Neue Schlaganfall-Therapie, um linke Körperhälfte besser wahrzunehmen
09.01.2015
Wissenschaftler der Universität des Saarlandes haben eine neue Therapie für Schlaganfall-Patienten entwickelt, die an einem sogenannten visuell-räumlichen Neglect leiden. Dabei nehmen Betroffene ihre linke Körperhälfte infolge des Schlaganfalls nicht mehr vollständig wahr, so dass sie beispielsweise beim Überqueren einer Straße nicht nach links schauen, häufig mit der linken Körperhälfte an Gegenstände stoßen und diese bei der Körperpflege vernachlässigen. Mit dem neuen Therapieverfahren wird das Gleichgewichtssystem mit leichten Stromstößen stimuliert. Den Forschern zufolge können Neglect-Patienten dadurch ihre linke Körperhälfte wieder besser wahrnehmen.
Viele Patienten nehmen ihre linke Körperhälfte infolge des Schlaganfalls nicht mehr wahr
In Deutschland erleiden jährlich mehr als 250.000 Menschen einen Schlaganfall. Häufig haben die Betroffenen ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen. Einige Patienten leiden am visuell-räumlichen Neglect, durch den sie alles vernachlässigen, was in der linken Sicht- und Körperhälfte geschieht. „Vor allem Patienten, deren rechte Gehirnhälfte geschädigt ist, leiden oft darunter, dass sie ihre linke Körperhälfte vernachlässigen“, erläutert Georg Kerkhoff, Professor für Klinische Neuropsychologie und Leiter der Neuropsychologischen Universitätsambulanz an der Universität des Saarlandes. „Trotz neuer und wirksamerer Behandlungsverfahren sind die Heilungschancen immer noch ungünstig.“
Um die Betroffenen besser behandeln zu können, entwickelten die Saarbrücker Forscher ein neuartiges Therapieverfahren im Rahmen ihrer Studie, bei dem das Gleichgewichtssystem der Patienten stimuliert wird. Dafür werden kleine Elektroden hinter den Ohren der Betroffenen angebracht, über die schwache elektrische Impulse abgegeben werden. „Bei diesem Verfahren gibt es keine Nebenwirkungen. Die Patienten spüren die Reize nicht einmal, da wir unterhalb der Wahrnehmungsschwelle stimulieren“, berichtet Stefan Reinhart, promovierter Psychologe in Kerkhoffs Team. Bei anderen Therapieverfahren leiden die Patienten häufig unter unangenehmen Nebenwirkungen wie Schwindel und Nystagmus (unkontrollierbare, rhythmische Bewegungen eines Organs, z.B. der Augen).
Neue Therapie nach Schlaganfall könnte Lebensqualität der Patienten deutlich verbessern
Die sogenannte Galvanisch-Vestibuläre Stimulation (GVS) erwies sich in der Studie als sehr erfolgreich. Insgesamt nahmen 24 Schlaganfall-Patienten, von denen etwa die Hälfte am linksseitigen Neglect litt, an der Untersuchung teil. Im Rahmen der Studie mussten sie vier Aufgaben lösen, mit denen insbesondere ihre visuell-räumlichen Fähigkeiten getestet wurden. So sollten die Teilnehmer vorgegebene Bilder von Gegenständen abzeichnen, Zahlen auf einem Bildschirm suchen, die Mitte einer horizontalen Linie finden und einen kurzen Text schreiben. Um Placeboeffekte ausschließen zu können, wurden die Aufgaben einmal während der GVS-Behandlung absolviert und ein weiteres Mal ohne elektrische Impulse. Die Studienteilnehmer wussten jedoch nichts von der Scheinsimulation.
„Die GVS-Effekte wurden nur bei der beeinträchtigten, aber nicht bei der unbeeinträchtigten Patientengruppe festgestellt“, berichten die Forscher in der renommierten Fachzeitschrift „Neuropsychologia", wo sie ihre Ergebnisse veröffentlicht haben. „Während der Stimulation zeigten die Teilnehmer im Vergleich zur Scheinstimulation eine um 30 bis 50 Prozent verbesserte Leistung in den verschiedenen Aufgaben", erläutert Reinhart. „Die Patienten konnten die vernachlässigte linke Seite wieder verstärkt wahrnehmen." Zukünftig könnten Neglect-Patienten hinsichtlich ihrer Lebensqualität von dieser Methode profitieren. Auch für die Wissenschaft sind die Ergebnisse der Forscher interessant, da sie den Zusammenhang zwischen dem Gleichgewichtssystem und der räumlichen Aufmerksamkeit belegen. (ag)
Bild: Harald Wanetschka / pixelio.de
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