Neues Verfahren ermöglicht Gelähmten das Schreiben mit den Augen
27.07.2012
Französische Wissenschaftler haben eine Möglichkeit gefunden, die vollständig Gelähmten das Schreiben und Malen mit den Augen ermöglicht. „Dieses System könnte zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten mit Lähmung der Gliedmaßen beitragen“, schreiben die Forscher um Jean Lorenceau von der Pariser Université Pierre et Marie Curie im Fachmagazin „Current Biology“.
Buchstaben, Zahlen und einfache Zeichnungen waren mit dem neuen System für vollständig gelähmte Patienten kein Problem mehr. Sie nutzen ihre Augen, um auf einem Computerbildschirm die gewünschten Formen zu erzeugen. Die französischen Wissenschaftler haben eine Möglichkeit gefunden, um das sogenannten Verfahren des Eye-Tracking, bei dem eine Kamera die Bewegung der Pupille erfasst, so zu verbessern, dass auch Gelähmte, die an einem Sprachverlust leiden, damit kommunizieren können.
Schreiben per Augenbewegung war bisher nicht möglich
Vollständig gelähmten Patienten bleiben laut Aussage der Forscher oftmals lediglich die Augen als Mittel zur Kommunikation. Bisherige Verfahren waren dabei relativ kompliziert. Betroffene mussten auf einem Computerbildschirm einzelne Buchstaben des Alphabets mit ihren Augen in der richtigen Reihenfolge fixieren und deren Eingaben durch Blinzeln bestätigen. Schreiben, direkt über die Augenbewegung schien ausgeschlossen, da die Augen zwar effektiv ein bewegtes Objekt verfolgen können, jedoch „nicht fähig sind, Bewegungen glatt und regelmäßig vor einem statischen Hintergrund“ auszuführen, so die Aussage von Lorenceau und Kollegen. Das ständige unwillkürliche Zucken der Pupillen – sogenannte Sakkaden – machten es für Kameraprogramme unmöglich, feine, gezielte Bewegungen in Schrift umzusetzen.
Optischer Trick verhindert Zucken der Pupillen
Um das unregelmäßige Zucken der Pupille zu unterbinden nutzten die französischen Forscher nun einen relativ simplen optischen Trick. Ein blinkender Bildschirmhintergrund verhindert die Sakkaden, so dass die Probanden auf Basis des Eye-Tracking Buchstaben, Zahlen und einfache Formen zeichnen konnten. Der Bildschirmhintergrund des neuartigen Systems ist mit einer Vielzahl von zufällig verteilten Kreisen versehen, die 720-mal pro Minute ihren Kontrast verändern und auf diese Weise ein kontinuierliches Flackern erzeugen. Bei ruhendem Blick auf das Display erscheinen die Kreise statisch, doch sobald „der Blick sich bewegt entsteht der deutliche Eindruck, dass die Scheiben mit der Augenbewegungen wandern“, berichtet Lorenceau. Durch diesen Effekt werden die Sakkaden unterbunden. Die Pupillenbewegung kann mittels. Eye-Tracking und einer relativ einfachen Software als Anzeige auf dem Bildschirm dargestellt werden.
Neues Verfahren nach kurzem Training zur Kommunikation nutzbar
Ein kurzes Training von „zwei bis vier Trainingseinheiten á 30 Minuten“ habe den Probanden ausgereicht, um ihre Augenbewegungen so zu kontrollieren, dass lesbare Wörter auf dem Computerdisplay erschienen, erklärte Jean Lorenceau. Anfangs wurde zur Erleichterung des Trainings die Blickrichtung des Probanden durch einen Ring aus farbigen Punkten markiert. So konnten die Versuchspersonen besser kontrollieren, was sie gerade zeichneten. Jedoch war nicht allen Nutzern sofort ersichtlich, welche Linie sie mit ihrer Augenbewegung erzeugten, erläuterte Lorenceau. Dies sei für die Probanden quasi so, als würden sie blind schreiben. Daran gewöhnten sich die Nutzer allerdings erstaunlich schnell, so dass sie bereits nach kurzer Trainingsdauer Zahlen, Buchstaben, ganze Wörter und Zeichnungen darstellen konnten.
Patienten schreiben mit den Augen so schnell wie mit der Hand
Den gelähmten Patienten, „bietet dies eine schnelle, kreative und persönliche Hilfe für den sprachlichen und emotionalen Ausdruck“, erläuterte Jean Lorenceau. Laut Aussage der französischen Hirnforscher „kann ein gut ausgebildeter Mensch auf Basis des neuen Systems mit seinen Augen in etwa in der gleichen Geschwindigkeit schreiben, wie mit der Hand.“ Zwanzig bis 30 Buchstaben pro Minute seien bei entsprechendem Training kein Problem. Das System könne unter Umständen auch für die Ausbildung von Piloten, Chirurgen, Sportlern und bei anderen Tätigkeiten, die eine genaue okulomotorischen Kontrolle erfordern, verwendet werden, so Lorenceau weiter.
Erprobung bei Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose geplant
In erster Linie ist das neuartige System derzeit jedoch für die Anwendungen bei Patienten mit Lähmungen der Gliedmaßen und Sprachverlust gedacht. So planen die französischen Wissenschaftler als nächsten Schritt die Erprobung bei Menschen mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS). Diese degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, verursacht eine fortschreitende und irreversiblen Zerstörung der zur Muskelbewegungen benötigten Nervenzellen. Dementsprechend leiden die Patienten an zunehmenden Lähmungen, die bei Fortschreiten der Erkrankung auch einen Sprachverlust bedingen. Daher könnten die ALS-Patienten in ihrer Kommunikationsfähigkeit erheblich von der Erfindung der französischen Hirnforscher profitieren. (fp)
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Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
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