Zucker wird zum gesellschaftlichen Problem
08.11.2014
In den modernen Industrienationen weltweit zählt Typ-2-Diabetes (auch Altersdiabetes genannt) mittlerweile zu den weit verbreiteten Volkskrankheiten, wobei ein maßgeblicher Zusammenhang mit Risikofaktoren wie ungesunder Ernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und Adipositas besteht. Allein in Deutschland leiden heute bereits rund 6 Millionen Menschen an einem Typ 2-Diabetes und für die kommenden Jahre wird weiterhin ein deutlicher Anstieg der Fallzahlen erwartet. Gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“ warnt der Chefarzt am Kinder- und Jugendkrankenhaus auf der Bult in Hannover und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Diabetes-Hilfe, Thomas Danne, dass Medikamente alleine das Problem nicht lösen können. Hier sehen die Experten auch die Politik gefordert.
Diabetes ist eine gefährlich Stoffwechselkrankheit
„Diabetes ist eine Volkskrankheit", erläutert Danne. Allein in Deutschland sind rund sechs Millionen Menschen von einem Typ-Diabetes betroffen – ein Drittel mehr als noch vor 15 Jahren. Expertenschätzungen zufolge könnten bis zum Jahr 2035 weltweit 600 Millionen Menschen an der tückischen Krankheit leiden. Derzeit erkranken statistisch gesehen täglich etwa 750 Menschen hierzulande an Diabetes, stündlich sterben drei Patienten an den Folgen der Zuckerkrankheit.
In 95 Prozent der Fälle handelt es sich bei den Betroffenen um Typ 2-Diabetes. Typ 1-Diabetes tritt zwar wesentlich seltener auf, aber auch auch hier steigen die Patientenzahlen. Während bei Typ 1 vor allem genetische Faktoren eine Rolle spielen gelten bei Typ 2-Diabetes Übergewicht, Bewegungsmangel und Stress als Hauptrisikofaktoren. Aber auch Umweltbelastungen wie eine hohe Feinstaubemission sollen die Erkrankung begünstigen, wie neuere Daten belegen.
Diabetes ist eine gefährliche Stoffwechselerkrankung, bei der lebensbedrohliche Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt, Bluthochdruck, Schlaganfall und Niereninsuffizienz auftreten können. Eine frühzeitige Diagnose und Therapie ist deshalb besonders wichtig.
Diabetes wird durch Adipositas begünstigt
Ursache der starken Zunahme der Diabetes-Patienten sei vor allem die wachsende Zahl der übergewichtigen Menschen, erklärt der Diabetes-Forscher Matthias Tschöp vom Helmholtz Zentrum München gegenüber der Nachrichtenagentur. „Das Problem bekommen wir einfach nicht in den Griff. Wir haben bis heute keine Medikamente gegen Fettleibigkeit", so der Mediziner. Die einzige Möglichkeit bestünde derzeit in operativen Eingriffen wie etwa dem Einsetzen eines Magenbypass. Tschöp forscht deshalb an neuen Wirkstoffen, die gleichzeitig Fettleibigkeit und Diabetes bekämpfen. „Wir brauchen Medikamente, die viel wirksamer sind als heute." Dafür setzt er bei den unterschiedlichen Fettzellen im Körper an. „Es gibt Fettzellen, die Fett nicht speichern, sondern verbrennen", erläutert er. Tschöp und seine Kollegen vom Helmholtz Zentrum versuchen herauszufinden, wie sich das „gute“ braune Fett von dem „schlechten“ weißen unterscheiden lässt. „Wir müssen es schaffen, weiße in braune Fettzellen umzuwandeln – also Zellen, die Kalorien speichern umwandeln in Zellen, die Kalorien verbrennen." Doch dieses Funktionsprinzip ist noch unklar.
Politiker, Ärzte und Nahrungsmittelindustrie müssen zusammenarbeiten
Kinderarzt Danne setzt sich für einen nationalen Diabetes-Aktionsplan ein. „18 EU-Staaten haben den bereits, Deutschland hinkt hinterher." Mit dem Plan sollen dem Mediziner zufolge die Interessen von Ärzten, Politik oder Nahrungsmittelindustrie gebunden werden. Zudem solle ein zentrales Diabetes-Register eingeführt werden. „Wir wissen immer noch viel zu wenig darüber, wie die Leute behandelt werden", erläutert Danne. Im Sommer hat die Bundesregierung einem nationalen Diabetesplan zugestimmt. Nun seien die Politiker am Zug, so der Kinderarzt.
Vor allem bei der Früherkennung müsse viel verbessert werden. „Hoher Zucker tut ja nicht weh“, berichtet Danne. Deshalb bemerkten viele Betroffene ihre Erkrankung erst, wenn sich Folgeerkrankungen zeigten.
Menschen mit Diabetes nicht ausgrenzen
Trotz der teilweise vermeidbaren Risikofaktoren betont Tschöp, dass Menschen mit Diabetes nicht nach dem Motto „Der ist ja selber schuld" abgestempelt werden sollten. „Es gibt genetische Gründe für Fettleibigkeit, viele Betroffene haben mit Willen allein überhaupt keine Chance." Nicht jeder Übergewichtige bekomme auch Diabetes. Andererseits seien auch Menschen von der Erkrankung betroffen, die Normalgewicht hätten. „Das Leben ist da nicht fair", ergänzt Danne. Diabetes habe sich zu einem gesellschaftlichen Problem entwickelt, dass mit neuen Medikamenten allein nicht zu lösen sei. „Unsere Gesellschaft macht gesundes Leben nicht gerade leicht", so der Kinderarzt.
Beim Welt-Diabetes-Tag am 14. November wollen Experten über die Erkrankung aufklären und zeigen, wie ein normales Leben trotz Diabetes möglich ist. (ag)
Bild: Henrik Gerold Vogel / pixelio.de
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