Gesundheitsministerium einigt sich mit dem Verband der privaten Krankenversicherungen auf einen Schuldenerlass für Hartz IV-Empfänger
18.08.2011
Beziehern von Hartz IV Leistungen sollen Beitragsschulden bei den Privaten Krankenversicherungen erlassen werden. Im Gegenzug versprach das Bundesgesundheitsministeri, die Beiträge künftig direkt von den Leistungsträgern (Jobcenter) überweisen zu lassen. Darauf hatten sich Spitzen des Verbandes der Privatkassen und das Gesundheitsministeriums heute verständigt.
Viele ehemalige Selbständige, die beispielsweise aufgrund eines Scheiterns ihrer Geschäftsidee in die Hartz IV Falle gerieten, sind trotz Hilfebedürftigkeit bei einer privaten Krankenversicherung krankenversichert. Denn der Weg in die gesetzliche Krankenversicherung ist auch dann verwehrt, wenn der Versicherte arbeitslos wird. Die Jobcenter zahlten in der Vergangenheit nur den Anteil der gesetzlichen Krankenkassen. Basistarife bei der PKV sind aber meist um das Doppelte teurer. Den Betroffenen blieb daher nichts anderes übrig, als die Beiträge von den Arbeitslosengeld II Regelsätzen zu begleichen. Da dieser aber kaum zum Lebensunterhalt ausreicht, verschuldeten sich viele bis über beide Ohren. Die Jobcenter übernahmen in der Vergangenheit nur einen Teilbetrag von 131 Euro monatlich. Die restlichen durchschnittlichen 150 Euro mussten die erwerbslosen Privatversicherten vom Regelsatz begleichen.
Erlass von Schulden bei den Privaten Krankenversicherungen
Nach Informationen der Zeitung „Tagesspiegel“ sollen Hartz IV Beziehern die Schulden bei den Privaten Krankenversicherungen (PKV) erlassen werden. Dafür werden zukünftig die Jobcenter die monatlich fälligen Beiträge des Beitragsschuldners überweisen. Eine solche Vereinbarung wurde nach einem Treffen des Bundesgesundheitsministeriums mit dem Spitzenverband der Privaten Krankenversicherungen geschlossen. Wie es hieß, soll mit der Maßnahme künftig verhindert werden, dass „Schuldner statt für die Krankenversicherung, Gelder anderweitig verwenden“. Bereits Ende August sollen die Gesetzesänderungen im Bundeskabinett verabschiedet werden.
Altlasten aus Zeiten der schwarz-roten Koalition
Die Gesetzeslücke bestand noch aus den Zeiten der schwarz-roten Koalition. Damals konnten sich die Koalitionäre nicht auf eine einheitliche Gesundheitsreform einigen. Zur Debatte stand, arbeitslosen Privatversicherten eine Hintertür zu gesetzlichen Krankenversicherung zu öffnen. Dem stand aber der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen sehr kritisch gegenüber. Denn somit hätten die Krankenkassen immer dann Versicherte übernehmen müssen, wenn diese Hartz-Leistungen beantragten. Auf der anderen Seite weigerten sich die Privaten Versicherungen den Beitrag für Erwerbslose soweit zu minimieren, dass dieser dem Mindestbeitrag der Gesetzlichen entspräche. Dann jedenfalls hätte es keine Deckungslücke mehr gegeben. Also schob man das Debakel auf die Betroffenen ab, die in der Gesamtsumme mehrere Millionen Euro Schulden anhäuften.
Bundessozialgericht schob rechtswidriger Praxis einen Riegel vor
Zum Jahresbeginn 2011 schob das Bundessozialgericht dieser Praxis einen Riegel vor. Mehrere Betroffene hatten Klagen bei den Sozialgerichten eingereicht, die jeweils unterschiedlich urteilten. Das Bundessozialgericht urteilte dann abschließend, dass die Beiträge der PKV in voller Höhe eines Basistarifs erstatten werden müssen. Basistarife orientieren sich am Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen und wurden im Zuge der damaligen Gesundheitsreform beschlossen. Die Richter ließen allerdings offen, was mit den Altschulden passieren soll. Rückwirkende Zahlungen erhielten nur diejenigen, die sich umfassend bei Erwerbslosen-Magazinen wie „gegen-hartz.de“ informierten und einen Widerspruch gegen die Teilerstattung einlegten. Alle anderen gingen leer aus und mussten sich gar mit hinzukommenden Mahnschulden auseinander setzen.
Mit dieser Einigung wurde ein „unwürdiger Zustand der Betroffenen beendet“, heißt es in einer aktuellen Bekanntmachung des Gesundheitsministeriums. Auch die Privatversicherer zeigten sich vorerst zufrieden. Dort habe man signalisiert, „dass die einzelnen Mitgliedsunternehmen einen freiwilligen Forderungsverzicht leisten“. Wer dann wieder in ein Arbeitsverhältnis wechselt oder eine erneute Selbständigkeit ausprobiert, stehe nicht mehr vor einem kaum zu bewältigen Schuldenberg. Nach Angaben der PKV sind derzeit rund 8500 Krankenversicherte von dieser Neuregelung betroffen. Einen möglichen Schuldenerlass hatte der Verband der Privatkassen bereits im Vorfeld verlautbaren lassen, wenn die Bundesregierung die fortwährende Deckungslücke abstellt und die Beiträge direkt an die Versicherer überweist.
Linke kritisiert Einigung als Ungerecht
Kritik kam von der Linken. Diese bezeichnete die Einigung als „faulen Kompromiss“. Schließlich müssen Privatversicherte Hartz IV-Bezieher „die Fehler der Politik ausbaden“. „Diese ungerechtfertigten Belastungen müssen allen privatversicherten Hartz IV-Beziehern rückwirkend erstattet werden", forderte Martina Bunge, vom Ausschuss für Gesundheit. „Der vereinbarte Schuldenerlass der Privatversicherung für Säumige ist keine Lösung, sondern Hohn und Spott für diejenigen, die die Beiträge irgendwie bezahlt haben und nun womöglich bei Freunden oder Verwandten Schulden haben.“
Krankenkassen reichen Klage ein?
Da von nun an die Privatversicherten die vollen Beiträge vom Staat erstattet bekommen, rufen die gesetzlichen Krankenkassen ebenfalls nach einer vollen Übernahme ihrer Beiträge. Denn die Kassen verlangen nur einen gedeckelten Beitragssatz, sobald jemand Leistungen nach dem SGB II bezieht. Aus dieser Richtung könnte der Koalition eine Klage vor den Gerichten drohen. (sb)
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Bild: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de
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