Klimawandel fördert Ausbreitung der Ostsee-Todeszonen
02.07.2012
Die sauerstoffarmen Todeszonen in der Ostsee werden sich vermutlich im Zuge des Klimawandels noch deutlich weiter ausdehnen, so das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW). Denn der zu erwartende Temperaturanstieg hat einen deutlich größeren Einfluss auf die Entstehung der lebensleeren Unterwasserbereiche, als bislang angenommen.
Vor allem die zu hohe Nährstoffzufuhr stand bislang als Ursache der Bildung sogenannter Todeszonen in der Ostsee unter Verdacht. Durch die Überdüngung der Felder gelangen zu viele Nähstoffe in die Flüsse, letztere transportieren die Rückstände der Düngemittel Richtung Ostsee, wodurch hier ein massives Algenwachstum begünstigt wird. In der Folge sinkt der Sauerstoffgehalt des Meeres teilweise derart drastisch, dass in den betroffenen Bereichen kein Leben mehr möglich ist, so die bisherige Theorie. Doch die Temperatur spielt hier laut IOW eine weit größere Rolle, als bisher vermutet. Den Ergebnissen der aktuellen Studie zufolge wäre bei gleichbleibenden oder sinkenden Temperaturen der Eintrag von Nährstoffen kein vergleichbares Problem. Steigende Temperaturen hingegen fördern die rasante Ausbreitung der Todeszonen.
Einfluss der Klimaschwankungen auf die Todeszonen der Ostsee
Laut IOW ist die „Ostsee ein stabil geschichtetes Binnenmeer“ mit leichtem Süßwasser aus den Flüssen an der Oberfläche und schwerem Salzwasser in größeren Tiefen. Der Austausch zwischen den beiden Bereichen ist stark eingeschränkt. „Nur wenn sauerstoffreiches Nordseewasser durch die dänischen Meerengen in die Ostsee gelangt, wird das Tiefenwasser belüftet und mit neuem O2 aufgefrischt“, erläutern die Forscher des IOW. Diese Salzwassereinbrüche aus der Nordsee seien jedoch eher selten, weshalb „in weiten Bereichen der tiefen Ostsee regelmäßig sauerstoffarme oder gar sauerstofffreie Bedingungen“ herrschen, so die Mitteilung des IOW. In diesen „Todeszonen“ ist laut Aussage der Forscher kein höheres Leben mehr möglich. In ihrer interdisziplinären Studie haben die Wissenschaftler des IOW nun untersucht, „welchen Einfluss Klimaschwankungen in der Vergangenheit auf die Verbreitung von Todeszonen in der Ostsee hatten.“ Zu diesem Zweck analysierten sie mehrere Sedimentkerne, die unter anderem aus dem besonders tiefen Bereich des Gotlandbeckens geborgen wurden. „Weil Sedimente am Boden der Meere die im Wasser herrschenden Bedingungen zur Zeit ihrer Ablagerung wie ein Archiv speichern, konnten die Wissenschaftler die letzten 1.000 Jahre in der Geschichte der Ostsee rekonstruieren“, berichtet das IOW in seiner aktuellen Mitteilung.
Klar erkennbare Sedimentschichten Hinweis auf fehlendes Leben in den Warmphasen
Wie die Erstautorin der Studie, Karoline Kabel, erläuterte, spiegeln sich „in der rekonstruierten Temperaturkurve für die letzten 1.000 Jahre deutlich die Mittelalterliche Warmzeit, die Kleine Eiszeit und die jüngste Erwärmung seit 1900 wider.“ Während der mittelalterlichen Warmzeit in den Jahren 950 bis 1250 n. Chr. lag die durchschnittliche Sommertemperatur des Ostseewassers laut Aussage der Forscher mit über 16 Grad Celsius auf einem ähnlichen Niveau wie heute (circa 17 Grad Celsius). „Exakt in den warmen Perioden finden wir in unseren Bohrkernen eine deutlich erkennbare Schichtung“, betonte Karoline Kabel. Der Expertin zufolge ist „diese ungestörte Ablagerung ein sicheres Zeichen für sauerstoffarme Bedingungen am Meeresboden“, da die Schichtung ansonsten durch vielzellige Organismen, die den Boden durchwühlen, gestört worden wäre. In den Todeszonen existieren keine derartigen Lebewesen, so dass die einzelnen Sedimentschichten klar erkennbar bleiben. Im Umkehrschluss ist davon auszugehen, dass während der mittelalterlichen Warmzeit bereits größere Todeszonen in der Ostsee bestanden.
In den Kälteperiode ging die Ausbreitung der Todeszonen zurück
Während der „Kleinen Eiszeit“ zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert zeigen die rekonstruierten Temperaturkurven der IOW-Studie Sommerwerte für das Ostseewasser von rund 15 Grad Celsius. Die Sedimentkerne aus diesem Zeitraum weisen laut Aussage der Forscher eine homogene Struktur auf, was für die Präsenz vielzelliger Lebewesen spricht. „Hier war offenbar genug O2 im Tiefenwasser vorhanden und höheres Leben möglich“, so die Schlussfolgerung der Forscher. Die Ergebnisse ihrer Studie haben Karoline Kabel und Kollegen in dem Fachmagazin „ Nature Climate Change“ unter dem Titel „Auswirkungen des Klimawandels auf das Ökosystem der Ostsee in den vergangenen 1.000 Jahre“ veröffentlicht. Die Studie zeigt anhand verschiedener Computermodelle auch die erneute Ausbreitung der Todeszonen seit dem 19. Jahrhundert bis zu ihrem heutigen Stand. Zudem errechneten die Forscher mögliche Auswirkungen eines erhöhten Nährstoffeintrags während der Kälteperiode, um zu überprüfen, ob dieser vergleichbare Wirkungen gezeigt hätte, wie in der heutigen Warmzeit. Dabei stellten Kabel und Kollegen fest, dass der massive Nährstoffeintrag zwar auch in der „Kleinen Eiszeit“ zur Bildung von Todeszonen geführt hätte, doch diese wären weit kleiner ausgefallen als in den Warmphasen.
Cyanobakterien Anlass für die Entstehung der Todeszonen?
Den „verbindenden Wirkungsmechanismus zwischen Oberflächenwassertemperatur und Sauerstoffzehrung in der Tiefe“ stellen nach Ansicht der Forscher vermutlich sogenannte Cyanobakterien her. Diese fälschlicherweise oft als „Blaualgen“ bezeichnet Bakterien, können sich „in der Ostsee erst bei einer Temperatur höher als 16 Grad Celsius und ruhigen Windbedingungen massenhaft vermehren und die charakteristischen Blüten bilden, die wir in warmen Sommern sehen können“, erläuterte Karoline Kabel. In den Sedimentkernen der „warmen Perioden finden wir sehr viel organischen Kohlenstoff, was unter anderem auf eine erhöhte Biomasseproduktion hinweist“, so Kabel weiter. Das durch die Blüte der Cyanobakterien gebildete organische Material sinkt zum Grund und wird auf Kosten des Sauerstoffs in der Tiefe vor allem durch andere Bakterien abgebaut, erläuterte die Expertin. So seien die Cyanobakterien Anlass für den direkten Zusammenhang zwischen langfristigen Temperaturschwankungen und der Ausbreitung sogenannter „Todeszonen“ in der tiefen Ostsee. Damit liegt nach Einschätzung des IOW der Verdacht nahe, dass die Todeszonen sich in Zukunft deutlich ausweiten werden, „denn alle bedeutenden globalen Klimamodelle gehen von steigenden Temperaturen im Laufe der kommenden Jahrzehnte aus.“ (fp)
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Bild: Andreas Hermsdorf / pixelio.de
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