Verstöße gegen die Prüfungsordnung sind laut einer Studie keine Ausnahme
14.08.2012
Schummeln im Studium ist keine Ausnahme, sondern die Regel, so das Ergebnis einer aktuellen, im Auftrag des Bundesministerium für Bildung und Forschung durchgeführten Studie der Universitäten Bielefeld und Würzburg. Obwohl Plagiatsfälle bei Prominenten wie Guttenberg und Co für erhebliche öffentliche Kritik sorgten, nehmen die meisten Studenten es bei den eigenen Arbeiten offenbar nicht so genau.
Die Soziologen der Universitäten Bielefeld und Würzburg fanden heraus, dass vier von fünf Studierenden schon einmal geschummelt und knapp 20 Prozent sogar bereits ein Plagiat abgegeben haben, berichtet „ZEIT Online“ von den Ergebnissen der aktuellen Untersuchung. Die unterschiedlichsten Schummel-Tricks kommen dabei zum Einsatz. Während der Klausur ein wenig Abgucken beim Nachbarn, einen Spickzettel in der Hosentasche oder bei Hausarbeiten Copy-and-paste aus dem Internet – den meisten Studenten sind derartige Methoden wohl vertraut.
Suche nach den Ursachen für Betrug im Studium
Zwar ist die Empörung bei Bekanntwerden prominenter Plagiatsfälle meist groß, doch bei ihren eigenen Leistungen nehmen viele Studierende es mit der Ehrlichkeit nicht so genau. Im Rahmen der Fairuse-Studie hat das Forscherteam um Sebastian Sattler und Prof. Dr. Martin Diewald, von der Fakultät für Soziologie an der Universität Bielefeld die „individuellen und organisatorisch-strukturelle Bedingungen“ untersucht, welche Anlass für „Fehlverhalten und Betrug bei der Erbringung von Studienleistungen“ sind. Dabei ermittelten sie auch, wie viele Studenten tatsächlich schon einmal während ihres Studiums betrogen haben. Die Forscher zählten nicht nur die Plagiate, sondern sämtliche Verstöße gegen die Prüfungsordnung.
Großteil der Studierenden betrügt mindestens einmal pro Semester
Die Fairuse-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 79 Prozent aller befragten Studenten pro Semester mindestens einmal gegen die Prüfungsordnung verstoßen haben, fast ein Fünftel in Form von eingereichten Plagiaten. Während der Klausuren schrieben 37 Prozent aller Studierenden beim Nachbarn ab, unter den Medizinern waren es sogar fast zwei Drittel. Ein beachtlicher Anteil, zumal den Studierenden die möglichen Konsequenzen ihres Handelns durchaus bewusst sein sollten. Schließlich wurde auch in den prominenten Plagiatsfällen Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und der Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin (FDP) der Doktorgrad wieder aberkannt. Letztere legte zwar Klage vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe gegen den Entzug des Doktortitels ein, doch die ohne Kennzeichnung übernommenen Inhalte anderer Quellen sind kaum zu bestreiten. Das viele Studenten sich von diesen Fällen nicht abschrecken lassen, mag daran liegen, dass laut Angaben der Fairuse-Studie lediglich rund sechs Prozent der Plagiatoren auffliegen und ganze 94 Prozent unentdeckt bleiben.
Mediziner und Naturwissenschaftler schummeln mit geringem Risiko
In den Naturwissenschaften ist das Risiko beim Schummeln erwischt zu werden offenbar besonders gering. Denn hier sind manipulierte Messdaten eine häufig angewendete Methode, doch „über das Fälschen und Erfinden von Messergebnissen redet niemand“, zitiert „Zeit Online“ die Aussage von Sebastian Sattler. Dem Blatt zufolge betonte der Studienleiter: „So wie in den Medien über studentischen Betrug diskutiert wird, sind die Naturwissenschaften fein raus.“ Obwohl rund ein Drittel aller Naturwissenschaftler und Mediziner den Ergebnissen der aktuellen Studie zufolge gefälschte Messergebnisse in ihren Arbeiten verwendet, ist das Risiko entdeckt zu werden für sie minimal.
Studienumfeld mit Einfluss auf die Bereitschaft zum Schummeln
Die Untersuchung der Wissenschaftler hat jedoch nicht nur die Seite der Studierenden beleuchtete, sondern auch die Rolle des Lernumfelds und die Lehrenden bei den Verstößen gegen die Prüfungsordnung genauer unter die Lupe genommen. So habe sich gezeigt, dass Studierende seltener schummeln, wenn sie mit ihrem Studien allgemein zufrieden sind. Bei starkem Konkurrenzdruck, Stress oder Prüfungsangst neigen die Studenten demnach eher zu Schummeleien. Auch sieht Studienleiter Sebastian Sattler die Dozenten in der Pflicht. So würden sich die Lehrenden oftmals auf ein Minimum an Prävention beschränken. Dies beginne bei der fehlenden Anwendung gängiger Plagiatssoftware – obwohl ein Zugang verfügbar wäre – und ende beim Verteilen der gleichen Klausur an alle Studierenden.
Dozenten bei der Prävention gefordert
Weniger als ein Viertel der Dozenten gaben im Rahmen der Studie an, einzelne Sätze von Hausarbeiten stichprobenartig über Google oder andere Suchmaschinen zu suchen, um Plagiaten auf die Schliche zu kommen. Bei den Klausuren achten zwar fast alle Dozenten darauf, dass die Studenten möglichst weit auseinander sitzen, um das Abschreiben zu erschweren, und auch Smartphones sind in der Regel verboten. Doch mangels Zeit verzichtet der Großteil der Lehrenden auf unterschiedliche Klausurversionen. Auch wollen viele Dozenten einen Generalverdacht ihren Studenten gegenüber vermeiden, um das Lehrklima zu schonen, zitiert das Blatt den Studienleiter Sattler. Dieser warnte davor, die Verstöße gegen die Prüfungsordnung an den deutschen Universitäten zu bagatellisieren, selbst wenn das Abschreiben beim Nachbarn nicht mit einem wochenlang ausgetüftelten Plagiat gleichzusetzen sei. Sattler argumentierte, dass „viel Geld in die Bildung investiert“ werde und „wenn Leute betrügen, ist das eine Fehlinvestition.“ (fp)
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