Psychisch kranke Mieterin loszuwerden kann psychisch krank machen
Karlsruhe (jur). Vermieter können die Räumung einer Wohnung in der Regel nicht durchsetzen, wenn dem Mieter dadurch schwere gesundheitliche Schäden drohen. Das kann aber anders sein, wenn der Räumungsstreit auf Dauer auch die Vermieter psychisch krank macht, wie aus einem am Mittwoch, 10. August 2016, veröffentlichten Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe hervorgeht (Az.: I ZB 109/15). Die beiderseitigen Interessen sind danach in einen Ausgleich zu bringen – hier durch eine Verschiebung der Räumung, wenn die Mieterin sich zwischenzeitlich in Therapie begibt.
Im konkreten Fall geht es um einen Bungalow im Raum Fürstenwalde im östlichen Brandenburg. Die Vermieter, ein Ehepaar, wohnen direkt nebenan und nutzen Garten, Schuppen und Garage des Bungalow-Grundstücks, unter anderem für ihre Tiere.
Die Mieterin wäre eigentlich zur Räumung verpflichtet, doch das Amtsgericht Fürstenwalde setzte im Februar 2013 die Vollstreckung aus. Grund war eine psychische Zwangsstörung. Laut Gutachten führen jegliche Veränderungen bislang üblicher Abläufe zu einer massiven ängstlichen Anspannung. Eine Räumung des Bungalows würde zu einer depressiven Störung mit hoher Selbstmordgefahr führen, so der Gutachter.
Die Vermieter stellten im Mai 2013 Strom und Gas ab. Als auch das nicht half, schlug der Mann im Sommer 2014 nahezu sämtliche Fenster des Bungalows ein. Er rechtfertigte dies mit dem sich stetig verschlechternden psychischen Zustand seiner Frau.
In zweiter Instanz holte das Landgericht Frankfurt an der Oder auch über sie ein ärztliches Gutachten ein. Danach durchläuft sie eine bislang noch „leichte depressive Episode“. Der Streit um den Bungalow nehme sie aber fast vollständig in Beschlag, so dass sie kaum noch zur Auseinandersetzung mit anderen Themen in der Lage sei. Nur die Hoffnung auf Räumung führe noch zu einer gewissen Stabilisierung. Andernfalls drohe „eine Verschlechterung des Krankheitsbildes mit einhergehender Suizidalität“. Auch der Mann leide erheblich, wenn auch nicht so schwer.
In dieser Situation urteilte das Landgericht, dass die Mieterin den Bungalow räumen müsse. Da ohne Räumung auch den Vermietern schwere gesundheitliche Schäden drohen, könne sich die Mieterin nicht mehr auf ihre psychischen Probleme berufen.
Der BGH stellte sich nun gegen dieses Entweder-oder. Wenn auf beiden Seiten Gesundheit oder gar Leben in Gefahr sind, müsse vielmehr ein Ausgleich der Interessen gesucht werden.
Hier sei das Risiko für die Mieterin derzeit deutlich höher. Laut Gutachten könne aber eine Verbesserung erreicht werden, wenn sie einen Therapeuten findet, der sie in ihrer Wohnung behandelt. Daher sei eine Lösung denkbar, bei der die Mietrein für diesen Zweck vorübergehend noch in dem Bungalow bleibt.
Nach dem jetzt schriftlich veröffentlichten BGH-Beschluss vom 16. Juni 2016 soll die Einzelheiten nun wiederum das Landgericht Frankfurt an der Oder bestimmen. mwo
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