Versöhnung mit eigener Kindheit
08.05.2014
Menschen, die eine unglückliche Kindheit erlebt haben, leiden darunter oft auch noch als Erwachsene. Die Folgen davon können Minderwertigkeitsgefühle, Panik oder Wut sein. Experten geben Ratschläge, wie Betroffene diesem Teufelskreis entrinnen können, etwa indem sie sich mit ihrer eigenen Kindheit versöhnen.
Empfindungen in der Kindheit prägen Erwachsenenleben
Es gibt wohl kaum Menschen, die sich nicht an Situationen aus ihrer Kindheit erinnern, in denen sie sich von ihren Eltern unfair behandelt oder ungeliebt fühlten. Entweder hatte die Mutter wenig Zeit oder der Vater flippte selbst bei Kleinigkeiten aus. Wenn solche Verletzungen alltäglich waren, bleibt häufig das Gefühl zurück, nichts wert zu sein, nicht geliebt zu werden oder nichts richtig zu machen. Zudem werden Kinder, die Ängste haben, oft nicht ernst genommen und mit einem Satz, wie: „Du brauchst keine Angst zu haben“ abgespeist. Empfindungen wie diese können oft das ganze Erwachsenenleben prägen, wie in verschiedenen Studien festgestellt wurde. Für diejenigen, bei denen dies so ist, kann es sinnvoll sein, sich mit ihrer Kindheit und den Eltern auszusöhnen.
Haltung gegenüber den Eltern ändern
Wie der Psychologe Bertold Ulsamer in einem seiner jüngsten Bücher schreibt, entspricht die Einstellung zum Leben bei vielen Menschen der grundlegenden Einstellung zu den Eltern. Erwachsene, die gierig sind, hätten oft das Gefühl, als Kind nicht genug bekommen zu haben. Der Freiburger Psychotherapeut Ulsamer empfiehlt, die Haltung gegenüber den eigenen Eltern zu ändern, um einen positivere Einstellung zum Leben zu gewinnen. Es sei dabei hilfreich, dem Vater oder der Mutter einen Brief zu schreiben, den man aber nicht abschicken sollte. Das Aufschreiben helfe, sich einzugestehen, dass man in der Kindheit verletzt wurde. Nur wenn man zugibt, dass ein Erlebnis schlimm war, könne man beginnen, die Situation zu klären.
Direktes Gespräch mit den Eltern ist nur selten möglich
Ein direktes Gespräch mit einem Elternteil sei nur selten möglich. Laut einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa meint Ulsamer: „95 Prozent der Eltern schaffen das nicht.“ Sollte es dennoch zu einer Aussprache kommen, so sollte diese am besten in einem liebevollen Rahmen stattfinden. Dabei sollten Kinder versuchen, ihren Eltern keine Vorwürfe zu machen. Es gehe bei dem Gespräch nicht um Schuldzuweisungen sondern darum, das Verhältnis zu Vater oder Mutter zu verbessern. Auch die Verhaltenstherapeutin Annika Gieselmann betont, dass die direkte Konfrontation mit den Eltern bei der Aufarbeitung von negativen Kindheitserlebnissen nicht die wichtigste Rolle spiele.
Das Leben der Eltern aus Erwachsenenperspektive betrachten
Man habe häufig ein festes Bild von den Eltern im Kopf. Indem man sich mit diesem inneren Bild aussöhnt, könne man lernen, den Eltern auf einer neuen, erwachsenen Ebene zu begegnen, erklärte die Psychotherapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Düsseldorf. Dies könne sich positiv auf die reale Beziehung zu Vater und Mutter auswirken. Psychotherapeut Ulsamer rät dazu, sich aus der Erwachsenenperspektive anzuschauen, wie das Leben der Eltern ablief, wie ihre Kindheit war, welche Schicksalsschläge sie vielleicht zu verkraften hatten. Menschen, die die eigenen Eltern nicht wie ein Kind als übergeordnete Instanz betrachten, sondern wie einen Freund oder Kollegen, könnten leichter Verständnis für ihr Verhalten aufbringen und vergeben. Zudem könnten auch Ähnlichkeiten verbinden. Es gehöre zum Erwachsenwerden dazu, sich einzugestehen, den Eltern doch ähnlicher zu sein, als gedacht.
Psychotherapie und Selbsthilfegruppen können helfen
Ulsamer zufolge spiele für die Aussöhnung keine Rolle, ob die Eltern noch leben oder bereits gestorben sind. Auch wenn sie nicht mehr leben, sei es wichtig, Frieden mit ihnen zu schließen. Gieselmann meint, dass sich Erwachsene, die in bestimmten Situationen wie ein Kind reagieren, fragen müssten, ob der Grund dafür in der Kindheit liege. Häufig führen frühe negative Erfahrungen dazu, dass Erwachsene unangemessen heftig reagieren. Beispielsweise könne ein Erwachsener möglicherweise panisch auf Prüfungssituationen reagieren, wenn er als Kind immer gehört habe: „Das schaffst du eh nicht.“ Es sei ein erster großer Schritt, diese erlernten Verhaltensschemata zu erkennen. Neben einer Psychotherapie können auf diesem Weg auch Selbsthilfegruppen hilfreich sein. Es sei positiv, sich auszutauschen und zu erfahren, dass man mit seinem Problem nicht allein ist.
Dankbarkeit ist ein wichtiger Schritt zur Versöhnung
Betroffene, die eine Gruppe suchen, können sich an Nakos wenden, die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen. Falls dort keine passende Gruppe registriert ist, solle man selbst eine solche Gesprächsrunde gründen. Dies empfiehlt Svenja Jantje Speckin, Selbsthilfeberaterin bei Kiss, den Kontakt- und Informationsstellen für Selbsthilfegruppen in Hamburg. Die Kontaktstelle könne helfen, weitere Mitglieder zu finden, wenn das Thema der Gruppe genau definiert werden kann. Bertold Ulsamer empfiehlt therapeutische Hilfe, um sich mit Eltern und Kindheit auszusöhnen: „Es ist schwierig, das allein zu machen.“ Auch wenn es schwerfällt, sei es wichtig, den Eltern gegenüber Dankbarkeit zu entwickeln, da diese ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Versöhnung sei. (sb)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.