Stammzellen-Transplantation bei schwerem Rheuma: Das Immunsystem neu starten
22.09.2013
Bei schweren rheumatischen Erkrankungen könne die Transplantation von Stammzellen helfen. Eine radikale Chemotherapie zerstöre zunächst fast alle Abwehrzellen des fehlgeleiteten Immunsystems.
Immunsystem außer Kontrolle
Eine Art Einlasskontrolle schützt unseren Körper vor dem Eindringen unerwünschter Krankheitserreger. Nur Zellen, die auf ihrer Oberfläche die höchst spezielle Proteinkombination eines jeden Menschen tragen, werden vom Immunsystem „eingelassen“. Dieses biologische Abwehrsystem entfernt in den Körper eingedrungene fremde Substanzen und kann auch fehlerhaft gewordene körpereigene Zellen zerstören. Das Immunsystem ist lebenswichtig und der Mensch ist dadurch gegen die meisten Infektionen gewappnet. Allerdings gerät diese Kontrolle auch manchmal außer Kontrolle und bekämpft statt fremder Bakterien und Viren dann körpereigene Zellen.
Autoimmunerkrankung mit unterschiedlicher Ausprägung
Man spricht in solchen Fällen von Autoimmunerkrankungen. Die Beschwerden, die von leicht bis teilweise sogar lebensbedrohlich reichen, hängen unter anderem davon ab, welche Zellen vom Abwehrsystem bekämpft werden. Rheumatische Erkrankungen gehören auch dazu. Dabei sind Symptome und Ausprägung sehr unterschiedlich und je nachdem, welche Proteine vom Immunsystem abgewehrt werden, kann es zu den bekannten Gelenkbeschwerden kommen oder aber auch zu einer Beteiligung von Haut, Niere und weiteren Organen.
Unklar warum manche Menschen Rheuma bekommen
Bislang sei in vielen Bereichen unklar, warum manche Menschen Rheuma bekommen und andere nicht. Aber es sind einige Risikofaktoren bekannt, die sowohl den Ausbruch einer rheumatischen Erkrankungen als auch die einzelnen Krankheitsschübe beeinflussen. „Genetische Faktoren spielen eine Rolle, aber auch äußere Einflüsse wie Infektionen, Stress, Hormone und Sonnenlicht“, so Falk Hiepe, leitender Oberarzt an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie an der Berliner Charité. Rheumatische Erkrankungen haben besonders schwere Folgen, wenn sie „systemisch“ verlaufen, also wenn Krankheitsfolgen an vielen Stellen des Körpers auftreten. So können neben den Gelenken auch sehr häufig Haut und Nieren befallen werden bis hin zu Nierenversagen. Außerdem bestehe die Gefahr von Durchblutungsstörungen und Funktionseinschränkungen bei Herz, Lunge und im Magen-Darm-Trakt.
Konsequente Behandlung wichtig
Um drohende fortschreitende Organschäden zu vermeiden, ist bei solchen Erkrankungen eine konsequente Behandlung besonders wichtig. Für manche Fälle gebe es jedoch keine helfenden Medikamente und so kamen Mediziner auf eine aus der Krebstherapie bekannte Behandlungsmethode, die Stammzellentransplantation. Hiepe und seine Kollegen von der Charité berichteten auf dem vergangenen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) in Heidelberg und Mannheim über diese außergewöhnliche Methode. Allerdings komme diese nur bei wenigen Patienten überhaupt infrage. Nur, wenn durch die Organbeteiligung schwere Langzeitschäden drohen und Medikamente das Fortschreiten der Erkrankung nicht aufhalten können, versuche man die Stammzellentransplantation. Laut Hiepe oft mit guten Ergebnissen: „Einige unserer Patienten hatten sogar schon seit über zehn Jahren keinen Schub mehr.“
Austausch des Immunsystems
Die Patienten verdanken ihre plötzliche Besserung dem nahezu kompletten Austausch des Immunsystems. Denn eine radikale Chemotherapie zerstört zunächst fast alle Abwehrzellen, einschließlich der benötigten. Da jedoch gesunde Abwehrzellen weiterhin dringend gebraucht werden, sorgt man mit einer vor der Chemotherapie erfolgten Blutentnahme vor. Man spricht dabei von einer sogenannten „autologen“ Stammzellentransplantation, da die Stammzellen vom Patienten selbst stammen. Da sich eine ausreichende Anzahl dieser Zellen jedoch nicht so einfach im Blut finden lassen, wird deren Produktion im Knochenmark künstlich angeregt. Die dadurch entstehende hohe Zahl der Stammzellen im Blutstrom landet dann auch in der Blutkonserve, die als Grundlage für die spätere Transplantation dient. Aus diesem Blut werden schädliche Autoimmunzellen und andere Blutzellen entfernt, damit ein an Stammzellen reiches Gemisch übrig bleibt, welches nach der Chemotherapie transplantiert werden kann.
Krankheitsaktivität geht nach Behandlung zurück
Die Stammzellen sollten darauf hin ihren Weg ins Knochenmark finden, um dort ein neues, gesundes Abwehrsystem aufzubauen und zwar ohne Autoimmunzellen. So weit die Theorie. Doch ein paar Autoimmunzellen können trotz Chemotherapie und sorgfältigen Sortierens zurückbleiben. „Man kann weder ausschließen, dass ein kleiner Anteil an Autoimmunzellen im Körper erhalten bleibt, noch dass durch die Stammzelltherapie einige wenige Autoimmunzellen übertragen werden“, so Hiepe. „Was wir aber sagen können, ist, dass die Krankheitsaktivität durch die Behandlung in der Regel deutlich zurückgeht.“
Erfolge auch in der Neurologie
Auch in einem anderen Bereich der Medizin, der Neurologie, seien ähnliche Erfolge erzielt worden. So könne bei Multipler Sklerose die autologe Stammzellentransplantation von Nutzen sein, wird aber auch hier selten angewendet. „Die Behandlung wird nur dann in Erwägung gezogen, wenn sich die Multiple Sklerose in einem frühen, sehr aktiven Stadium mit vielen Schüben befindet und andere Behandlungsmethoden kaum Wirkung zeigen“, so der Neurologe Lutz Harms, Experte für Multiple Sklerose an der Berliner Charité. Warum diese Methode eher selten angewandt wird, hängt mit dem Fortschritt anderer Behandlungsmethoden zusammen, etwa der Gabe spezifischer Antikörper, die sich gegen Autoimmunzellen richten. Laut Harms, sei diese Behandlung deshalb eine absolut experimentelle Therapie, die nur bei sehr wenigen Multiple-Sklerose-Patienten überhaupt infrage käme.
Stammzellentherapien werden kritisch gesehen
Manche Neurologen warnen vor Stammzellentherapien. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) etwa rät vor diesen teuren und ungeprüften Stammzellentherapien bei neurologischen Erkrankungen ab. „Stammzellen haben zwar bei der Entwicklung neuer Therapien großes Potenzial, von einer Anwendung am Menschen ist aber noch dringend abzuraten“, sagte Professor Alexander Storch beim DGN-Kongress. Es gibt viele teure Behandlungen in Privatkliniken und -praxen, die mehr versprechen als sie halten. „Es gibt noch keine Stammzellen-Therapie gegen neurologische Erkrankungen."
Nebenwirkungen im Vordergrund
Für viele rheumatische Erkrankungen werden ebenso neue Methoden angewandt. So versprechen spezifischere Medikamente auch hier künftig bessere Ergebnisse, denn das Hauptproblem bisher verwendeter Medikamente ist, dass sie das gesamte Abwehrsystem dämpfen und bei jahrelanger Einnahme oft viele Nebenwirkungen mit sich bringen. „Während früher keine Mittel zur Behandlung zur Verfügung standen und die Betroffenen deshalb in erster Linie mit den schweren Krankheitsfolgen zu kämpfen hatten, stehen heutzutage häufig die Nebenwirkungen der Medikamente im Vordergrund“, so Hiepe.
Ein Jahr für neues Abwehrsystem
Genau diese Medikamente würden aber trotzdem bislang lebenswichtig bleiben, denn schließlich würde ohne sie die körpereigene Zerstörung weiter fortschreiten, möglicherweise gar mit schweren Organschäden. Patienten müssen jedoch auch nach einer Stammzellentransplantation mit einer gewissen Infektanfälligkeit rechnen, auch wenn sie nach der Behandlung keine Immunsuppressiva mehr brauchen sollten. Bei der Chemotherapie wurde schließlich nahezu das gesamte Abwehrsystem ausgeschaltet und der Aufbau einer komplett neuen Körperabwehr brauche Zeit. Hiepe erklärt, dass man mit mindestens einem Jahr für diesen Prozess rechnen müsse. In Zukunft soll es mithilfe von neuen Wirkstoffen möglich sein, Autoimmunzellen gezielt zu zerstören, ohne dabei der regelrechten Körperabwehr Schaden zuzufügen. Denn auch wenn ein paar Abwehrzellen sich zu fehlgeleiteten Autoimmunzellen entwickeln könnten, so leiste der Rest noch immer einen lebenswichtigen Dienst für die Gesundheit. (ad)
Bild: Gerd Altmann / pixelio.de
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