Pharmakonzern Boehringer Ingelheim in der Kritik
28.07.2014
Die Anwendung des Blutverdünners Pradaxa (Hersteller Boehringer Ingelheim) birgt einem aktuellen Beitrag des „British Medical Journal“ (BMJ) zufolge in ihrer bisherigen Form mitunter erhebliche Risiken für die Patienten. Hier könnten regelmäßige Kontrollen der Blutwerte die Therapiesicherheit deutlich verbessern, schreiben die Autoren und verbinden mit der Aussage einen Vorwurf an den Pharmakonzern: Die Informationen, auf deren Basis unter anderem die Arzneimittelzulassungsbehörde der USA die Anwendung von Pradaxa festgelegt habe, seien unvollständig gewesen, berichtet das „BMJ“.
Bei der Bewertung des Schlaganfallmedikaments spielte die vermeintlich nicht erforderliche Überwachung der Blutwerte laut Mitteilung des „BMJ“ eine wesentliche Rolle, ebenso wie die Möglichkeit zum Verzicht auf eine individuelle Einstellung der Dosierung. Dies habe in der Kosten-Nutzen-Bewertungen einen deutlichen Vorteil gegenüber dem herkömmlichen Schlaganfallmedikament Marcumar ausgemacht. Dem Beitrag im „BMJ“ zufolge hat Boehringer Ingelheim es jedoch „versäumt, den Aufsichtsbehörden Informationen über den potenziellen Nutzen der Überwachung und der Anpassung der Dosis mitzuteilen.“
Informationen aus Marketinggründen zurückgehalten?
Dem „BMJ“ zufolge war Boehringer Ingelheim aus internen Untersuchungen seit dem Jahr 2011 bekannt, dass bei regelmäßiger Messung des Plasmaspiegels des Arzneimittels und entsprechender Anpassung der Dosierung die Wahrscheinlichkeit schwerer Blutungen um 30 bis 40 Prozent im Vergleich zum gut kontrollierten Einsatz von Warfarin verringert werden kann. Auch sei festgestellt worden, dass der Plasmaspiegel bei Einnahme der gleichen Dosis mitunter erheblich variiert. Aus Marketinggründen habe sich der Pharmahersteller jedoch gegen eine Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse entschieden. Interne Emails, die in einem Rechtsstreit öffentlich wurden, bestätigen, dass mehrere Mitarbeiter des Unternehmens hier ein Konflikt mit den Marktchancen von Pradaxa (Wirkstoff Dabigatran) sahen, berichtet das BMJ. Schließlich habe sich der Pharmakonzern gegen die Bekanntgabe der Untersuchungsergebnisse entschieden.
Diskussionen um eine Überwachung der Medikation
Im Vorfeld der Zulassung von Pradaxa gab es laut Angaben der BMJ-Autoren sowohl bei der Food and Drug Administration (FDA; Arzneimittelzulassungsbehörde der USA) als auch bei der europäische Zulassungsbehörde EMA (European Medicines Agency) Diskussionen über die Überwachung der Medikation. Allerdings sei aus den verfügbaren Informationen keine Notwendigkeit für die Überwachung abgeleitet worden und „am Ende genehmigte die FDA Dabigatran im Oktober 2010 für den Einsatz in der Schlaganfallprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern, ohne die Notwendigkeit, die Dosis bei jedem Patienten anzupassen“, berichtet das „BMJ“. Durch die EMA erfolgte die Zulassung im August 2011.
Ältere Patienten besonders gefährdet
Nach der Markteinführung entwickelte sich Pradaxa schnell zum Erfolg und erreichte bis April 2012 mit mehr als einer Milliarde Dollar Umsatz den Status als Blockbuster. Hierzu habe der Boehringer-Vorstand Hubertus von Baumbach erklärt, dass „die Einführung von Pradaxa zu den erfolgreichsten Markteinführungen in der pharmazeutischen Industrie in den letzten Jahren gehört“, berichtet das „BMJ“. Allerdings sei mit dem Verkauf von Dabigatran auch die Diskussion um tödliche Blutungen insbesondere bei älteren Menschen neu entbrannt. Sie unterliegen ohnehin einem erhöhten Blutungsrisiko und aus den Marketing-Daten von Boehringer Ingelheim geht hervor, dass „45 Prozent der Pradaxa-Patienten über 76 Jahre oder älter“ sind, schreiben die BMJ-Autoren. Ein Bericht der FDA über alle unerwünschten Ereignisse nach der Einnahme von Pradaxa zeige, dass mit Dabigatran 542 Todesfälle und 2.367 Berichte über Blutungen in Zusammenhang gebracht werden, während auf Warfarin 72 Todesfälle im gleichen Zeitraum entfielen. Demnach seien grundsätzliche Zweifel an der Therapiesicherheit angebracht und gegebenenfalls müssten die Vorgaben zur Überwachung und Anpassung der Dosierung korrigiert werden, so das Fazit der Autoren. (fp)
Bild: Rita Thielen / pixelio.de
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