Weniger durchschnittliche Arztbesuche als bislang angenommen
19.03.2012
Wenige Patienten treiben anscheinend die Zahl der Arztbesuche nach oben. Das zeigte eine Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Etwa 50 Prozent aller ärztlichen Konsultationen gehen auf das Konto von rund 16 Prozent der Patienten. Nicht wenige gehen sogar über 40 mal pro Jahr zum Arzt.
Minderheit der Patienten treibt Anzahl der Arztbesuche nach oben
Fast die Hälfte aller Arztbesuche wird von nur 16 Prozent der Patienten unternommen. Einige gehen bis zum 40 Mal pro Jahr zum Arzt. Die Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine kleine Anfrage der Grünen zeigt, dass die Bundesbürger in der Gesamtheit doch nicht so häufig zum Arzt gehen, wie bislang vermutet. Die Praxisgebühren wurden ursprünglich eingerichtet, um die Zahl der „unnötigen Arztkonsultationen“ zu senken. Das Kalkül ist bis heute nicht aufgegangen, weil sich die Zahl der Besuche seitdem kaum verändert haben.
Das Bundesgesundheitsministerium stützt sich in seiner Stellungsnahme auf eine Auswertung des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI). Laut dieser Analyse gehen 25 Prozent aller gesetzlich Versicherten maximal vier Mal im Jahr zum Arzt. Ein weiteres Viertel beansprucht höchstens zehn mal und ein drittes Viertel etwa 22 Mal den Arzt im laufenden Jahr. 25 Prozent der Kassenpatienten, die häufig zum Arzt gehen, besuchen ihren niedergelassenen Hausarzt etwa 40 mal pro Jahr. Berechnet wurden die Daten anhand aller Arztabrechnungen. Dazu gehören auch Telefonkonsultationen oder das bloße Ausstellen von fortlaufenden Arzneimittelrezepten. Ein Unterschied zwischen den Geschlechtern wurde ebenfalls sichtbar: Männer gehen durchschnittlich 14 Mal und Frauen 20 Mal zum Arzt. Im Durchschnitt geht somit jeder Deutsche etwa 17 mal pro Jahr zum Haus- oder Fachmediziner.
Im Verhältnis zu den internationalen Vergleichsdaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt Deutschland sehr weit vorn. Weil die Daten Mehrfachbesuche im Jahr nicht mit hinzuzählen, sondern nur Quartalsbesuche beachten, wurde für Deutschland die Ziffer 8,2 ermittelt. Durchschnittlich gehen die Bürger der OECD-Mitgliedsstaaten etwa 6,5 Mal pro zum Arzt. Am häufigsten konsultieren die Japaner ihren Arzt mit einer Quote von 13,2 Besuchen im Jahr. Am wenigsten gehen die Menschen in Chile zum Arzt (1,8).
Zu den Dauergästen bei Ärzten gehören neben angstbesetzten Patienten vor allem Menschen die beispielsweise an chronischen Krankheiten wie Diabetes leiden, ein Organ transplantiert bekommen haben, am Herzen oder Kreislauf oder Krebs erkrankt sind. Die Berechnungen zeigen, dass der Mittelwert durch eine kleine Gruppe von Patienten mit hohem Versorgungsbedarf beeinflusst wird, erklärte Dominik von Stillfried, Geschäftsführer des ZI. Werden die Zahlen hingegen „isoliert betrachtet“, führt dies „zu einer Fehlinterpretation des Versorgungsgeschehens“
Häufige Gründe für Arztkontakte
Laut einer durch die Barmer GEK veröffentlichten Studie der Patientendaten gehen die Deutschen am häufigsten aufgrund von Kreuz- oder Rückenschmerzen (24 Prozent) zum Arzt. Ebenso häufig werden Mediziner aufgesucht aufgrund chronisch verlaufender Krankheiten wie Hypertonie (26) oder Fettstoffwechselstörungen. Einen hohen Stellenwert nehmen Atemwegserkrankungen (18) und Bauchschmerzen (10) ein. Deutlich wurde, dass psychische Leiden im Vergleich zu den Vorjahren zu vermehrten Arztkontakten führten. Depressionen oder Schlafstörungen nehmen zusammen etwa 15 Prozent ein (Ärztereport 2011).
Politiker fordern Abschaffung der Praxisgebühren
Unterdessen fordert die FDP die Abschaffung Praxisgebühren. Weil die Krankenkassen Milliardenüberschüsse im letzten Jahr erwirtschaftet haben, „sollten die Versicherten an dem Überschuss teilhaben dürfen“, sagte die FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle. Die zusätzlichen Gebühren führen nur zu „viel Ärger und Bürokratie“ und hätten ihr eigentliches Ziel verfehlt. Weil CDU/CSU gegen die Abschaffung ist, schlägt er ein Alternativkonzept vor. Statt einer gänzlichen Abschaffung könnte „die Praxisgebühr zumindest für zwei bis drei Jahre ausgesetzt werden.“ Im Jahre 2004 wurde die Gebühr eingeführt, um unnötige Arztbesuche zu verhindern und die Kassen der Krankenkassen zu entlasten. Durch die Praxisgebühren werden jährlich Zusatzeinnahmen von gut 2,8 Milliarden Euro für den Gesundheitsfonds erwirtschaftet. Die Kassen wollen nur ungern auf die Einnahmen verzichten.
„Die FDP springt medienwirksam auf diesen Zug auf und fordert die Abschaffung der Praxisgebühr“, kritisiert hingegen Martina Bunge, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken. Die Forderung sei für die FDP leicht aufzustellen, weil die Union gegen ein Abschaffen eintritt. Die Union könne aber „nicht ein einziges Argument anbringen“, um die Praxisgebühren zu rechtfertigen. Vor allem chronisch Kranke und einkommensschwache Menschen werden durch die Praxisgebühren benachteiligt, so die Politikerin. (sb)
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Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.