Pflege deutscher Alzheimer-Patienten in Thailand
04.01.2014
Immer mehr Deutsche und Schweizer lassen ihre an Alzheimer erkrankten Angehörigen in Thailand betreuen. Die Pflege dort gilt als kostengünstiger und persönlicher. Doch es gibt auch Kritik.
Betreuung im Norden Thailands
Derzeit ist Thailand vor allem wegen den politischen Unruhen im Land in den internationalen Schlagzeilen. Doch fernab der Hauptstadt Bangkok, im nördlichen Chiang Mai, sind viele Deutsche und Schweizer mit ganz anderen Problemen beschäftigt. So etwa Ulrich Kuratli aus der Schweiz, der sich entscheiden muss, ob er seine Frau Susanna im Norden Thailands zurücklässt, oder sie wieder mit nach Hause bringt. Die 65-Jährige, einst erfolgreiche Malerin, leidet an Alzheimer und wird derzeit in der Einrichtung Baan Kamlangchay („Heim für Pflege, die von Herzen kommt“) am Stadtrand von Chiang Mai, etwa 700 Kilometer nördlich von Bangkok, betreut.
Ein Drittel der Kosten
Für Ulrich Kuratli dürfte die Entscheidung schwer fallen. Seine Ehefrau, mit der er seit 41 Jahren verheiratet ist, würde zwar in ihrer Heimat sicher gut versorgt werden, doch gilt die Betreuung in Thailand als weniger teuer und auch als persönlicher im Vergleich zur Schweiz. Die Patienten leben in der besagten Einrichtung in einzelnen Häusern innerhalb einer Gemeinde, werden zu örtlichen Märkten, Restaurants und Tempeln gebracht und erhalten rund um die Uhr persönliche Pflege. Die Kosten von rund 2.800 Euro pro Monat seien nur etwa ein Drittel der Summe, die Susanna Kuratlis Betreuung in einem durchschnittlichen Heim in der Schweiz verschlingen würde.
Eifersüchtig auf die Pflegekraft
Ihr Ehemann habe sich selbst ein halbes Jahr Zeit gegeben, um eine Entscheidung zu treffen. Währenddessen lebt er an der Seite seiner Frau in Baan Kamlangchay. Er neige momentan dazu, Susanna in Thailand zu lassen. Laut Presseberichten meinte er: „Manchmal bin ich eifersüchtig“, und weiter: „Wenn ich meiner Frau die Hand reiche, nimmt sie sie nicht, aber wenn ihre Pflegekraft ihre Hand nimmt, bleibt sie ruhig. Sie scheint glücklich zu sein. Wenn sie mich sieht, fängt sie an zu weinen. Vielleicht erinnert sie sich daran, wie es einmal war und versteht es, aber kann es nicht mehr in Worten ausdrücken.“
Trend beunruhigt Experten
Immer mehr Menschen in westlichen Ländern sehen sich in einem ähnlichen Dilemma. Zum einen wachse die Zahl der Alzheimer-Patienten und zum anderen steigen die Betreuungskosten. Zudem halte das Angebot an qualifizierten Pflegekräften und Einrichtungen kaum Schritt mit der Entwicklung. Dadurch entstehe die Situation, dass Angehörige oft Hilfe in weiter Ferne suchen, dort wo die Betreuung meist günstiger und wie viele meinen, auch besser sei. Dieser Trend wird von einigen Experten beunruhigt verfolgt. Manche von ihnen meinen, dass die Entwurzelung den Alzheimer-Kranken schadet, etwa Angstzustände erhöht. Andere wiederum argumentieren damit, dass die Qualität der Pflege wichtiger sei als der Ort.
Tausende Deutsche werden im Ausland betreut
Die Idee, kranke ältere Menschen weit wegzuschicken, löst bei vielen Menschen ein gewisses Unbehagen aus. Doch es handelt sich dabei nicht um Einzelfälle. Bereits mehrere Tausend Alzheimer-Patienten als auch Senioren mit anderen Krankheiten wurden aus Deutschland in osteuropäische Länder wie die Ukraine oder nach Spanien und Griechenland gebracht. Auch die Philippinen gehören zu den Anbietern günstiger Pflegeeinrichtungen. Etwa 100 US-Amerikaner würden derzeit dort einen Betreuungsplatz suchen, so J.J. Reyes, der eine Senioren-Gemeinde in der Nähe der Hauptstadt Manila plant.
Mehr als 44 Millionen Alzheimer-Kranke
Bei Alzheimer leiden die Betroffenen an einem ausgeprägten Mangel der Gedächtnis- und Orientierungsfunktion des Gehirns. Erste Warnzeichen sind bei älteren Menschen ein stetes Wiederholen derselben Erzählungen, Fragen oder Wortlaute. Nachlassend bis gänzlich nicht mehr vorhanden ist die Erledigung von Alltagsgeschäften, wie Körperpflege und äusserer Erscheinung, Geldgeschäften, die Beantwortung einfacher Fragen und das Finden von Alltagsgegenständen. Später kommen oftmals noch Verlust der motorischen Körperfunktionen und emotionale Unberechenbarkeit hinzu, was für die Betroffenen ständige Pflege bedeutet. Der britischen Organisation Alzheimer’s Disease International zufolge gibt es weltweit mehr als 44 Millionen Menschen, die unter dieser Krankheit leiden. Zu erwarten sei, dass diese Zahl bis 2050 auf 135 Millionen wächst.
Kosten nicht durch Krankenversicherung abgedeckt
In der Regel ist Betreuung im Ausland nicht von der Krankenversicherung abgedeckt. Sie muss also aus eigener Tasche bezahlt werden. Die staatliche Versicherung in der Schweiz würde für zwei Drittel der Pflege von Susanna Kuratli aufkommen. Da dort aber Privatkliniken mit Spitzenbetreuung umgerechnet 11.000 Euro monatlich oder sogar noch mehr kosten würden, wären die Pflegekosten in Thailand günstiger. Gegründet wurde die Einrichtung Baan Kamlangchay vom Schweizer Martin Woodtli, der als Mitglied von „Ärzte ohne Grenzen“ vier Jahre in Thailand verbracht hatte und später seine an Alzheimer erkrankte Mutter als ersten „Gast“ (Woodtli spricht nie von „Patienten“) in die Pflegeeinrichtung brachte. Derzeit wohnen dort 13 „Gäste“ aus der Schweiz und Deutschland. Sie versammeln sich fast jeden Nachmittag in einem privaten Park zum Schwimmen, Essen und Ausruhen auf Sonnenliegen. Außerdem gibt es regelmäßig Ausflüge in die Umgebung.
Kritik von der Deutschen-Alzheimer-Gesellschaft
Sabine Jansen von der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft kritisiert, dass die Anpassung an einen fremden Ort für die meisten Erkrankten schwer sei, da sie in einer Welt mit Erinnerungen an früher lebten. „Sie haben an ihren eigenen Wohnplätzen und in ihren eigenen Gemeinden eine bessere Orientierung. Freunde, Familienangehörige und Nachbarn können sie besuchen. Auch wegen der Sprache und aus kulturellen Gründen ist es für die meisten am besten, in ihrem Heimatland zu bleiben“, so die Expertin. (ad)
Bild: foto-fine-art.de / pixelio.de
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