Undercoverreporter untersucht Umgang mit Sauberkeit und Keimen
28.11.2014
Hygienemängel, Nicht-Einhaltung von Vorschriften, unzureichende Aufklärung: Ein Reporter des Recherchebüros „Correctiv“ hat knapp zwei Wochen lang als vermeintlicher Praktikant in der Berliner Charité gearbeitet und dabei erhebliche Defizite aufgedeckt. Nun weist das traditionsreiche Berliner Krankenhaus die Vorwürfe zurück und rechtfertigt ihren Umgang mit multiresistenten Keimen.
Vermeintlicher Praktikant arbeitet 12 Tage in der Gastroenterologie der Berliner Charité
Zwölf Tage lang hatte Benedict Wermter vom Recherchebüro „Correctiv“ verdeckt als Pflegepraktikant im Bereich Gastroenterologie der Berliner Charité gearbeitet. Geleitet von der Frage „Wie geht die Charité mit Hygiene und Keimen um?“, hatte Wermter dort nach Angaben des Büros zahlreiche Missstände aufgedeckt, wie zum Beispiel nicht eingehaltene Hygienevorschriften durch das Pflegepersonal. Auch seien Patienten und Besuchern nur unzureichend über Risiken mangelnder Hygiene und Gefahren durch multiresistente Keime aufgeklärt worden, selbst er habe als „Mitarbeiter“ erst nach knapp einer Woche eine erste Einführung zum Thema „Hygienemaßnahmen“ erhalten.
Bis zu 15.000 Menschen sterben jedes Jahr an Krankenhaus-Infektionen
„Ich habe zahlreiche verkeimte Patienten frei auf der Station herumlaufen sehen. Das Personal hat sich und andere nicht immer vor resistenten Erregern geschützt […]. Gleichzeitig habe ich Besucher und Patienten oft schlecht informiert erlebt. Viele infizierte Patienten habe ich auf die Keime angesprochen. Die meisten hatten entweder keine Ahnung oder verdrängten das Problem“, berichtet Wermter auf der Website des Recherchebüros. Ein Zustand, der dramatische Folgen haben kann, denn wie Correctiv schreibt, würden nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums jährlich bis zu 15.000 Menschen in Deutschland an Krankenhaus-Infektionen sterben. Die Zahl der Opfer könnte dabei sogar möglicherweise nach gemeinsamen Recherchen von Correctiv, "Die Zeit", "Zeit Online" und der Funke-Mediengruppe noch weit höher sein. Demnach hätten Ärzte im vergangenen Jahr mehr als 30.000 Mal einen der weit verbreiteten Keime MRSA, ESBL oder VRE abgerechnet – wie viele Patienten an den durch die Erreger gestorben sind, könne jedoch anhand der Daten nicht gesagt werden.
Patientin mit multiresistentem Keim im Bereich der Stationsküche
Wie Correctiv weiter berichtet, habe nun aber die Charité auf die Recherchen reagiert und eine Stellungnahme abgegeben. Demnach habe die Klinik unter anderem den Vorwurf zurückgewiesen, dass sich verkeimte Patienten ohne Schutzkleidung frei auf der Station bewegt hätten. Der Hintergrund: Benedict Wermter hatte während seiner Recherchen eine Patientin beobachtet, die sich trotz eines multiresistenten Keims im Bereich der Stationsküche aufhielt: „Damit sie keine anderen Patienten anstecken kann, wird sie eigentlich in ihrem Zimmer isoliert. Trotzdem läuft sie auf der Station herum. Sie benutzt auch die Behindertentoilette auf dem Gang. Nachts, erzählen die Schwestern, sei sie oft stundenlang im ganzen Haus unterwegs“, berichtet Wermter. Offenbar ein leichtsinniger Fehler, denn „isolierte Patienten dürfen das Zimmer nicht alleine und unkontrolliert verlassen“, so Peter Walger von der deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH).
Spezifische Hygieneregeln für die Patienten
Doch aus Sicht der Charité sei hier kein Fehler geschehen, vielmehr würden infizierte Patienten ohnehin „nur in seltenen, gut begründeten Ausnahmen überhaupt ihr Zimmer verlassen“. Läge lediglich eine Kolonisation vor, also eine Besiedlung des Keimträgers ohne dass ein Krankheitswert besteht, könnten die Patienten jedoch in ihrer Bewegung nur im Rahmen der gesetzlichen Grenzen eingeschränkt werden, wird die Klinik weiter zitiert. „Selbstverständlich erklären wir aber unseren besiedelten Patienten, wie sie sich zu verhalten haben“, sodass beispielsweise Patienten grundsätzlich erklärt werde, dass sie “sich die Hände zu desinfizieren haben, wenn sie ihr Zimmer verlassen.“ Zudem bekämen die Patienten “je nach Erreger und Besiedlungsart spezifische Hygieneregeln mitgeteilt“, so die Aussage der Charité laut Correctiv.
Starke Mängel auch im Bereich Desinfektion
Wie Correctiv weiter berichtet, war Benedict Wermter durch seine verdeckte Arbeit auch auf Defizite im Bereich Desinfektion aufmerksam geworden. Demnach hatte beispielsweise eine Auszubildende, die dem vermeintlichen Praktikanten das Blutzuckermessgerät erklärt habe, nicht die erforderlichen Hygienemaßnahmen eingehalten, indem sie weder Handschuhe trug noch Hände oder Gerät desinfizierte. Auch hierzu habe die Charité laut dem Recherchebüro Stellung bezogen: „Das Tragen von Handschuhen bei möglichem Kontakt mit Blut, Sekreten und Exkreten ist eine grundlegende Forderung des Personalschutzes, die auch in der Charité konsequent umgesetzt wird.”
Personal hält sich nur zum Teil an Vorschriften zu Schutzkleidung
Doch Wermter konnte im Zuge seiner Recherchen noch weitere Mängel in Hinblick auf die geforderte Schutzkleidung aufdecken. Denn obwohl laut den Vorgaben der Charité in isolierten Zimmern und bei Patienten mit künstlich geschwächtem Immunsystem generell ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden muss, halte sich das Personal offenbar nicht immer an diese Vorgabe. Selbst dann nicht, wenn mit einem direkten Kontakt und dadurch mit einer Kontamination zu rechnen sei. Dadurch habe sich beispielsweise ein Patient während einer Herz-Transplantation in der Charité mit dem Keim MRSA infiziert. „Sie glauben doch nicht, dass die Ärzte sich einen Mundschutz anziehen. Die sind doch über alles erhaben“, wird der Patient von Correctiv zitiert und erhält Bestätigung durch die Aussage einer Auszubildenden, die sich Wermter gegenüber mitgeteilt hatte: „Wir müssen uns vor jedem isolierten Zimmer den Schutz anziehen. Manche machen das und manche nicht. Das ist das Problem.“ (nr)
Bild: Sebastian Karkus / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.