DGVS-Studie: Zahl der schweren Durchfallerkrankungen nimmt in Deutschland rasant zu
10.07.2014
Die Zahl der schweren Darminfektionen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, ist in Deutschland rasant angestiegen. Das berichtet die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) in der aktuellen Ausgabe der „Zeitschrift für Gastroenterologie“. Demnach wurden im Jahr 2000 rund 128.000 Menschen wegen schwerer Durchfallerkrankungen in Kliniken behandelt. Bis 2011 hat sich die Zahl mit etwa 282.000 Fällen mehr als verdoppelt. Vor allem Infektionen mit dem Bakterium Clostridium difficile, das sich nach einer Antibiotika-Therapie im Darm ausbreiten kann, treten immer häufiger auf.
Ursache von Durchfallerkrankungen ist häufig eine Infektion mit Clostridium difficile-Bakterien
„Clostridium difficile-Bakterien sind in der Umwelt weit verbreitet und kommen auch bei vielen Gesunden im Darm vor“, erläutert Studienautor Prof. Markus Lerch, Direktor der Klinik für Innere Medizin A an der Universitätsmedizin Greifswald und Präsident der DGVS, gegenüber der Nachrichtenagentur „AFP“. Durch die Einnahme von Antibiotika kann die gesunde Darmflora jedoch aus dem Gleichgewicht geraten. Normalerweise besiedeln schützende Mikroorganismen die Darmschleimhaut. Werden diese jedoch durch Antibiotika dezimiert, können sich die krankmachenden Clostridium difficile-Bakterien stärker ausbreiten. Die Gefahr dieser Erreger geht von ihrem Gift aus, das die Darmwand lähmt und eine ballonartige Ausweitung des Dickdarms, ein „toxisches Megacolon“, verursachen kann.
Auf der Grundlage von Daten des Statistischen Bundesamtes fanden Privatdozentin Petra Lynen Jansen und ihr Team heraus, dass die Zahl der Patienten, die wegen einer Infektion mit Clostridium difficile in Deutschland stationär behandelt werden mussten, deutlich gestiegen ist. So wurden 2011 fast 28.200 Personen mit dieser Durchfall-Diagnose in Krankenhäusern aufgenommen. Noch im Jahr 2000 waren es nur etwa 1.300. „Diese Daten sind alarmierend und ermahnen uns einmal mehr dazu, Antibiotika sehr gezielt einzusetzen“, warnt Prof. Ansgar Lohse, Direktor der 1. Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, gegenüber der Nachrichtenagentur. 15 bis 20 Prozent der Durchfallerkrankungen, die mit der Einnahme von Antibiotika in Verbindung stünden, würden von Clostridium difficile ausgelöst. Die Wissenschaftler vermuten, dass auch ein Großteil der Sterbefälle bei Magen-Darm-Infektionen auf diesen Erreger zurückzuführen ist. „2011 verstarben insgesamt 4.152 Patienten im Krankenhaus im Zusammenhang mit gastrointestinalen Infektionen“, berichtet Lerch. „Ausgehend von Mortalitätsraten aus den USA gehen wir davon aus, dass in Deutschland jährlich mindestens 2.000 Menschen mit Clostridium difficile-Infektionen sterben“.
Vor allem ältere Menschen durch Magen-Darm-Infektionen gefährdet
Die schweren und sogar tödlichen Krankheitsverläufe treten meist bei älteren Menschen auf. Bei Clostridium difficile-Infektionen waren mehr als 80 Prozent der Patienten über 65 Jahre alt. „Durch Infektionen im Magen-Darmtrakt sind vor allem ältere Menschen gefährdet“, erläutert Mitautor Prof. Andreas Stallmach, Direktor der Klinik für Innere Medizin IV am Universitätsklinikum Jena, gegenüber der Nachrichtenagentur. Auch bei virusbedingten Darminfektionen, von denen meist Kinder betroffen sind, nimmt den Wissenschaftlern zufolge der Anteil der älteren Patienten zu. „Wir gehen davon aus, dass sich mit der demographischen Entwicklung die Problematik von Darminfektionen weiter verschärfen wird“, sagt Stallmach.
Neben Clostridium difficile nehmen auch Infektionen mit Noroviren, Rotaviren, Campylobacter- und E. Coli-Bakterien zu. Magen-Darm-Infektionen gehören mittlerweile mit jährlich mehr als einer halben Million in Krankenhäusern behandelten Fällen hierzulande zu den häufigsten Infektionen. „Um der wachsenden Aufgabe zu begegnen, müssen wir die Aus- und Weiterbildung von Gastroenterologen auf dem Gebiet der Infektiologie verbessern“, fordert Lerch.
Einsatz von Antibiotika häufig unnötig
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, die Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e. V. und die Universitätsklinik Freiburg veröffentlichten Ende Juni den dritten Bericht (GERMAP 2012) über die Entwicklung des Antibiotika-Verbrauchs und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Human- und Veterinärmedizin in Deutschland. Auch in dieser Untersuchung kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass Infektionen mit dem Erreger Clostridium-difficile auffällig stark zugenommen haben. Darüber hinaus weisen sie daraufhin, dass sich neue Antibiotika-Resistenzen einiger Erregerstämme seit der Veröffentlichung des ersten Bericht im Jahr 2008 entwickelt haben.
„Der sachgerechte Gebrauch von Antibiotika ist mehr denn je erforderlich, da in naher Zukunft nur mit wenigen (Humanmedizin) beziehungsweise nicht (Veterinärmedizin) mit neuen Wirkstoffen oder gar Wirkstoffklassen zu rechnen ist. Umso wichtiger ist der Erhalt der Wirksamkeit der derzeitig eingesetzten Wirkstoffe“ betonen die Autoren des Berichts. „Sachgerechter und intelligenter Gebrauch von Antibiotika bedeutet, in der konkreten Situation entscheiden zu können, ob – und wenn ja – welches Antibiotikum in welcher Dosierung und mit welcher Applikationsform verwendet werden soll.“ (ag)
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