Krankenkassen wollen Igel-Zusatzleistungen einschränken
22.09.2011
Die gesetzlichen Krankenkassen wollen die Zusatzleistungen bei ambulanten Haus- und Fachärzten künftig beschränken. Hierbei handelt es sich um sogenannte „individuellen Gesundheitsleistungen (IGEL)“, also Diagnose- und Gesundheitsleistungen, die nicht im Leistungskatalog der Kassen aufgeführt sind. Patienten müssen spezielle Diagnostika aus eigener Tasche bezahlen. Ein tatsächlicher Nutzen ist oft nicht erwiesen.
Immer öfter werden Patienten bei Untersuchungen von ihrem behandelnden Arzt gefragt, ob sie ein Igel-Angebot in Anspruch nehmen wollen. Solche Zusatzleistungen haben in den vergangenen Jahren rasant zugenommen. Eine Studie des wissenschaftlichen Instituts der AOK (WidO) kam zu dem Ergebnis, dass bereits jeder vierte Patient in Deutschland eine medizinische Gesundheitszusatzleistung schon einmal in Anspruch genommen hat. Lag der Anteil im Jahre 2001 noch bei 9 Prozent, so ist dieser mittlerweile auf heute 28,3 Prozent gestiegen. Dabei ist strittig, ob die verkauften Gesundheitsleistungen überhaupt aus medizinischer Sicht nützlich und notwendig sind.
Gernot Kiefer, Vorstandsmitglied im Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung kritisierte die steigende Zahl. Denn bei den Igel-Angeboten „geht es vorrangig um Umsatz und Gewinn der Ärzte und nicht um medizinische Hilfe für Kranke“, wie er in der Berliner Zeitung mahnte. Seiner Ansicht nach sind die individuellen Gesundheitsleistungen in der Mehrheit „nutzlos und damit überflüssig“.
Katrin G. aus Stendal, im vierten Monat schwanger, berichtet von ihrem letzten Vorsorgetermin bei ihrem Frauenarzt. Nach der ersten Ultraschall-Untersuchung sagte der Gynäkologe, sie müsse bei der nächsten regulären Untersuchung das zusätzliche Baby-Ultraschall selbst bezahlen, weil die Krankenkasse nur eine bestimmte Anzahl von Vorsorgeuntersuchungen übernehme. „Ich will natürlich sicherstellen, dass mit meinem Kind alles in Ordnung ist“. Also bezahlte Katrin G. die Igel-Leistung. Doch wie viel Ultraschalluntersuchungen sind wirklich notwendig? Die Krankenkassen sagen, es müssen nur insgesamt drei Ultraschalls durchgeführt werden. Die diagnostische Leistungsfähigkeit der Ultraschalluntersuchung sollte aber nicht überschätzt werden. Nur sehr wenige Veränderungen können eindeutig während der Routineuntersuchung erkannt werden. Es ist aber die Angst, die viele werdende Mütter dazu veranlasst, weitere Wunschvorsorgeuntersuchungen kostenpflichtig durchführen zu lassen.
Krankenkassen fordern bei Igel-Angeboten 24 Stunden Einwilligungssperrfristen
„Es widerspricht dem ärztlichen Ethos, kranken Menschen fragwürdige Leistungen unterzujubeln“, kritisierte Kiefer. Dem müsse endlich ein Riegel vorgeschoben werden. Der Kassenverband fordert, dass den Patienten eine 24stündige „Einwilligungssperrfrist“ verbleibe. Erst danach solle die Untersuchung durchgeführt werden dürfen. Fragt allerdings ein Patient seinen Arzt konkret nach einer Wunschleistung, so soll die Frist nicht gelten. Mediziner sollten darüber hinaus die Versicherten über Vor- und Nachteile sowie Alternativbehandlungen ausführlich informieren. Um das zu konkretisieren, muss zukünftig ein Behandlungsvertrag vorliegen, so die Forderung des Kassenspitzenverbandes. Gernot Kiefer forderte die Bundesregierung dazu auf, die Vorschläge mit in das Gesetz zur Stärkung der Patientenrechte aufzunehmen.
Die schwarz-gelbe Regierung hat sich hierzu nicht geäußert. Es bleibt fraglich, ob die Änderungswünsche Platz in dem Gesetzesverfahren finden. Denn es geht um viel Geld: Seit 2005 ist der Umsatz der Igel-Leistungen um 50 Prozent auf 1,5 Milliarden Euro jährlich gestiegen. Am häufigsten wurden Ultraschalluntersuchungen (20 Prozent) und Glaukom- Vorsorge (16 Prozent) verkauft. Neben Diagnostika wurden aber auch vielfach nicht erstattungspflichtige Medikamente, Heil- und Hilfsmitteln zu 11 Prozent Blutuntersuchungen sowie Laborleistungen an Kassenpatienten verkauft. (sb)
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Bild: Paul Golla / pixelio.de
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