Anthroposophische Medizin stellt den Mensch in den Mittelpunkt
Die anthroposophische Medizin verspricht eine ganzheitliche Betrachtung des Patienten, die sich in vielen Bereichen mit den Ansätzen der Naturheilkunde überschneidet und insbesondere bei komplexen Beschwerdebildern eine gute Ergänzung zur Schulmedizin darstellen kann. Die anthroposophische Medizin „versteht sie sich als eine Erweiterung der modernen, naturwissenschaftlich begründeten Medizin“, erläutert der Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMiD).
Dem Ansatz der anthroposophischen Medizin zufolge ist der „Mensch mehr als sein Körper. Und auch mehr als die Summe seiner Krankheitssymptome“, berichtet der DAMiD. Die Individualität des Menschen werde auch im Krankheitsfall durch das komplexe Zusammenspiel von körperlichen, seelischen und geistigen Charakteristika bestimmt, was bei der Behandlung entsprechend Berücksichtigung finden sollte. Viele schwerkranke Patienten wünschen sich, dass die behandelnden Ärzte sich Zeit nehmen, um auf ihre Seelenlage einzugehen. Doch bieten die schulmedizinischen Praxen aus Kosten- und Zeitgründen hierfür oftmals keine Möglichkeit, so die Mitteilung der Nachrichtenagentur „dpa“. Die anthroposophische Medizin setzte hier an und widme sich in Ergänzung zu der konventionellen Behandlung auch dem allgemeinen Befinden und der individuellen Lebenssituation der Betroffenen.
Seelenlage der Patienten berücksichtigen
In der anthroposophischen Diagnostik und Therapie können sämtliche Methoden und Verfahren der Schulmedizin eingesetzt werden, erweiternd werden jedoch geisteswissenschaftliche Erkenntnisse mit einbezogen, die auf Rudolf Steiner und Ita Wegman zurückgehen, berichtet der DAMiD. Professor Alfred Längler vom Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland erklärte gegenüber der „dpa“, dass die anthroposophische Medizin neben modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, auch auf spirituelle, ganzheitliche Ansätze der Anthroposophie nach Rudolf Steiner (1861-1925) zurückgreife. So würden bei der Diagnose und Behandlung nicht nur die messbaren Befunde des erkrankten Menschen berücksichtigt, sondern die Seelenlage spiele ebenfalls eine wichtige Rolle. Dies ist nach Auffassung der Anwender insbesondere bei komplexen Krankheitsbildern von Vorteil.
Selbstheilungskräfte des Organismus aktivieren
Die Nachrichtenagentur „dpa“ berichtet zur Veranschaulichung von dem Beispiel einer chronisch-entzündliche Darmerkrankung, die sich mit einer endoskopischen Untersuchung zwar eindeutig feststellen lasse, bei der jedoch seelische Faktoren einen großen Einfluss haben. Vielen Betroffenen stelle sich zudem die Frage, was die Krankheit mit ihnen macht und wie sich diese auf ihre Lebensplanung auswirke. „Die Frage ist: Was leite ich daraus für die Therapie ab?“, zitiert die Nachrichtenagentur Professor Längler, der als Kinderonkologe und Leitender Arzt der Abteilung Kinder- und Jugendmedizin am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke (Nordrhein-Westfalen) tätig ist. Das Krankenhaus bildet eine von neun Akutkliniken in Deutschland, in denen die anthroposophische Medizin stationär angeboten wird. Die anthroposophischen Behandlung habe dabei das Ziel, gemeinsam mit den Patienten eine geeignete Therapie zu wählen, einen Weg zum Umgang mit der Erkrankung zu finden und die Selbstheilungskräfte anzuregen, damit die Patienten von sich aus zur Überwindung der Erkrankung beitragen können, erläutert der DAMiD. „Die rein mechanische Geschichte ist das eine, (…) damit eine therapeutische Arzt-Patienten-Beziehung gut gelingt, gilt es in der Regel, mehr als die rein physikalisch-körperliche Ebene anzuschauen“, zitiert hierzu die „dpa“ den Kinderonkologen Professor Längler.
Aktive Beteiligung am Genesungsprozess
Zunächst werden in der anthroposophischen Medizin im Rahmen einer gründlichen Anamnese nicht nur die körperlichen Symptomen, sondern „auch die persönlichen Lebensumstände, der individuelle Biografieverlauf oder mögliche Krisen im Leben des Patienten erfragt“, berichtet der DAMiD. Es folge eine schulmedizinische Diagnose. „Arzt und Patient entscheiden dann gemeinsam in einem ausführlichen Gespräch, welcher medizinische Ansatz individuell sinnvoll ist“, so der Dachverband Anthroposophische Medizin weiter. Hierbei begreife die anthroposophische Medizin den Patienten als aktiven Partner, die sich an ihrem Genesungsprozess selbstbewusst beteiligen sollen. Ihnen werde eine aktive Rolle bei der Überwindung ihrer Krankheit zugesprochen. So würden die Patienten „dazu ermutigt, sich aktiv für ihre Gesundheit einzusetzen und neue, gesundeVerhaltensweisen zu erlernen“, erläutert der DAMiD. Ein wichtiger Faktor bei der Stärkung der Selbstheilungskräfte seien in der anthroposophischen Medizin zudem die künstlerischen Therapien mit plastischem Gestalten, Zeichnen und Malen, Musizieren oder Sprachgestaltung. Auch die Heileurythmie, eine spezielle von Rudolf Steiner entwickelten Form rhythmischer Bewegungskunst, komme hier zum Einsatz.
Negative Verhaltensmuster korrigieren
Der Kinderonkologe Professor Längler wird von der Nachrichtenagentur „dpa“ in Bezug auf die Wirkung der künstlerischen Therapien mit der Aussage zitiert, dass diese „über mein seelisches Erleben körperliche Vorgänge beeinflussen“ sollen. Dem Dachverband Anthroposophische Medizin zufolge kann die Auseinandersetzung mit künstlerischen Vorgängen beim Patienten einen Prozess der Selbsterkenntnis auslösen und damit eingefahrene und krankmachende Verhaltensmuster korrigieren. „Ich erlebe seelisch etwas, und das gibt mir ein Stück Lebenskraft, die dann auf der organischen Ebene zur Verfügung steht“, zitiert die „dpa“ Professor Längler. Beispielweise würden krebskranke Kinder beim Malen erleben, dass sie hierzu in der Lage sind und sich von dem negativen Krankheitsgefühl des „ich kann nichts, ich muss repariert werden“ lösen.
Kritik an der anthroposophischen Medizin
Der Dachverband Anthroposophische Medizin nennt auf seiner Internetseite auch verschiedene physikalische und therapeutische Maßnahmen, welche die Atmung, Durchblutung, Verdauung und Stoffwechselprozesse anregen sollen, als wichtige Bestandteile der anthroposophischen Medizin. Gleiches gelte für die Rhythmische Massage nach Dr. Ita Wegman (1876-1943). Obwohl die anthroposophische Medizin in den rund hundert Jahren ihres Bestehens eine beachtliche Erfolgsgeschichte verzeichnen konnte und heute laut Angaben des DAMiD in über 80 Ländern weltweit praktiziert wird, trifft sie bis vielfach auf massive Kritik. „Aus meiner Sicht ist die anthroposophische Medizin alles andere als wissenschaftlich, ganz im Gegenteil, sie will die Regeln der Wissenschaftlichkeit für sich neu definieren“, zitiert die „dpa“ beispielsweise Edzard Ernst, emeritierten Professor der Universität Exeter (Großbritannien). Da jeder anthroposophische Arzt in Deutschland ein medizinisches Studium mit Approbation absolviert haben muss, ist nach Auffassung des DAMiD die schulmedizinische Kompetenz hier jedoch sichergestellt und die Ärzte verfügen zusätzlich über Kenntnisse der Anthroposophischen Medizin.
Kostenübernahme durch die GKV möglich?
Trotz seiner Kritik an der anthroposophischen Medizin sieht auch Professor Ernst in einzelnen Punkten durchaus Vorteile dieser Methode. So seien zum Beispiel „anthroposophische Ärzte meist sehr emphatisch und pflegen ihre Patienten recht gut“, zitiert die „dpa“ den britischen Mediziner. Allerdings rate er von den spezifischen Therapien der anthroposophischen Medizin eher ab. Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) in Deutschland sehen die anthroposophische Medizin vielfach indes deutlich weniger kritisch. So werde für einzelne anthroposophische Behandlungsmethoden von einigen Krankenkassen eine Kostenübernahme angeboten, berichtet die „dpa“. Ann Marini vom GKV-Spitzenverband zufolge sei die anthroposophischer Medizin als Beispiel für Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen im GKV-Leistungskatalog grundsätzlich nicht ausgeschlossen, so die Mitteilung der Nachrichtenagentur. Allerdings sollten sich gesetzlich Versicherte vor Behandlungsbeginn darüber informieren, b ihre Krankenkasse die Kosten übernimmt. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.