Metastudie: Misshandelte Kinder altern schneller
24.04.2012
Wissenschaftler der Duke-Universität in Durham haben anhand einer Forschungsarbeit herausgefunden, dass misshandelte Kinder, die vielfach körperliche Gewalt erfahren mussten, unter einem schnelleren Alterungsprozess leiden. Durch die schwerwiegenden äußeren Einflüsse werden die Telomeren, also die Schutzkappen der Träger des Erbguts, nachhaltig beschädigt. Dadurch verkürzt sich die Schutzwirkung der Erbinformationen.
10 Prozent der Kinder sind körperlichen Misshandlungen ausgesetzt
Laut des Deutschen Kinderschutzbundes sind rund 10 Prozent der Kinder in Deutschland „regelmäßig schweren körperlichen Schlägen“ ausgesetzt. Das bedeutet, dass rund 1,2 Millionen Kinder bis zu ihrem 14. Lebensjahr zum Teil schwere Gewalterfahrungen durchleben müssen. Neben den psychischen Folgen, die fast immer mit den Misshandlungen einhergehen, leiden die Betroffenen ein Leben lang an den körperlichen Folgen. Eine Studie von Forschern unter fünf bis zehnjährigen Kindern zeigte, dass die Gewaltanwendungen eine verkürzte Telomere provozieren. Diese gelten allgemein als Anzeichen einer fortgeschrittenen Alterung des Menschen. Daraus folgend besteht ein erhöhtes Risiko für Krankheiten und eine kürzere Lebenserwartung.
Schutzfunktion der Zellen
Die Erbinformationen des Menschen sind im Kern in allen Körperzellen, in den Chromosomen, verankert. In der Wissenschaft werden die Strukturenden als Telomere bezeichnet. Diese enthalten zwar keine Entstehungsanweisungen für Steuermoleküle oder Proteine, bestehen aber aus Nukleotide. Diese enthalten die gleichen Bausteine wie die Gene selbst. Während der Zellteilung wird die DNA kopiert und es entstehen an den Telomeren neue DNA-Stränge. Dabei kommt es immer zu einem Verlust der Nukleotide. Ohne diese Funktion an den Enden würden bei jeder Zellteilung genetische Erbinformationen verloren gehen. Eben jener Prozess ist laut gängiger Forschermeinung für die Alterung der Zellen verantwortlich. Sind die Telomeren nach einer Vielzahl von Teilungen der Zellen aufgebraucht, werden die Erbinformationen angegriffen. Daraus folgend kommt es zur Bildung von schädigenden Zellen.
Einige wissenschaftliche Arbeiten weisen daraufhin, dass zum Beispiel Rauchen, ungesunde Ernährung, übermäßiger Alkoholkonsum oder dauerhafter Stress den beschriebenen Alterungsprozess beschleunigt. Andere Studien zeigten auch, dass ein emotionsloser Umgang oder soziale Vernachlässigung des Kindes zu einer beschleunigten Alterung führt. Diese vorangegangenen Studienarbeiten kann nun das Forscherteam um Idan Shalev von der Duke-Universität in Durham bestätigen.
Schnellerer Alterungsprozess durch Vernachlässigung und Gewalterfahrungen
Bei ihrer Metaanalyse verwendeten die Wissenschaftler die Daten einer Langzeitstudie über den Werdegang von Kindern aus Großbritannien. Die insgesamt 236 Probanden waren in den Zeiträumen 1994 und 195 zur Welt gekommen. Jeweils im fünften und zehnten Lebensjahr wurden den Kinder Proben der DNA entnommen. Diese wurden im Anschluss labortechnisch untersucht und miteinander verglichen. Während der Studienzeit wurden die Eltern zur Erziehung und Werdegang befragt. Dabei stellte sich heraus, dass einige Kinder unter Gewalteinflüssen litten.
Bei der anschließenden Auswertung zeigte sich, dass rund 42 Prozent der Kinder stellenweise Opfer von Mobbing, sozialer Vernachlässigung, seelische und körperliche Misshandlungen oder häusliche Gewalt erlebten. Bei eben jenen Kindern zeigten sich im Gegensatz zu den anderen Kindern auch größere Veränderungen im Erbgut. Die Telomere hatte sich dem Zeitabschnitt der letzten fünf Jahre deutlich stärker verkürzt, als bei den Altersgenossen, die keine derartigen Negativerfahrungen erlebt hatten. Zudem sei „ein bedrückender Dosis-Effekt zu verzeichnen“ gewesen, schreiben die Forscher im Studienbericht. Um so heftiger und fortlaufender die Misshandlungen waren, um so stärker hatte sich auch die Telomere verkürzt. Das bedeutet, die Zellen der Kinder waren einem größeren Alterungsprozess ausgesetzt.
Vermutlich überschießende Immunreaktionen verantwortlich
Der genaue Kontext, der zu diesem Effekt führt, ist noch nicht abschließend geklärt, wie das Wissenschaftsteam betonte. Sie vermuten aber, dass durch die Gewaltanwendungen eine übermäßige Immunreaktionen hervorgerufen wird. Diese wiederum nagt den Strukturenden. Möglich sei aber auch, dass freie Radikale für die Reaktion verantwortlich sind. Sind Menschen einem erhöhten Stressbelastung ausgesetzt, werden gleiche Vorgänge in Gang gesetzt. Andere Studien zeigten bereits, dass ein höheres Erkrankungsrisiko durch Traumatisierungen besteht. Kindesmisshandlungen sind außerdem auch Jahre später mit Narben in Gehirn nachweisbar. (sb)
Lesen Sie auch:
Gehirnschäden durch Misshandlungen in der Kindheit
Kindesmisshandlungen hinterlassen Narben in Gehirn
Höheres Erkrankungsrisiko durch Traumatisierungen
Therapie für psychisch kranke Kinder
Quelle: Idan Shalev (Duke-Universität in Durham) et al.:Molecular Psychiatry, doi: 10.1038/mp.2016351a2cc0b08c03: Gerd Altmann / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.