Gesundheitssystem: Demnächst 5 Euro Praxisgebühr für jeden Arztbesuch?
10.12.2011
Offenbar plant die schwarz-gelbe Bundesregierung eine gesonderte Praxisgebühr für gesetzlich Krankenversicherte. Bei jedem Arztbesuch sollen fünf Euro fällig werden. Dafür soll dann die Quartalszahlung von zehn Euro wegfallen. Der FDP Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr plant laut Medienberichten ab Winter 2012 Gegenmodelle zum bisherigen System zu prüfen. Die Bundesregierung dementiert allerdings derartige Berichte. Die Deutschen gehen immer häufiger zum Arzt.
Die quartalsweise Zahlung einer Praxisgebühr in Höhe von 10 Euro wurde im Zuge der damaligen Gesundheitsreform eingeführt, um „unnötige Arztbesuche“ zu vermeiden. Laut Untersuchungen hat die Praxisgebühr zwar zu Mehreinnahmen im Gesundheitssystem geführt, allerdings konnte die Zahl der Arztkonsultationen nicht wesentlich eingeschränkt werden. Im Gegenteil, die Deutsche gehen immer häufiger zum Arzt, wie eine Studie der Barmer GEK zeigte. Laut deren Patientendaten behandelt ein niedergelassener Arzt in Deutschland etwa 45 Patienten pro Tag. 2004 gingen die Deutschen im Durchschnitt etwa 16,4 mal pro Jahr zum Arzt. Im Jahre 2010 waren es bereits jährliche 18,1 Arztbesuche. Im internationalen Vergleich haben deutsche Hausärzte etwa doppelt Patientenkontakte als anderswo. Weil das derzeitige System augenscheinlich nicht funktioniert, will das Bundesgesundheitsministerium nun nachbessern.
Gesundheitsministerium dementiert Berichte
Laut Informationen des Boulevardblattes „Bild“ plant die Koalition aus Union und FDP die Praxisgebühren im gesetzlichen Versicherungssystem zu „reformieren“. Laut interner Regierungskreise plant der Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) ab Frühjahr 2012 neue Modelle zu überprüfen. So sei es denkbar, dass eine gesonderte Abgabe bei jedem Arztbesuch fällig werden könnte. Gesundheitsexperten plädieren dafür, die Praxisgebühr statt der quartalsweisen zehn Euro nunmehr fünf Euro für jeden Arztbesuch anzuheben. Unter Umständen könnte eine weitere Gebühr fällig werden, auch wenn der Hausarzt an einen Facharzt weiter überweist. Nach Veröffentlichung der Berichte wurde umgehend im Hause des Bundesgesundheitsministerium dementiert. „Solche Überlegungen entstammen nicht aus dem Ministerium“, wie der Sprecher Christian Albrecht heute in Berlin sagte. „In der Koalition ist das Thema Praxisgebühr noch nicht einmal beraten worden.“
Koalitionspolitiker berichten über Praxisgebühr-Reform
Doch der FDP Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsexperte der Partei Lars Lindemann sagte gegenüber der Bild, dass die momentane Praxisgebühr „keinerlei steuernde Funktion“ besäße. „Wir werden 2012 Alternativen prüfen.", sagte Lindemann weiter. Ebensolche Andeutungen kommen auch von Seiten der CSU. So erklärte der CSU-Bundestagsabgeordnete Johannes Singhammer: "Der Effekt, die Zahl der Arztbesuche zu dämpfen, ist mit der jetzigen Gebühr nicht erreicht worden.“ Aus diesem Grund wolle die Regierung prüfen, ob unbürokratische und bessere Möglichkeiten existieren. Laut Singhammer wurde dies auch im Koalitionsvertrag vereinbart.
Gesundheitsökonom fordert Praxisgebühr von fünf Euro für jeden Arzttermin
Zeitgleich regte der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem eine Praxisgebühr von fünf Euro pro ärztlicher Untersuchung an. Gegenüber der Zeitung erklärte der Ökonom: "5 Euro pro Besuch macht mehr Sinn als die jetzige Gebühr". Eine weitere Option wäre eine Art Selbstbeteiligung an den Behandlungskosten. Für dieses Modell plädierte der Sozialexperte Thomas Drabinski aus Kiel. Nach Berechnungen des Experten würden dann in etwa fünf bis zehn Euro je Arzttermin fällig.
Von Seiten der Krankenkassen hieß es, die Vorhaben seien unterstützenswert. Der Vorsitzende der Techniker Krankenkasse erklärte, das Instrument der Steuerung „für weniger Arztbesuche ist die Praxisgebühr gescheitert". Für den Gesundheitsfonds bedeute die Praxisgebühr eine jährliche Zusatzeinnahme in Höhe von 2,8 Milliarden Euro.
Soziale Sicherungen auch auf dem Prüfstand?
Ob soziale Sicherungen ebenfalls auf den Prüfstand stehen, war nicht zu erfahren. Für Geringverdiener, Chronisch Kranke und Bezieher von Arbeitslosengeld II Leistungen existieren sogenannte Belastungsgrenzen. Wer zum Beispiel anerkannt chronisch krank ist, bei dem entfallen zum jetzigen Zeitpunkt bei einem Überschreiten der Grenze von zwei Prozent die Zuzahlungen. Wer im Vorfeld davon weiß, dass die Belastungsgrenze durch regelmäßige Arztbesuche überschritten wird, der kann zum Ende des alten Jahres eine sogenannte Vorabbefreiung für das kommende Jahr bei der zuständigen Krankenkasse beantragen. Hierzu muss der Betroffene den individuellen Betrag bis zum Erreichen der Belastungsgrenze vorab an die Kasse überweisen. Im Anschluss erhält der Versicherte einen „Befreiungsausweis“, der nunmehr bei jedem Arzttermin vorgelegt wird. (sb)
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Bild: Thommy Weiss / pixelio.de
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Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.