Einschüler werden wieder schlanker, wie eine wissenschaftliche Studie ergab
08.09.2011
Beinahe jeden Tag lesen Eltern und Kinder in der Zeitung: Die Schüler in Deutschland leiden immer häufiger an Übergewicht oder Adipositas. Richtig ist, dass in den letzten 20 Jahren die Verbreitung von Übergewicht rasant zugenommen hat. Laut einer Studie von Medizinern des Universitätskinderklinik in Ulm, nimmt das Durchschnittsgewicht bei Grundschülern seit 2008 Jahren leicht wieder zurück.
Adipositas und Übergewicht gehören zu den größten Herausforderungen der westlichen Industrieländer. Einen erheblichen Anteil an dieser Tatsache hat die Nahrungsmittelindustrie, die Lebensmittel und Getränke mit Unmengen von Zucker und künstlichen Geschmacksstoffen produzieren und bewerben. Die größten Opfer dieser maßlosen Konsumhaltung sind Kinder, die durch das teilweise vorhandene Unwissen der Eltern und den Einfluss der Werbung indoktriniert werden. Doch seit einigen Jahren hat sich anscheinend eine kritische Grundhaltung gebildet, die der Lebensmittelindustrie nicht mehr unkritisch begegnet und einen bewussteren Lebensstil führt. Dieser Trend setzt sich wohl auch in der Erziehung der Kinder fort. Seit einigen Jahren können Forscher eine positive Gewichtsentwicklung bei Kindern feststellen. Wissenschaftler der Uniklinik Ulm haben im Fachmagazin „European Journal of Pediatrics“ eine umfangreiche Studie zu diesem Thema veröffentlicht. Das Fazit: Deutschlands Kinder werden statistisch gesehen wieder dünner.
3 Prozent weniger Übergewicht bei Schulanfängern
Im Rahmen der Studie untersuchte das Team um Forscherin Dr. Anja Moß die Gewichts- und Größendaten von über 600.000 Kindern, die in ganz Deutschland eingeschult wurden. Die Daten stammten aus den Ergebnissen der Schuleingangsuntersuchungen aus dem Schuleingangsjahr 2008. Als Vergleichsdaten dienten die Ergebnisse der letzten Untersuchungen von Schulanfängern aus dem Jahre 2004. Insgesamt konnte das Forscherteam ermitteln, dass der Anteil der übergewichtigen Kinder um gut 3 Prozent zurückgegangen ist. Diese signifikante Veränderung konnte in 14 von 16 Bundesländern ermittelt werden. Nur in den Ländern Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg war ein beinahe unwesentlicher Anstieg des Durchschnittsgewichts zu erkennen.
Die Wissenschaftler wollen aber ihre Ergebnisse nicht missverstanden wissen. Schließlich bedeutet die durchaus positive Entwicklung keinesfalls, „dass wir unsere Bemühungen zur Prävention von Übergewicht und Adipositas einstellen können“, wie der Facharzt für Kinderheilkunde Dr. Martin Wabitsch aus Ulm betonte. Denn trotz des aufgezeigten Rückgangs „bleiben die Raten übergewichtiger und adipöser Einschüler in Deutschland auf einem hohen Level." wie der Kinderarzt erklärte.
In Bremen und Thüringen die meisten übergewichtigen Erstklässler
In den Bundesländern Bremen und Thüringen leben im Ländervergleich mit 11,9 Prozent die meisten übergewichtigen Schulanfänger. Gefolgt von Bayern mit einem Anteil von 8,6 und Brandenburg mit 8,5 sowie Sachsen mit 8,4 Prozent. Einen hohen Anteil von adipösen Kindern verzeichnen die Länder Saarland und Thüringen mit je 5,1 Prozent. Obwohl der Anteil der übergewichtigen Kinder in Brandenburg und Sachsen relativ hoch ist, ist der Anteil der fettleibigen Kinder mit je 3,3 Prozent auf einem niedrigen Level. Auch in Bayern ist der Anteil der adipösen Erstklässler mit 3,4 Prozent trotz des relativ hohen Anteil von noch „normalen Übergewicht“ mit 3,4 Prozent niedrig.
Trendumkehr möglicherweise durch Aufklärungsbemühungen
Warum eine Trendwende erkennbar ist, darüber können die Studienautoren nur Mutmaßungen anstellen. „Wir wissen nicht, warum wir einen Rückgang des Gewichts bei Schulanfängern beobachten konnten“, sagte Studienleiterin Moß. Aber: "Ein gesteigertes Bewusstsein für Übergewicht und die Aufklärungsbemühungen von Ärzten und Fachverbänden tragen vermutlich dazu bei." Ob diese Vermutung stimmt, könne man nur mit weiteren Studien untermalen. Ob die Präventionskampagnen dazu geführt haben, dass „weniger Kinder dick werden, lasse sich aus den vorhandenen Daten nicht ableiten“.
Folgen für die Gesundheit
Übergewicht und Adipositas (Übergewicht mit Krankheitswert) bereits in jungen Jahren kann fatale Folgen für die Gesundheit haben. Das Risiko an Bluthochdruck, Diabetes, Rückenschmerzen und weiteren orthopädischen Leiden zu erkranken, steigt enorm. Übergewichtige Kinder werden oft sozial benachteiligt und von anderen Kinder gehänselt. Solche psychischen Faktoren begünstigen wiederum Depressionen. „Dann beginnt ein regelrechter Teufelskreis, meint Diplompädagogin Gritli Bertram aus Hannover. „Aus Frust essen die meisten Kinder dann noch mehr“. Zwar wissen die meisten Eltern und Kinder, „dass sie sich mehr bewegen, besser ernähren und ihr Verhalten ändern sollten, aber sie schaffen es einfach nicht", sagt Anja Moß.
Ab wann Übergewicht als solches definiert wird, darüber streitet sich die Fachwelt. Die Weltgesundheitsorganisation sagt, es gibt drei Gewichtskategorien. Für die meisten Schulmediziner und Medizinischen Fachverbände ist diese Einteilung eine wichtige Orientierung. Untergewicht besteht bei einem Body Mass Index (BMI) von unter 18,5. Wer über einen BMI zwischen 18,5 und 24,9 verfügt, gilt als Normalgewichtig. Ein BMI von über 25 gilt als Übergewicht und ab einem BMI 30 sprechen Ärzte von Fettleibigkeit bzw. Adipositas. Von einer massiven Adipositas spricht man ab einem Wert von 40.
Der BMI errechnet sich einerseits aus Alter, Körpergewicht und Größe in Metern. Ein Beispiel: Eine Person mit einer Körpergröße von 160 cm und einem Körpergewicht von 60 kg hat einen BMI von 23,4. Errechnet: 60 kg durch (1,6 m)2 = 23,4 BMI. Ist die Person zwischen 19-24 Jahre alt, ist der BMI im Idealbereich. Diese Berechnungsgrundlage gilt allerdings nur für Erwachsene. Bei Kindern gelten noch einmal ganz andere Grundlagen. Denn bei Kindern ändert sich aufgrund des Alters und des Geschlechts die Bestimmung der Werte fortlaufend. Daher wird hier der BMI mittels einer einheitlichen Wachstumskurve erfasst, die dann mit dem Gewicht der Gleichaltrigen verglichen wird. So konnten die Wissenschaftler während der Forschungsarbeit eine Einteilung von Idealgewicht, Übergewicht und Adipositas ermitteln. Übergewicht liegt nach Ermitteln statistischer Daten dann vor, wenn 90 Prozent der Kinder im gleichen Alter und Geschlecht einen geringeren BMI aufweisen. Weist das Kind ein höheres Gewicht als 97 Prozent der gleichaltrigen Vergleichsgruppe auf, so liegt bereits adipöse Erkrankung vor.
Trendwende auch in anderen Industrienationen
Auch in den USA ist eine leichte Trendumkehr zu beobachten. Ein Team von Forschern des Nationalen Zentrum für Gesundheitsstatistik in Hyattsville hatte die Daten von mehr als 4000 Kindern und Jugendlichen sowie von 5555 Erwachsene untersucht. Auch hier stammen die Erhebungen aus dem Jahre 2008. Die Wissenschaftler um Katherine Flegal kamen zu dem Ergebnis, dass zumindest das Übergewicht in den USA nicht mehr signifikant ansteigt. Dennoch sind 9,5 Prozent der Kinder unter 14 Jahren und 18 Prozent der amerikanischen Jugendlichen übergewichtig. Auch in anderen Industriestaaten wie Frankreich, Dänemark, Schweden oder Australien zeigten letzte Studien, dass die Zunahme des Übergewichtsproblem zunächst gestoppt ist. Die Zahlen zeigen demnach, dass das Problem zwar weiterhin in massive Form besteht, aber mindestens nicht weiter voranschreitet.
Ob die Einstufung von Fettleibigkeit oder Übergewicht überhaupt heute noch Bestand hat darüber wird weiter in Fachkreisen kräftig gestritten. Neuere gesundheitsbezogene Analysen haben nämlich ergeben, dass leichtes Übergewicht nicht gleich krank macht. Manche Mediziner behaupten, dass ein paar Kilo zu viel die Lebenserwartung steigert und zudem seltener krank macht. Aber auch solche Studien sind mit Vorsicht zu genießen, da ein pauschales Urteil über die individuelle Beschaffenheit des Menschen kaum möglich ist. Wer im Kindesalter über eine paar Kilogramm mehr verfügt, kann dennoch im späteren Alter normalgewichtig sein. "Wer mit drei oder acht Jahren leicht übergewichtig ist, bei dem gibt sich das mit dem nächsten Wachstumsschub womöglich wieder", sagt Anja Moß. Bei Adipositas ist die Meinung der Wissenschaftler jedoch eindeutiger: Das schadet auf jeden Fall der Gesundheit, wie auch die Forscherin meint. (sb)
BMI Tabelle
Der BMI hängt vom Alter ab. Die Tabelle zeigt, welche BMI-Werte für verschiedene Altersgruppen laut der Empfehlungen der WHO gelten:
19-24 Jahre/ BMI: 19-24
25-34 Jahre/ BMI: 20-25
35-44 Jahre/ BMI: 21-26
45-54 Jahre/ BMI: 22-27
55-64 Jahre/ BMI: 23-28
ab 64 Jahre/ BMI: 24-29
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Bild: Gerd Altmann / pixelio.de
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