Über die Alltagsprobleme ungleicher Paare
23.09.2014
„Gegensätze ziehen sich an“ besagt ein altes Sprichwort. Oder schweißen doch Gemeinsamkeiten stärker zusammen? Die meisten Menschen wählen einen Partner, der ähnlich attraktiv ist wie selbst. Ungleiche Paare sieht man dagegen seltener. Häufig sehen sich solche Paare zahlreichen Vorurteilen gegenüber: „Der alte Mann hat doch bestimmt Geld, sonst wäre das junge Ding nicht mit ihm zusammen“, „Warum sucht sie sich nicht einen attraktiveren Mann. Sie ist viel zu gut für den Dicken“ oder „Die passen doch gar nicht zusammen“, zählen zu den Sprüchen, mit denen ungleiche Paare immer wieder konfrontiert werden. Paartherapeut Rüdiger Wacker rät Betroffenen dazu, sich nicht zu rechtfertigen. Ignorieren und kontern sei der bessere Weg, erklärt der er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur „dpa“, die weitere Experten zu dem Thema befragte.
Ungleiche Paare sollten sich nicht rechtfertigen
Er ist zwei Meter groß und sie gerade mal 1,50 Meter. Wenn der große schlaksige Mann und die kleine untersetzte Frau durch die Innenstadt laufen, fallen sie auf. So wie ihnen geht es vielen Paaren, die sehr unterschiedlich aussehen. Nicht selten werden sie mit Vorurteilen konfrontiert. Das sei aber normal, berichtet Dietmar Bittrich, Autor eines Buchs über ungleiche Paare, gegenüber der Nachrichtenagentur. „Wir erwarten Harmonie, das ist eine grundsätzliche Sehnsucht.” Deshalb ist häufig auch von der „anderen Hälfte” die Rede. „Damit wird ausgedrückt, dass die Hälfte nicht so anders sein kann.“
Wissenschaftliche Studie belegten, dass sich die meisten Menschen ähnlich attraktive Partner suchten, erläutert Wacker. Ungleiche Paare seien dagegen eher selten. Deshalb fielen diese Paare mehr auf. Die Blicke und Kommentare würden die Betroffenen aber meist sehr unangenehm treffen. „Man sollte sich nicht in Rechtfertigungsdruck bringen lassen”, so der Paartherapeut. Die Paare sollten sich dagegen bewusstmachen, dass die Blicke und Sprüche auf einem Problem der anderen beruhen. Sie bewerten die ungleiche Optik und folgern daraus, dass auch der Rest nicht gut passt, so Wacker. Ignorieren und kontern sei die bessere Strategie. Ungleiche Paare könnten sich gemeinsam Sprüche überlegen. Dann falle das Kontern leichter. Zudem könnte das Zusammengehörigkeitsgefühl auch physisch durch Arm in Arm gehen unterstrichen werden, rät der Experte. Mit Rechtfertigungen erreiche man dagegen wenig. „Wenn man etwas erklärt, ist man sofort in einer geschwächten Position”, so Brigitte Brandstötter, Autorin eines Buches, in dem vor allem die Konstellation von Frauen mit jüngerem Partner behandelt wird, gegenüber der Nachrichtenagentur. Anders sei es jedoch bei Freunden, deren Meinung sich die Paare ruhig anhören könnten, meint Wacker. Aber auch darauf müsse niemand eingehen.
Ungleiche Paare sollten sich nicht von den Vorurteilen anderer beeinflussen lassen
Zum Beziehungskiller kann die Ungleichheit werden, wenn die Zweifel und Bewertungen von außen auch innerhalb der Partnerschaft für Unsicherheit sorgen. „Niemand ist unabhängig von den Urteilen anderer”, erläutert Bittrich. „Wenn Risse da sind, werden sie zu Spalten vertieft.” Leidet einer der Partner ohnehin an großen Selbstzweifeln, können diese durch die Vorurteile anderer noch verstärkt werden. Daraus kann sich ein Minderwertigkeitsgefühl dem Partner gegenüber entwickeln. Deshalb sollten ungleiche Paare einerseits über ihre Probleme sprechen und andererseits auch formulieren, was sie am anderen besonders schätzen. Nicht selten sind das die Unterschiede. „Anderssein hat natürlich einen gewissen Preis, kann aber auch eine gewisse Stärke zeigen”, so Wacker. „Jeder bringt etwas mit, was für den anderen attraktiv ist”, ergänzt Brandstötter.
Die richtige Balance zwischen Unterschieden und Gemeinsamkeiten sei entscheidend, erklärt der Paartherapeut. Dann spiele auch der optische Unterschied keine so große Rolle mehr, da er nur ein Punkt von vielen ist. Für eine stabile Beziehung sollten Lebensstil und Einstellungen weitgehend harmonieren, erläutert Bittrich. Faktoren wie Humor und Weltanschauung seien meist entscheidender als die Optik. Zumal die Außenwahrnehmung im Laufe der Zeit immer weiter in den Hintergrund trete. Das Paar gewöhne sich daran aufzufallen. „Das ist natürliches Wachstum.” Dann könnten Paare häufig sogar über die Vorurteile anderer lachen, wodurch das Selbstbewusstsein gesteigert werde. Und: Gegensätze haben auch Vorteile. So könnten sie erotisch wirken. „Die erotische Anziehung kommt aus den Gegensätzen, die Haltbarkeit kommt aus der Gleichheit.”
Wenn sich ungleiche Paare nicht von Vorurteilen beeinflussen lassen, hält ihre Partnerschaft häufig überdurchschnittlich lang
Fazit: Ungleiche Paare können sehr glückliche Beziehungen führen, wenn sie es schaffen, sich nicht von den Zweifeln und Vorteilen der anderen beeinflussen zu lassen. Eine Beziehung abseits des Mainstream ist zwar generell krisenanfälliger, kann aber zu einer stabilen und dauerhaften Partnerschaft werden, wenn die Krise – das Gefühl gesellschaftlich im Abseits zu stehen – gemeistert wird.
Dieses Phänomen untersuchten die die amerikanischen Soziologen Justin Lehmiller und Christopher Agnew. Sie befragten Paare, die in unkonventionellen Partnerschaften leben, zu der Qualität ihrer Beziehung und ihrem Verhältnis zu den Mitmenschen. Alle Studienteilnehmer gaben an, das Gefühl zu haben, gesellschaftlich im Abseits zu stehen. Wenn sie diesen großen Belastungsfaktor jedoch schnell überwanden, stiegen damit ihre Chancen auf eine überdurchschnittlich lang andauernde Beziehung. Die Forscher beobachten, dass sich solche Paare stärker gebunden fühlen als konventionelle Paare und seltener nach alternativen Partnern umsehen. (ag)
Autoren- und Quelleninformationen
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