Komplette Entfernung der Mandeln oft nicht sinnvoll
09.05.2013
Die Mandel völlig zu entfernen, das war lange Zeit gängige Praxis bei Kindern, die häufig unter einer Mandelentzündung litten. Heute wissen die Ärzte, dass dies häufig kontraproduktiv ist. Nicht selten treten nach der Entfernung der Mandeln unerwünschte Komplikationen auf. Eine davon sind starke Blutungen, die gestoppt werden müssen. Eine Risikominderung stellt daher die teilweise operative Entfernung der Mandeln dar. Wird nur ein Teil des Mandelgewebes entfernt, sinken die auch die späteren Komplikationsrisiken, wie der Facharzt für Hals-Nase-Ohren-Kunde, Prof. Dr. Jochen Windfuhr auf einem internationalen Ärztekongress erklärte.
Es ist noch nicht so lange her: Wenn Kinder unter einer Entzündung der Mandel litten, wurden diese vollständig entnommen. "Blutungskomplikationen nach einer Tonsillektomie, der vollständigen Entfernung der Gaumenmandeln, die im OP versorgt werden müssen, ereignen sich bei etwa fünf Prozent aller Patienten", berichtet der Chefarzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach, Prof. Jochen Windfuhr, heute am Rande eines Nürnberger Kongresses für HNO-Medizin. Diese damals gängige Praxis wird heutzutage nach und nach von den Medizinern revidiert. „Durch eine teilweise Entfernung können die gleichen Heilerfolge erzielt und gleichzeitig das Risiko für Komplikation gesenkt werden“, erklärt Windfuhr. Bei einer teilweisen Entfernung des entzündeten Mandelgewebes werden die großen Blutgefäße geschont, so der Facharzt. Dies erzeugt den Effekt, dass es weniger zu Blutungen bei den kleinen Patienten kommt.
Lebensbedrohliche Komplikationen durch Blutungen
"Die Blutungen können sich zu jedem Zeitpunkt und bei jedem Patienten zu einer lebensbedrohlichen Komplikation entwickeln." Unter den Risikofaktoren für das Auftreten und die Intensität postoperativer Blutungen werden immer wieder Operationstechnik, aber auch Patientenalter, Patientengeschlecht und Narkoseform genannt. "Dies hat uns aber bisher nicht geholfen vorherzusagen, wer von unseren Patienten bluten wird. Bei kleinen Kindern ist die Situation außerdem komplizierter, denn sie tolerieren nur geringere Mengen an Blutverlust. Dabei sind es nicht immer Massenblutungen, die wir fürchten. Auch bei so genannten Sickerblutungen können große Blutmengen unbemerkt verschluckt werden und dann zum schwallartigen Bluterbrechen und/oder Kollaps des Herz-Kreislaufsystems führen", so Windfuhr. Deswegen sei besonders bei jungen Patienten eine lückenlose postoperative Betreuung auch nach Entlassung aus der stationären Versorgung bis zum vollständigen Verheilen der Wunden besonders wichtig. "Eltern müssen wissen, was zu tun ist, wenn ihr Kind blutet."
Nach Angaben des Professors sei die Zahl der Komplettentfernungen der Mandeln in den vergangenen Jahren Jahr für Jahr zurückgegangen. Zwischen den Jahren 2007 und 2010 habe sich aber die „Zahl der Teilentfernungen verdoppelt“.
Wissenschaftliche Leitlinien ob eine Indikation vorliegt
Wissenschaftlich beurteilt ob die Mandeln entfernt werden müssen oder nicht, wird heute im Wesentlichen viel strenger beurteilt. "Internationale Leitlinien und folglich immer mehr Ärzte orientieren sich an den Ergebnissen einer Studie aus den USA aus dem Jahre 1984, die den Nutzen einer Mandelentfernung für Patienten im Alter bis zu 15 Jahren untersuchte und bis heute Berücksichtigung bei den Leitlinien findet", so Windfuhr. Erst ab einer bestimmten Anzahl von Mandelentzündungen bei Kindern besteht überhaupt eine Indikation zum Entfernen. Für die Entscheidungsfindung sei ein ausführliches Gespräch mit den Eltern unerlässlich. "Ergeben sich hier Unsicherheiten, tauschen sich die Ärzte untereinander aus."
Bei wiederholenden Mandelentzündungen und Atemnot Entfernung
Nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung sind für die Entfernung der Gaumenmandeln bei Kindern und Jugendlichen zwei Kriterien entscheidend. Die Mandelentzündungen wiederholen sich ständig und die Atemwege verengen sich.
Es bestehe aber eine Auffälligkeit bei den regionalen Unterschieden. Laut einer hauseigenen Studie wurden zwischen 2007 und 2010 beispielsweise im Landkreis Sonneberg (Thüringen) Kindern und Jugendlichen pro Jahr 14 von 10.000 Kindern die Mandeln raus genommen. Nur im etwa 120 Kilometer entfernten Schweinfurt waren es mit 109 Entnahmen beinahe achtmal so viele Operationen. Grund hierfür seien die verschiedenen Bewertungskriterien der behandelnden Ärzte. „Es gibt keine verbindliche Handlungsempfehlung oder Leitlinie für Gaumenmandeloperation“, so die Kritik. Wie die Studie zeigte, spiele der Wohnort demnach eine ausschlaggebende Rolle, ob die Mandeln entfernt werden. Befindet sich eine spezialisierte HNO-Klinik in der Nähe, wird auch häufiger operiert. (sb)
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Autoren- und Quelleninformationen
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