Masern: Zeugung während Seuche stärkt Immunsystem
23.04.2014
Seuchen, wie Tuberkulose, Malaria oder Masern, töten jedes Jahr Millionen von Menschen. Forscher fanden nun heraus, dass Kinder die gezeugt wurden, während eine Infektionskrankheit wütete, von ihren Eltern einen besonderen Schutzmechanismus mit auf den Weg bekommen. Doch mit diesem verbesserten Immunsystem gehen auch verschiedene Nachteile einher.
Eltern geben ihrem Kind effektivere Abwehr gegen Krankheiten mit
Kinder, die in Seuchenzeiten gezeugt wurden, hatten unter gewissen Umständen bei späteren Epidemien bessere Überlebenschancen als ihre früher oder später gezeugten Geschwister. Dies berichten Rostocker und Londoner Forscher im Fachjournal „PLOS ONE“. Eltern geben demnach ihrem Kind eine effektivere Abwehr gegen Krankheiten mit auf den Weg, wenn während der Empfängnis eine schwere Infektionskrankheit grassiert. Die Untersuchung, an der unter anderem Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock beteiligt waren, fußt auf historischen Daten aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Während Masern-Epidemie gezeugte Kinder starben seltener an Pocken
Die Forscher verglichen dabei Lebensdaten von insgesamt 7.947 Kindern aus 575 Familien der kanadischen Provinz Québec. Die Forscher nutzten dabei die Angaben zu Geburten und Todesfällen aus Abschriften alter Kirchenbücher. Kai Willführ vom MPIDR erläuterte: „Die ganze Population dort hat in dem Untersuchungszeitraum relativ sicher gelebt. Es gab zumindest keine größeren Kriege und Hungersnöte.“ Der Einfluss von Seuchen auf die Sterblichkeit der Menschen lasse sich dadurch gut nachvollziehen. Wie die Wissenschaftler feststellten, überlebten Kinder, die während einer Masern-Epidemie (1714 bis 1715) gezeugt wurden, eine erneute Seuchenzeit (1729 bis 1735) häufiger, als ihre früher oder später gezeugten Geschwister. Demnach war etwa ihr Risiko, zwischen 1729 und 1735 an den Pocken zu sterben, rund siebenmal geringer. Es spielte dabei ausschließlich der Zeitpunkt der Zeugung und nicht der Geburt eine Rolle.
Stärkeres Immunsystem zulasten anderer Entwicklungsprozesse
Insgesamt rund sechs Prozent aller Kinder starben zwischen 1729 und 1735. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich die stärkere Abwehr der Kinder nicht nur gegen die während ihrer Zeugung grassierenden Masern, sondern auch gegen andere Krankheiten richtete. Dennoch war es für die Kinder nicht nur von Vorteil, während der Masern-Epidemie gezeugt worden zu sein. So waren sie im Vergleich vor der 1729 beginnenden Seuchenzeit wesentlich labiler und starben dreimal so häufig wie ihre Geschwister, welche vor der 1714 beginnenden Masern-Epidemie geboren und gezeugt worden waren. Ihr stärkeres Immunsystem ging möglicherweise zulasten anderer Entwicklungsprozesse. Den Forschern zufolge führe dies in Phasen mit geringerer Pathogen- und Seuchenbelastung zu einer höheren Sterblichkeit.
Zeitliche Beschränkung der Veränderung des Erbguts
Zwischen den Geschwistern gab es nach 1735 kaum noch Unterschiede. „Der Effekt ist dann nicht mehr messbar. Im Erwachsenenalter scheint der Zeugungszeitpunkt keine Rolle zu spielen“, so Willführ. Den Rostocker Forschern zufolge spricht vieles dafür, dass das Erbgut der Eltern zeitlich beschränkt während der Masern-Epidemie verändert war. Unter anderem könnten durch die Erregerbelastung Immungene in den Spermien oder der Eizelle modifiziert gewesen sein. Wenn eine Frau während dieser Zeit schwanger wurde, gaben die Eltern ihrem Nachwuchs so ihre Seuchenerfahrung gewissermaßen mit auf den Weg. Willführ erläuterte: „Dem Kind wurde, plakativ ausgedrückt, gesagt: Schau mal, hier draußen ist die Umwelt voller Krankheitserreger. Vielleicht ist es besser, wenn du mehr in dein Immunsystem investierst als beispielsweise in Wachstum.“ Dann überlebt ein Kind eine Seuche auch eher als Geschwister, die in seuchenfreien Zeiten gezeugt wurden. Auch wenn die Ergebnisse der Studie einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der generationenübergreifenden Entwicklung des Immunsystems leisten, so bleibt doch unklar, auf welche Weise die Informationen über die Erregerbelastung zum Zeitpunkt der Zeugung weitergegeben werden. (sb)
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