Angeklagter Transplantationsarzt bestreitet Mangel an Organen
24.08.2013
Im Prozess um Betrug bei Organtransplantationen gegen einen Arzt in Göttingen hat der Angeklagte bestritten, dass es einen Mangel an Spenderlebern gebe.
„Es gibt keinen Organmangel“
Am Freitag sagte der 46-jährige angeklagte Transplantationsmediziner vor dem Göttinger Landgericht: „Es gibt keinen Organmangel.“ Das Angebot würde für alle Patienten, die dringend ein Organ bräuchten, ausreichen. Der Arzt meinte, wenn sogenannte stabile Patienten von der Warteliste der zentralen Vergabestelle Eurotransplant entfernt würden, gäbe es gar ein Überangebot. Der ehemalige Chef der Transplantationsmedizin im Göttinger Uniklinikum wird des elffachen versuchten Totschlags sowie der dreifachen Körperverletzung mit Todesfolge beschuldigt. Durch die Machenschaften des Beschuldigten hätten andere kranke Patienten keine Organe bekommen und seien deshalb möglicherweise gestorben, so die Annahme der Anklage. Drei Patienten, denen der Arzt ohne medizinische Notwendigkeit Lebern übertragen habe, sind anschließend gestorben.
Manipulationen veranlasst
Dem Angeklagten wird angelastet, Manipulationen veranlasst zu haben, um für seine Patienten schneller Organe zu bekommen. Der Ermittlungsführer der Polizei sagte als Zeuge, dass der Mediziner selbst keine falschen Daten in das Meldesystem für Eurotransplant eingegeben habe. In einigen Fällen soll er zudem laut „NDR 1“ fälschlicherweise dokumentiert haben, dass Patienten dialysepflichtig seien, was ebenso die Chance erhöht, schneller ein Spenderorgan zu erhalten. Hinzu kommt der Vorwurf, dass der Mediziner Patienten zu Transplantationen angemeldet haben soll, ohne dass die vorgeschriebene Alkoholabstinenz von sechs Monaten eingehalten worden war.
Zweifel an echtem Aufklärungsinteresse
Im Prozess deutete sich an, wie schwer es werden könne, den Beweis dafür zu erbringen, dass andere Patienten zu Schaden gekommen sind. Exemplarisch für einen Fall verlas das Gericht das Protokoll von Eurotransplant. Patienten, die durch die angeblichen Manipulationen in Göttingen auf der Warteliste nach hinten rutschten, haben demnach trotzdem Spenderlebern erhalten. Der Arzt ging auch am zweiten Verhandlungstag nicht auf die konkreten Vorwürfe der Staatsanwaltschaft ein. Jedoch erklärte er, dass es immer genügend Spenderorgane für Patienten mit einem dringenden Bedarf gegeben hätte. Der Angeklagte antwortete nicht auf Fragen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Begründet wurde dies von Verteidiger Steffen Stern mit Zweifeln daran, dass beide ein echtes Aufklärungsinteresse hätten.
Keine finanziellen Motive
Der Beschuldigte sagte, dass finanzielle Motive für ihn bei seiner Arbeit keine Rolle gespielt hätten. So wären Bonuszahlungen in Höhe von 1.500 Euro ab einer bestimmten Zahl von Lebertransplantationen in der Summe niedriger gewesen, als wenn er Überstunden hätte abrechnen können. Er sei zwölf Monate im Jahr und bis zu 30 Tage im Monat in der Klinik tätig gewesen. Der Mediziner besitzt neben seinem deutschen auch einen israelischen Pass und sitzt seit Januar wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Die Staatsanwältin hatte in ihrer Anklage ein Berufsverbot für den Mediziner gefordert – aus Sicht des Angeklagten jedoch völlig unverständlich, denn er sei „Tag und Nacht für die Patienten bereit" gewesen und habe seinen Beruf als Arzt als „eine Lebensaufgabe“ betrachtet, berichtete „NDR 1“ vor wenigen Tagen.
Anzahl der Organspender zurückgegangen
Bei dem Prozess handele es sich um das erste Verfahren in Deutschland, in dem einem Arzt nach Manipulationen von Patientendaten ein Tötungsdelikt vorgeworfen werde. Bis Mai 2014 sind bislang mehr als 40 Verhandlungstage angesetzt. Die Bereitschaft zur Organspende sei nach Bekanntwerden des Falles im vergangenen Sommer merklich gesunken. So ging nach Angaben der Deutschen Stiftung Organspende die Anzahl der Organspender seitdem um beinahe 20 Prozent zurück. (ad)
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