Ist moderater Alkoholkonsum wirklich gesund?
Ein moderater Alkoholkonsum gilt in unserem Kulturkreis als Schutz gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Doch bis zu welcher Menge ein gesundheitlich verträglicher Alkoholkonsum reicht, darüber sind sich viele Europäer nicht einig. Wissenschaftler versuchen, Antworten darauf zu finden.
Moderater Alkoholkonsum nützt Herz und Kreislauf
Auch wenn es gegenteilige Meinungen gibt, geht man hierzulande allgemein davon aus, dass ein moderater Alkoholkonsum ein Schutz gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein kann. Auch in anderen Gegenden Europas sieht man das ähnlich. Doch bei der Frage, wie viel denn noch unbedenklich ist, scheiden sich die Geister. So legen etwa italienische Mediziner die Messlatte für einen gesundheitlich verträglichen Alkoholkonsum auf 40 Gramm pro Tag fest, während die Kölner Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung deutschen Frauen nur zwölf Gramm Alkohol pro Tag zugestehen möchte. Demnach müsste eine Italienerin mehr als dreimal so viel trinken können als eine Deutsche, ohne sich Sorgen machen zu müssen.
Groteske europäische Unterschiede
Deutsche Wissenschaftler haben sich nun in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ mit dem Thema des moderaten Alkohol- und insbesondere Weinkonsums beschäftigt. In den jeweiligen Ländern weichen die jeweiligen Empfehlungen in einem geradezu grotesken Ausmaß voneinander ab. So würde das gesundheitliche Risiko für einen portugiesischen Mann erst bei 40 Gramm Alkohol am Tag beginnen, bei einem deutschen jedoch bei bereits 20 Gramm. In Frankreich wird kein Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht und so wird Frauen als auch Männern ein täglicher Alkoholkonsum von 30 Gramm als unbedenklich zugestanden. In den USA hingegen könnten Männer 28 und Frauen gar nur 14 Gramm problemlos konsumieren. Noch verwunderlicher erscheinen die Unterschiede, die in Spanien gemacht werden. So würden für die Bewohner Madridsjeweils 30 Gramm pro Tag als Höchstmenge für einen gesundheitlich verträglichen Alkoholkonsum gelten, für die Katalanen jedoch 70 Gramm und dies ohne dabei zwischen den Geschlechtern zu differenzieren.
Wissenschaftler mit Interessenkonflikt
Die drei Forscher Professor Nikolaus Worm (Saarbrücken), Kardiologe Professor Gustav Belz (Wiesbaden) und Ernährungswissenschaftlerin Claudia Stein-Hammer (Mainz) haben nun aktuelle wissenschaftliche Quellen daraufhin durchforstet, um den Beweis für den günstigen Einfluss von Alkohol und insbesondere Wein auf die Gesundheit zu führen. Alle drei Wissenschaftler sind bei ihrer Arbeit mit der Deutschen Weinakademie DWA verwoben. Da es sich dabei um eine Lobby-Organisation der deutschen Weinwirtschaft handelt, hätten sie im Fachblatt „Deutsche Medizinische Wochenschrift“ den daraus entstandenen Interessenkonflikt auch deklariert. Insgesamt zitierten sie in ihrer Arbeit 41 Studien der letzten 15 Jahre zum Thema „Alkohol und Herz“.
Gefährliche Wirkung des Alkohols bei erhöhtem Konsum
Die aktuellste und umfangreichste Metaanalyse von 84 Langzeitbeobachtungsstudien aus aller Welt sei 2011 zu folgendem Ergebnis gekommen: „Im Vergleich zur Abstinenz war das Risiko für die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit bei Alkoholkonsum im Mittel um 25 Prozent gesenkt. Die Dosis, die das geringste Risiko anzeigte, lag im Bereich von 15 bis 30 Gramm Alkohol (200 bis 400 ml Wein) pro Tag, wobei Frauen eher dem niedrigeren Bereich zuzuordnen sind. Bei einem Konsum von bis zu 15 Gramm Alkohol pro Tag fand sich darüber hinaus auch eine signifikant gesenkte Gesamtsterblichkeit (um 13 Prozent).“ Aus den meisten Studien sei heraus zu lesen, dass Menschen, die auf Alkohol verzichten, sich ein höheres Gesundheitsrisiko einhandeln, als moderate Konsumenten. Doch bei deutlich erhöhtem Konsum entfalte der Alkohol seine gefährliche Wirkung auf Gehirn, Leber und Herz sowie auf die Krebsentstehung.
Hängt die schützende Wirkung vom Getränk oder vom Alkoholgehalt ab?
Italienische Epidemiologen gingen 2011 der Frage nach, ob die schützende Wirkung allein auf dem Alkoholgehalt eines Getränkes beruht, oder ob sie speziell vom jeweiligen Getränk abhängt. Worm und seine Kollegen berichten: „Sie hatten aus 16 vorliegenden Fallkontroll- und Langzeitbeobachtungsstudien Daten zum Wein-, Bier- und Spirituosenkonsum mit der Herz-Kreislauf-Gesundheit und der Gesamtsterblichkeit in Beziehung gesetzt.“ Unter anderem sei dabei festgestellt worden: „Die größte Risikoreduktion betrug 31 Prozent bei einem mittleren Konsum von 21 Gramm Alkohol pro Tag. Eine statistisch signifikante Risikominderung fand sich bis zu einer Menge von 72 Gramm pro Tag. In Bezug auf die kardiovaskuläre Sterblichkeit lag die maximale Risikoreduktion von 34 Prozent bei 24 Gramm pro Tag.“ Bei Bier sei ebenfalls ein präventiver Effekt vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen gefunden worden, jedoch nicht für Spirituosen.
Regelmäßig geringe Mengen besser als Rauschtrinken
Auch bei den 2012 vorgestellten Ergebnissen der US-amerikanischen NHANES III-Studie (National Health and Nutrition Examination Survey III Mortality Study) sei der moderate tägliche Alkoholkonsum auf die Sterblichkeit bezogen als besonders risikomindernd identifiziert worden. Und dies noch vor Faktoren wie Nichtrauchen, körperliche Aktivität und gesunde Ernährung. Eine maßgebliche Rolle spielten dabei die Trinkgewohnheiten: regelmäßiges, aber mäßiges Trinken sei besser als gelegentliches Rauschtrinken. Nach übereinstimmenden Studien liege die Erklärung für die infarktverhütende Wirkung des Alkohols in der Beeinflussung der Blutfette. Menschen, die regelmäßig geringe Mengen Alkohol zu sich nehmen, verfügten offenbar über mehr sogenannte High Density Lipoproteine,deren Aufgabe darin besteht, das Cholesterin von den Wänden der Arterien weg zu transportieren und somit der sogenannten Verkalkung entgegen wirken. Gleichzeitig werde durch den Alkohol der LDL-Anteil des Cholesterins gesenkt, jener Moleküle, die als erhebliches Infarktrisiko angesehen werden, weil sie sich an der Gefäßwand ablagern.
Wein ist mehr als Alkohol
Wie Prof. Worm und sein Team betonen, sei Wein aber mehr als nur Alkohol: „Wein enthält neben Alkohol weitere Inhaltsstoffe mit spezifischen biologischen Wirkungen – vor allem zahlreiche Polyphenole. Polyphenole schützen die Pflanze vor schädlichen Umwelteinflüssen, wie Parasiten oder Pilzen. Sie haben auch beim Menschen ein hohes pharmakologisches Potenzial. Viele wirken antioxidativ und hemmen auf diese Weise die Oxidation des LDL-Cholesterins, vermindern dessen Ablagerung in der Gefäßwand und verlangsamen so offenbar den Prozess der Atherogenese.“ Doch trotz der zusammengestellten positiven Ergebnisse wollen auch die Berater der Deutschen Weinakademie nicht uneingeschränkt zum Alkohol- bzw. Weingenuss zu raten: „Bei Mengen von mehr als 20 Gramm Alkohol pro Tag für Frauen und 30 Gramm für Männer ist keine weitere Risikominderung im Herz-Kreislauf-Bereich erkennbar. Da ab dieser Dosis die alkoholassoziierten Risiken – die Leber- und Pankreas-Erkrankungen, bestimmte Tumorarten und Sucht – ansteigen, ist von einem mehr als moderaten Konsum dringend abzuraten.“
Auch wenig Alkohol nicht gesund
Andere Studien jedoch kommen zu dem Ergebnis, dass auch wenig Alkohol nicht gesund ist. So hatte erst kürzlich ein Team von Wissenschaftlern um Manuela Bergmann und Heiner Boeing vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke, ihre Analyse aus den Daten der europaweiten „Epic- Studie“ bekannt gegeben. Die Ergebnisse zeigen zwar, dass Personen, die vom 20. Lebensjahr an nicht mehr als die täglich empfohlene Menge an Alkohol konsumierten, ein um 9 bis 14 Prozent vermindertes Sterberisiko an Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, jedoch bedeute dies für die Wissenschaftler keinesfalls, das moderater Alkoholkonsum zum Schutz des Herzens beiträgt. Die Tatsache, dass dies nur bei Teilnehmern beobachtet wurde, die vor Studienbeginn weder an Bluthochdruck, Diabetes, Krebs, Herzinfarktoder Schlaganfall erkrankt waren, wird oftmals nicht ausführlich genug dargestellt.
Kontrollierte Wohlstandstrinker
Die Menge, welche Worm und Kollegen Erwachsenen zugestehen, liege für Frauen bei 0,2 Litern und für Männern bei 0,3 Litern Wein pro Tag. Die schützende Wirkung des Alkohols komme nur wenigen Menschen wirklich zugute, nämlich den sogenannten „kontrollierten Wohlstandstrinkern“, die sich auf das sprichwörtliche „Gläschen in Ehren“ beschränken können. Der durchschnittliche Deutsche konsumiert jedoch wesentlich mehr. So geht aus den aktuellen Zahlen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen DHS hervor, dass Deutschland mit 107,2 Litern Bier, 25,1 Litern Wein und Sekt und 5,4 Litern Spirituosenverbrauch im Jahr je Einwohner, im oberen Mittelfeld des Alkoholkonsums liegt und die traditionellen Genießernationen Frankreich, Italien, die Schweiz oder Griechenland um Längen überrundet. In Deutschland konsumieren zudem etwa 9,5 Millionen Menschen Alkohol in gesundheitlich riskanter Form und etwa 1,3 Mio. Menschen gelten als alkoholabhängig, wie aus dem Drogenbericht der Bundesregierung für das Jahr 2013 zu entnehmen ist. Allein in Deutschland sterben jedes Jahr 74.000 Menschen an den direkten und indirekten Folgen ihres Alkoholmissbrauchs. (sb)
Bild: Sigrid Rossmann /pixelio
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