Schon im Mutterleib prägt die Umwelt das Erbgut des Kindes
Die DNA bestimmt zwar die Grundlagen der Entwicklung eines Menschen, doch ändern sich die Erbanlagen im Zuge des sogenannten epigenetischen Effekts durch Umwelteinflüsse. Diese Veränderungen beginnen offenbar bereits im Mutterleib, so die Aussage einer Studie australischer Forscher vom Murdoch Childrens Research Institute in Melbourne.
Wissenschaftler um Jeffrey Craig und Richard Saffery haben im Rahmen ihrer Studie die Erbanlagen von „22 eineiigen Zwillingspaaren und 12 nicht-identischen Zwillingspaare“ unmittelbar nach der Geburt untersucht und „ihre epigenetische Marker abgebildet“, so die Mitteilung des Murdoch Childrens Research Institute. Dabei stellten sie überraschenderweise fest, dass auch die eineiigen Zwillinge bei ihrer Geburt bereits deutliche Unterschiede in der Ausprägung ihrer DNA – dem sogenannten epigenetischen Profil – aufwiesen. Offenbar beeinflussen die unterschiedlichen Umwelteinflüsse im Mutterleib die Methylierung der DNA, wodurch bestimmte Gene entweder ein- oder ausgeschaltet werden.
Epigenetik – Vererbungslehre der Umwelteinflüsse
Nachdem zwischendurch die Bedeutung der DNA als nahezu deterministisch für die Entwicklung eines Kindes bewertet wurde, hat sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Umwelteinflüsse über den Effekt der Epigenetik einen größeren Anteil an der Entwicklung haben, als ehemals angenommen. Der epigenetische Effekt bestimmt, welche Gene aktiviert beziehungsweise deaktiviert werden. Bedingt wird dieser Effekt auf biochemischer Ebene durch die sogenannte Methylierung der DNA. Es bilden sich Methylgruppen an bestimmten Genen, wodurch bei Zelleigenschaften an Tochterzellen weitergegeben werden können, die nicht explizit durch die DNA festgeschrieben sind. Da dies der Vererbungslehre eine zusätzliche Ebene hinzugefügt hat, sprechen Wissenschaftler von Epigenetik
Die australischen Forscher untersuchten im Rahmen ihrer Studie, ab wann die epigenetischen Veränderungen beim Menschen einsetzen, indem sie die Methylierung der DNA von Zwillingen unmittelbar nach der Geburt analysierten. Zum ersten Mal zeige ihre Studie „auf einem genomweiten Maßstab, dass eineiige Zwillinge, die die gleiche DNA-Sequenz teilen, unterschiedliche Epigenetik bei der Geburt haben können“, berichten die Forscher in der Mitteilung des Murdoch Childrens Research Institute.
Umweltbedingungen verändern die Erbanlagen
Seit längerem war bereits bekannt, dass die Umwelt über den Effekt der Epigenetik auch Einfluss auf die Erbanlagen eines Menschen haben kann. Die Vorstellung einer festgeschrieben, unveränderlichen DNA ist lange überholt. Vielmehr weisen zahlreiche Studien darauf hin, dass der Lebenswandel eines Menschen (z. B. über Essen, Trinken oder Kontakt zu Umweltgiften) einen erheblichen Einfluss auf die Methylierung der DNA hat. So verändern sich die Erbanlagen im Laufe des Lebens, wobei bislang jedoch unklar blieb, ob der Effekt möglicherweise bereits im Mutterleib einsetzt. Dieser Frage sind die australischen Forscher nun auf den Grund gegangen, mit erstaunlich eindeutigem Ergebnis. Auf epigenetischer Ebene waren in den entnommen Proben der Plazenta, der Nabelschnur und des Nabelschnurblutes auch bei eineiigen Zwillingen eindeutige Unterschiede festzustellen. Diese sind auf Ereignisse zurückzuführen, die einem Zwilling im Mutterleib widerfahren sind und dem anderen nicht, so Craig und Saffery. „Die Studie zeigt, dass die einzigartige Umgebung in der Gebärmutter eine entscheidende Rolle beim Aufbau des epigenetischen Profils spielt“, betonte Jeffrey Craig in der Pressemitteilung des Murdoch Childrens Research Institute.
Unterschiedliche Umwelteinflüsse bei Zwillingen im Mutterleib
Tatsächlich sind die Umwelteinflüsse auf die Zwillinge im Mutterleib keineswegs identisch, denn die Embryos haben oft eine „eigene Nabelschnur und in mehr als 95 Prozent der Fälle auch eine eigene Fruchtblase“, erläuterte Jeffrey Craig. Die Umweltbedingungen seien demnach durchaus individuell unterschiedlich. Die variablen Umwelteinflüsse bewirken, dass sich das epigenetische Profil der eineiigen Zwillinge bereits im Mutterleib äußerst unterschiedlich entwickeln kann. Diese Erkenntnis habe „potenziell weitreichende Auswirkungen für die menschliche Gesundheit, da viele Krankheiten wie beispielsweise Diabetes, sich vermutlich sehr früh im Leben entwickeln“, so das Fazit der australischen Forscher.
Krankheitsvorhersage mit Hilfe der Epigenetik
Die Epigenetik hat nach Einschätzung von Craig und Saffery einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung unterschiedlicher Krankheiten, wobei es wichtig sei „dieses Potenzial zu identifizieren und zu verfolgen.“ Auf diese Weise ließe sich das Krankheitsrisiko bereits früh im Leben erkennen. Möglicherweise könnten die individuellen epigenetisch-bedingten Gesundheitsgefahren auch durch eine „spezifische Umgebung oder diätetische Intervention“ vermieden werden, so die Hoffnung der australischen Wissenschaftler. Ihre Aussagen werden auch durch die festgestellten epigenetischen Unterschiede bei Zwillingen mit unterschiedlichem Geburtsgewicht bekräftigt. Denn die leichteren Zwillinge hätten „vor allem in Genen, die mit Prädisposition für Krankheiten, die zuvor mit niedrigem Geburtsgewicht assoziiert wurden“ Veränderungen aufgewiesen, berichten die Wissenschaftler in der Pressemitteilung des Murdoch Childrens Research Institute. (fp)
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