Mäuseversuche nahezu ohne Aussagekraft
13.02.2013
Vielfach wurde in der Vergangenheit die medizinische Aussagekraft von Tierstudien in Frage gestellt. Nun hat ein Team kanadischer und US-amerikanischer Wissenschaftler um Shaw Warren vom Bostoner Massachusetts General Hospital in dem Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) eine Studie veröffentlicht, die zu dem Schluss kommt, dass Versuche zu Entzündungsprozessen und deren Behandlung an Mäusen keine Rückschlüsse auf den Menschen erlauben. Tierschützer und andere Gegner der Tierversuche sehen sich in ihrer bisherigen Kritik bestätigt.
Die meisten Medikamente werden heute lange vor einer Anwendung beim Menschen an Tieren getestet. Zudem erfolgen unzählige Tierversuche im Namen der Grundlagenforschung. Doch bestehen nicht nur auf Seiten der Tierschützer erhebliche Zweifel an der Belastbarkeit der Ergebnisse, die im Rahmen solcher Tierversuche gewonnen werden. Die US-Forscher nahmen sich dies zum Anlass für eine umfassende Analyse zu den Auswirkungen von Entzündungsprozessen auf die Genexpression bei Menschen und Mäusen.
Die festgestellten Abweichungen zeigen, dass Studien an Mäusen kaum Aussagekraft für Entzündungsprozesse bei Menschen haben. Der menschliche Organismus reagiere auf die Entzündungsprozesse in der Genexpression grundsätzlich anders, als der Organismus der Nager, berichtet das Forscherkonsortium, an dem unter anderem Institutionen, wie die Harvard Medical School, das Massachusetts General Hospital und die University of Toronto beteiligt waren, im Fachmagazin „PNAS“.
Studien an Mäusen ohne medizinischen Nutzen?
Modellversuche an Mäusen „wurden in den letzten Jahrzehnten umfangreich verwendet, um Wirkstoffkandidaten für spätere menschliche Studien zu identifizieren und zu testen“, doch nur wenige dieser Studien führten auch bei Untersuchungen an Menschen zu Erfolgen, berichten Warren und Kollegen. Besonders niedrig liege die Erfolgsrate der Studien im Bereich von Entzündungen. Entzündungsprozesse spielen bei zahlreichen menschlichen Erkrankungen eine wesentliche Rolle. Die Anzahl der vorhandenen Studien ist hier laut Aussage der Forscher entsprechend hoch. Allein zu Wirkstoffkandidaten, die Entzündungsreaktion bei akuten Erkrankungen blockieren sollen, seien 150 klinischen Studien durchgeführt worden, von denen „jeder Versuch gescheitert“ ist, schreiben die US-Wissenschaftler. Hier habe sich die Frage nach der grundsätzlichen Aussagekraft der Studien an Mäusen zu Entzündungsprozessen bei Menschen gestellt.
Veränderungen der Genexpression bei Menschen und Mäusen verglichen
Da Entzündungsprozesse in der Regel Veränderungen der Genaktivität, also der Genexpression, bedingen, haben die Forscher um Shaw Warren im Rahmen ihrer aktuellen Studie die Auswirkungen von entzündlichen Reaktionen auf die RNA (Ribonukleinsäure) in den weißen Blutkörperchen bei Menschen und drei unterschiedlichen Mäusestämmen verglichen. Untersucht wurde die Wirkung von Entzündungen durch Verbrennungen, Vergiftungen und Gewaltverletzungen (stumpfe Trauma) auf die Genaktivität bei Menschen und Nagern.
Die Wissenschaftler entnahmen Blutproben von 167 Patienten 28 Tage nach einem „schweren stumpfen Trauma, von 244 Patienten bis zu ein Jahr nach einer Verbrennung und von vier gesunden Menschen 24 Stunden nach der Verabreichung von niedrig dosiertem bakteriellem Endotoxin.“ Sie überprüften die Veränderungen der Genexpression anhand der RNA in den weißen Blutkörperchen und führten einen vergleichbaren Versuch an Mäusen durch. Anschließend folgte ein „systematischer Vergleich der genomischen Reaktion zwischen menschlichen Entzündungen und dem Mausmodell“, schreiben Warren und Kollegen.
Keine Übereinstimmung in den Veränderungen der Genaktivität
Die Genaktivität der Menschen zeigte sich durch die Entzündungsprozesse bei mehr als 5.500 Genen deutlich verändert, wobei für circa 4.900 dieser Erbanlagen Mäuse vergleichbare Gene besitzen. Diese sogenannten Orthologe müssten eigentlich bei Mäusen und Menschen eine ähnliche Veränderung im Zuge der Entzündungsprozesse zeigen, um die Aussagekraft der Tierversuche zu bestätigen und damit deren Durchführung zu rechtfertigen. Doch dies war nicht der Fall. Die Forscher konnten keine signifikante Korrelation zwischen der Genexpression der Menschen und Mäuse feststellen. Auch unterschieden sich die Veränderungen der Genaktivität deutlich in ihrer Dauer. Während Menschen infolge der Entzündungsprozesse oft über Monate eine veränderte Genexpression zeigten, hielten die Veränderungen bei Mäusen meist nur wenige Tage.
Zudem waren die Abweichungen in der Genaktivität unabhängig von den jeweiligen Entzündungsursachen bei den Menschen relativ identisch, während bei den Mäusen zwischen den einzelnen Stämmen sogar bei gleicher Verletzungsart erhebliche Unterschiede festgestellt wurden. Angesichts des „weltweit üblichen Gebrauchs von Mäusen als Modell für menschliche Entzündungen“,seien die Ergebnisse äußerst ernüchternd, so Warren und Kollegen. Die aktuelle Studie spreche dafür, die medizinische Forschung stärker an den komplexeren menschlichen Bedingungen zu orientieren, „anstatt Mausmodelle für die menschlichen entzündlichen Erkrankungen zu studieren“. (fp)
Bild: Remi Loy / pixelio.de
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