Kollektiver programmierter Zelltod schützt Blindmäuse vor Krebs
06.11.2012
Blindmäuse sind offenbar von Natur aus immun gegen Krebs. Ein internationales Forscherteam um Vera Gorbunova vom Institut für Biologie an der University of Rochester in New York hat nun herausgefunden, auf welche Weise sich die unterirdisch lebenden Blindmäuse vor der Entwicklung von Krebs schützen. Ihre Erkenntnisse könnten dazu beitragen, die Krebstherapie künftig deutlich zu verbessern, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS).
Seit längerem war bekannt, dass Blindmäuse (Spalax) quasi immun gegen Krebs sind. „Unter Tausenden im Labor gehaltenen Blindmäusen gab es im Laufe von 40 Jahren nicht einen einzigen Fall eines Tumors“, während bei den nahe verwandten Mäusen bis zu 90 Prozent der Labortiere an Krebs sterben, betonen Gorbunova und Kollegen. Bei den Blindmäusen werde im Falle unkontrollierten Zellwachstums der Signalstoff Beta-Interferon ausgeschüttet, welcher den programmierten kollektiven Zelltod hervorruft. Auf diese Weise könne sich im Organismus der Blindmäuse kein Tumor entwickeln. In ihren Studien habe der entdeckte Mechanismus innerhalb kürzester Zeit ganze Zellkulturen eliminiert, schreiben die Forscher im Fachjournal „PNAS“.
Signalstoff verursacht bei unkontrolliertem Wachstum den kollektiven Zelltod
Um den Mechanismus zu verstehen, der für die erhöhte Krebsresistenz der Blindmäuse verantwortlich ist, „untersuchten wir das Wachstum von Fibroblasten der Spezies Spalax judaei (Judäische Bergblindmaus) und Spalax Golani (Golanhöhen Blindmaus)“, berichten Vera Gorbunova und Kollegen. Die Forscher entnahmen den Blindmäusen Fibroblasten (spezielle Bindegewebezellen) aus Lunge und Haut und beobachteten das Wachstum der Zellkulturen in Nährmedien unter Einfluss wachstumsfördernder Substanzen. Die Bindegewebezellen der Blindmäuse zeigten zunächst ein massives Wachstum mit sieben bis 20 Populationsverdopplungen, bevor die Zellen begannen den Signalstoff Beta-Interferon freizusetzen, was den nekrotischen Zelltod der Kultur innerhalb von drei Tagen zur Folge hatte, berichten die Wissenschaftler. Seit Jahren kultivieren die Forscher Bindegewebezellen von 20 verschiedenen Nagetierarten, „aber einen solchen synchronen Tod von Zellkulturen haben“ sie nach eigenen Angaben „noch niemals zuvor beobachtet.“
Natürlicher Schutz vor Krebs
Damit ist nach Ansicht der Wissenschaftler erstmals eindeutig nachgewiesen, weshalb die Blindmäuse eine derartige Immunität gegen Krebs aufweisen. Durch die Freisetzung von Interferon bei unkontrolliertem Zellwachstum werde der programmierte Zelltod in Form der Apoptose herbeigeführt. Der Effekt habe sich auch beobachten lassen, wenn Interferon jungen, noch wachsende Kulturen der Fibroblasten beigegeben wurde. „Die Kenntnis solcher natürlichen Anti-Krebs-Mechanismen könnte dazu beitragen, neue Therapien auch für Krebserkrankungen des Menschen zu entwickeln“, so das Fazit der Forscher der Universität von Rocherster, des Roswell Park Cancer Institute in Buffalo (USA) und der University of Haifa (Israel). Durch eine spezielles Gen in dem Schaltkreis, der bei Säugetieren für die Apoptose entscheidend ist, werde bei den Blindmäusen der programmierte Zelltod im Falle zu starken, ungehemmten Zellwachstums eingeleitet.
Blindmäuse mit einzigartigen Eigenschaften
Die etwa rattengroßen Blindmäuse sind in vielfacher Hinsicht besonders an ihre unterirdische Lebensweise angepasst. Zum Graben der Gängen und Bauten unter der Erde nutzen die Tiere ihre überproportional großen Schneidezähne. Über ihre Augen ist Haut gewachsen, da sie für das Leben unter der Erde nicht benötigt werden. Auch bei extrem sauerstoffarmer Luft können die Blindmäuse noch überleben. Zudem seien die Blindmäuse im Vergleich zu anderen Nagetieren mit einem Lebensalter bis zu 21 Jahren äußerst langlebig, schreiben Gorbunova und Kollegen. Gewöhnliche Ratten erreichen beispielsweise lediglich ein Alter von circa vier Jahren. Die Einzigartigkeit der Blindmäuse wird jedoch in den Augen der Wissenschaftler maßgeblich durch ihre Resistenz gegen Krebs bedingt. Wieso ausgerechnet diese unterirdisch lebenden Tiere im Zuge der Evolution einen derart effizienten Schutz vor unkontrollierten Zellwucherungen beziehungsweise Tumoren entwickelt haben, bleibt vorerst allerdings offen. (fp)
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