram empfiehlt daher allen Eltern, ihr Baby ohne Kopfkissen in einem Kinderschlafsack schlafen zu lassen. „Das Baby sollte ständig auf dem Rücken gelagert werden. Nur wenn das Kind wach ist, sollte es auch einmal in die Bauchlage gelegt werden. Die Eltern sollten dabei ihr Kind nicht aus den Augen lassen“, so die Pädagogin. Noch vor einigen Jahrzehnten galt die Weisung, dass die Kinder ständig auf den Bauch gelegt werden sollten. Das forme angeblich den Hinterkopf und fördere das Wohlsein des Kindes. DDR Wissenschaftler fanden allerdings in den 80er Jahren heraus, dass der Bauchschlaf statistisch gesehen den Kindertodesrate erhöhe. Seit dem galt die Weisung in der damaligen DDR, Kinder nur noch auf dem Rücken zu lagern. Tatsächlich sank danach die Sterberate. In Deutschland setzte sich dieser Erkenntnis erst den 90er Jahren durch. Hinzu wusste man nun, dass Schlafsäcke ebenfalls das Risiko reduzieren, weil diese nicht über den Kopf gezogen werden können. Positiv soll sich auch das Stillen mit der Muttermilch auswirken, weil hierdurch das Immunsystem des Kindes gestärkt und die Gefahr für Fieberanfälle gemindert wird. (sb)
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Bild: Manuel Bendig / pixelio.de
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