Entscheiden Prämien über die medizinische Versorgung?
22.05.2012
Viele Ärzte kassieren Prämien dafür, dass sie Patienten an bestimmte Kliniken oder Kollegen überweisen, so das Ergebnis einer aktuellen Studie im Auftrag des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherungen. Die „Fangprämien sind im deutschen Gesundheitswesen keine Ausnahme, sondern gängige Praxis“, kommentiert der Verband die Studienergebnisse in einer aktuellen Pressemitteilung.
Für den Vorstand des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Gernot Kiefer, bergen die Fangprämien ein erhebliches Korruptionspotenzial. Denn im Zweifelsfall entscheiden Prämiengelder oder Sachleistungen darüber, „zu welchem Arzt, zu welcher Klinik oder welchem Hilfsmittelerbringer Patienten gelenkt werden“, so die Mitteilung des GKV-Spitzenverbandes am Dienstag.
Patientenüberweisung gegen Entgelt gefällig?
Im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes hatten die Forscher um Studienleiter Professor Kai Bussmann vom Economy & Crime Research Center der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg die Prämienzahlungen an Mediziner genauer unter die Lupe genommen. Die Studie basiert „auf einer Selbst- und Brancheneinschätzung medizinischer Leistungserbringer zur Kenntnis und Anwendung von Rechtsnormen sowie zur Praxis gezielter Zuweisungen“, erklärt der GKV-Spitzenverband in der Pressemitteilung „Studie belegt: Zuweisungen gegen Entgelt keine Einzelfälle – erhebliches Korruptionspotential“. Deutschlandweit wurden hierfür „600 niedergelassene Fachärzte, 180 leitende Angestellte von stationären Einrichtungen (Krankenhäuser, Reha- und Kureinrichtungen sowie Pflegeheime) sowie 361 nicht-ärztliche Leistungserbringer (zum Beispiel Apotheken, Sanitätshäuser, Hörgeräteakustiker oder Orthopädischumacher)“ befragt. Das Ergebnis ist erschreckend: 14 Prozent der Ärzte gaben an, Zuweisungen gegen wirtschaftliche Vorteile seien üblich, 35 Prozent sahen dies zumindest teilweise so. Insgesamt 20 Prozent erklärten, dass ein entsprechendes Vorgehen gegenüber anderen Ärzten oder Leistungserbringen häufig vorkomme. Noch stärker verbreitet sind die Fangprämien offenbar in den stationären Einrichtungen, von deren Vertretern 24 Prozent die Zuweisungen gegen Entgelt als gängige Praxis beschrieben, und bei den nicht-ärztliche Leistungserbringern, die zu 46 Prozent Fangprämien als normal erachteten.
Fangprämien im Gesundheitswesen keine Seltenheit
Von Einzelfällen könne hier in keinem Fall die Rede sein, bemängelte der GKV-Spitzenverband die Verbreitung der Fangprämien im Gesundheitswesen. Zwar ist die Annahme von Entgelten für die Überweisung von Patienten eigentlich verboten, doch zahlreiche Ärzte scheinen sich hieran nicht zu halten. Der Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, Gernot Kiefer, betonte, er sei sich „sicher, dass viele Leistungserbringer korrekt handeln“, doch „wenn man durch die Selbsteinschätzung der Branche sieht, dass jeder fünfte Arzt die berufsrechtlichen Verbote nicht kennt und zugleich Zuweisungen gegen Entgelt auch als selbstverständlich ansieht, ist das ein Skandal.“ Tatsächlich lassen die Antworten der Ärzte auf die Frage nach den Prämienzahlungen nicht nur Kritiker stutzen. Denn hochgerechnet verstoßen demnach „mehr als 27.000 niedergelassene Vertragsärzte schon heute gegen das Berufsrecht“, so die Mitteilung des GKV-Spitzenverbandes. „Würde hier das Strafrecht angewendet, wäre klar, welches hohe Korruptionspotential im deutschen Gesundheitswesen besteht“, betonte Gernot Kiefer.
Korruptionsstrafrecht bei Ärzten anwenden
Laut Aussage des Studienleiters Professor Kai Bussmann lebt „die von den Studienteilnehmern wahrgenommene gängige Praxis der Zuweisungsvergütung in vielen Fällen davon, dass das Entdeckungsrisiko für den einzelnen Akteur relativ gering und die Nachteile für den Berufsstand sowie das Gesundheitssystem insgesamt weit entfernt sind.“ Auch führen „fehlende Kontrollen und Sanktionen“ dazu, dass „Zuweisungen gegen Entgelt offenbar als risikoarmes Kavaliersdelikt erscheinen“, ergänzte Gernot Kiefer. Doch die Annahme von Entgelten für die Überweisung von Patienten ist laut Aussage des Vorstandes vom GKV-Spitzenverband bei weitem kein Kavaliersdelikt., weshalb „die gesetzlichen Kassen die neuen sozialgesetzlichen Möglichkeiten” in Zukunft verstärkt nutzen und im Ernstfall den Vertragsärzte sogar die Zulassung entziehen wollen. „Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass Ärzte eine bestimmte Klinik oder ein Labor aus medizinischen und nicht aus monetären Gründen empfehlen“, betonte Gernot Kiefer und forderte, „als ultima ratio endlich auch das Korruptionsstrafrecht bei niedergelassenen Ärzten“ anzuwenden. (fp)
Bild: Rainer Sturm / pixelio.de
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