Psychische Folgen: Verkehrsunfallopfer oft allein
27.08.2014
Nach Verkehrsunfällen werden die körperlichen Wunden der Opfer schnell medizinisch versorgt. Doch viele Verkehrsunfallopfer leiden auch an psychischen Folgeerkrankungen. Nicht wenige von ihnen sind auf sich allein gestellt und finden nur schwer Unterstützung. Dies kann die Beschwerden verschlimmern oder gar verursachen.
Psychische Folgeerkrankungen bei jedem vierten Verkehrsunfallopfer
Die körperlichen Verletzungen von Verkehrsunfallopfern, wie Schnittwunden, Prellungen oder Knochenbrüche werden meist schnell von Ärzten versorgt. Die psychischen Folgen jedoch, die solche Ereignisse nach sich ziehen, bleiben oft unbeachtet. Innere Unruhe, Albträume, ständig wieder durchlebte Erinnerungen: Betroffene bleiben häufig auf sich allein gestellt. Wie eine Untersuchung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ergab, leidet etwa jedes vierte Verkehrsunfallopfer an psychischen Folgeerkrankungen wie Angst, Depression oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung.
Beschwerden können Monate später auftreten
Die Forscher hatten für die Studie rund 200 schwer verletzte Frauen und Männer unter anderem zu Beginn ihres Krankenhausaufenthalts und sechs bis zwölf Monate nach dem Unfall befragt. Demnach entwickeln sich die Beschwerden oft kurz nach dem Erlebnis, können aber auch erst Monate später auftreten. Wolfgang Maier, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) erklärte laut einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa, dass die Untersuchung zwar „mehr einen stichprobenartigen Charakter“ habe, aber „ein realistisches Bild“ zeige. Dem Experten zufolge sind psychische Unfallfolgen keine Seltenheit und für Betroffene ein leidvolles Problem, das in der Diagnostik und der Patientenversorgung oftmals zu kurz komme.
Mängel im Gesundheitssystem und im Versicherungswesen
Maier meint zudem, dass das Krankenhauspersonal für Faktoren, die psychische Folgeerkrankungen begünstigen, oft nicht genügend sensibilisiert sei. „Psychische Langzeitstörungen lassen sich in zwei, drei Wochen Behandlungszeit nach einem Unfall noch nicht feststellen“, erläuterte der Experte. „Aber Mediziner müssten beispielsweise das Risiko erkennen, wenn ein Patient keine familiäre Anbindung hat und mit seinen Sorgen allein dasteht oder wenn er bereits vorher psychisch erkrankt war.“ Seiner Meinung nach tragen auch Mängel im Gesundheitssystem und im Versicherungswesen dazu bei, dass Unfallopfer oft schlecht versorgt sind. Die allgemeine Verkürzung von Krankenhausaufenthalten erschwere es zum Beispiel, psychische Unfallfolgen zu erkennen und diese gezielt zu behandeln. Ein weiteres Problem sei die Schwierigkeit für Unfallopfer, einen Therapieplatz inklusive der Kostenübernahme und einer Entschädigung durch die Kfz-Versicherung des Unfallverursachers zu bekommen.
Gefühl der Hilflosigkeit
„Unfallopfer fühlen sich in dieser Situation ausgeliefert und ungerecht behandelt: Sie leiden körperlich und seelisch, erhalten aber keine Unterstützung“, so Maier, der in diesem Zusammenhang von einem Teufelskreis spricht. Besonders das Gefühl der Hilflosigkeit begünstige psychische Probleme oder könne sogar der Auslöser dafür sein. Auch Stefanie Jeske, Gründerin und Vorsitzende des Vereins Subvenio in Düsseldorf, der sich der Unfallopferhilfe widmet, berichtet von ihren Erfahrungen mit Betroffenen: „Ein Kassenpatient hat kaum eine Chance, zügig nach einem Unfall einen Therapieplatz zu bekommen – sechs Monate Wartezeit oder mehr sind bei Psychologen keine Seltenheit.“ Laut der Expertin folgt zudem oft ein langwieriges Hin und Her mit der Versicherung, bis die Kosten für eine Psychotherapie übernommen werden. „Dazu muss der Patient medizinische Nachweise für die Notwendigkeit erbringen. Nur ist mir leider bisher noch kein Krankenhausbericht unterkommen, der auch die psychologische Seite berücksichtigt“, so Jeske.
Psychische Erkrankungen für viele ein Tabuthema
„Leider sind psychische Erkrankungen für viele noch ein Tabuthema – auch für Angehörige oder Freunde, die bei nahestehenden Menschen Anzeichen dafür beobachten“, so Jeske weiter. Ein Therapieerfolg hängt maßgeblich davon ab, wie schnell eine Erkrankung erkannt und die Behandlung begonnen wird. „Viele Betroffene entwickeln aufgrund des Erlebten ein Vermeidungsverhalten, zum Beispiel aus Angst vor dem Autofahren nach einem Unfall. Im Laufe der Zeit kann dieses Verhalten verkrusten und ist dann umso schwerer zu therapieren.“ Jeske zufolge bedeutet dies für die Kfz-Versicherer: „Sie müssten sich viel mehr auf die Früherkennung und frühzeitige Behandlung psychischer Unfallfolgen einstellen – so wie die gesetzliche Unfallversicherung im beruflichen Bereich.“
Schnelle und unkomplizierte Hilfe gewähren
DGPPN-Präsident Maier zufolge würden die Versicherer auch rein ökonomisch betrachtet besser damit fahren, bei absehbaren oder akuten psychischen Unfallfolgen schneller und unkomplizierter Hilfe zu gewähren. Dies deshalb, da eine verständnislose oder gar ablehnende Haltung seitens der Versicherung das Gefühl des Ausgeliefertseins – dem wichtigsten Risikofaktor für psychische Langzeitfolgen nach einem unverschuldeten Crash – verstärke. „Dagegen wird der Therapieerfolg begünstigt, wenn ein Patient das Gefühl hat, jene Hilfe zu bekommen, ohne Jahre lang und oftmals sogar vor Gericht darum kämpfen zu müssen.“
Auch Augenzeugen haben mit psychischen Problemen zu kämpfen
Nicht nur Opfer von Verkehrsunfällen, sondern auch Zeugen solcher Ereignisse haben oft mit schweren psychischen Problemen zu kämpfen. Darauf hatte das Institut für Psychologische Unfallnachsorge (ipu) in Köln bereits vor Jahren hingewiesen. Demnach erleiden Augenzeugen nicht selten ein Trauma und zeigen mitunter erhebliche psychische Belastungssymptome, die auch mit physiologischen Störungen wie Atemnot, Herz- und Kreislaufstörungen, Essstörungen, Impotenz oder Magenproblemen und Darmstörungen einhergehen können. Typische Folgen sind zudem Schlaflosigkeit und Alpträume. (ad)
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