Sollten Kinder Allergene nicht meiden, sondern schon möglichst früh aufnehmen?
24.02.2015
Bahnbrechende neue Erkenntnisse aus der Allergieforschung legen den Schluss nahe, dass der Kontakt mit potenziellen Allergenen bei Kindern zum Allergieschutz beiträgt, anstatt das Allergie-Risiko zu erhöhen. Bisheriger Empfehlungen, die Schwangeren und Kleinkindern einen möglichst geringen Kontakt mit Allergenen anraten, müssen demnach grundsätzlich überarbeitet werden.
Das Forscherteam um Professor Gideon Lack vom Kings College London hat am Montag die Ergebnisse der sogenannten LEAP-Studie (LEAP = Learning Early About Peanut Allergy) auf der Hauptversammlung der American Academy of Allergy, Asthma & Immunology der Öffentlichkeit vorgestellt und dabei auf die Bedeutung für die künftige Allergieprävention hingewiesen. Der „Kurier.at“ zitiert Univ.-Prof. Zsolt Szepfalusi von der Uni-Kinderklinik an der MedUni Wien hierzu mit der Aussage, dass es „so einen Durchbruch in der Allergieforschung in den letzten 30 oder 40 Jahren nicht mehr“ gegeben habe. Publiziert wurde die Studie in dem renommierten „New England Journal of Medicine“.
Die Wissenschaftler des Immune Tolerance Network haben im Rahmen der LEAP-Studie über Jahre die Auswirkungen des frühen Verzehrs von Erdnüssen auf das spätere Allergie-Risiko analysiert. Nun liegen die Ergebnisse der ersten randomisierten Studie zur Prävention der Nahrungsmittelallergie mittels Aufnahme von Allergenen in einer großen Kohorte von Hochrisiko-Kindern vor, berichten Professor Lack und Kollegen. Grundsätzlich sei die Erdnussallergie eine anomale Reaktion des körpereigenen Immunsystems auf harmlose Erdnussproteine in der Ernährung. Bisher habe hier die Annahme gegolten, dass durch den Kontakt ein steigendes Allergie-Risiko bedingt werde. Doch obwohl vielfach die Vermeidung von Erdnüssen während der Schwangerschaft, Stillzeit und Kindheit empfohlen werde, habe sich die Prävalenz der Erdnussallergien in den letzten zehn Jahren in den USA und anderen Ländern verdoppelt.
Mehr als 600 Kinder mit hohem Allergie-Risiko untersucht
Die Forscher gingen in der LEAP-Studie daher der Hypothese nach, dass der regelmäßige Verzehr von erdnusshaltigen Produkten in der Kindheit, eine schützende Immunantwort statt einer allergischen Immunreaktion hervorruft. Über 600 Kinder im Alter zwischen vier und elf Monaten mit hohem Risiko für eine Erdnuss-Allergie wurden im Rahmen der Studie in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt regelmäßig erdnusshaltige Snacks, währen die andere Erdnüsse komplett vermied. Bis zum Alter von fünf Jahren beobachteten die Forscher die Allergie-Entwicklung der Kinder beider Gruppen. Der anschließende Vergleicht verdeutlichte die präventive Wirkung der frühzeitigen Allergen-Exposition.
Früher Konsum von Erdnüssen verhindert Erdnussallergien
Von den Kindern, die Erdnüsse vermieden, entwickelten 17 Prozent bis zum Alter von 5 Jahren eine Erdnussallergie, während nur drei Prozent der Kinder, die Erdnuss-Snacks erhielten, eine Erdnussallergie zeigten, schreiben Professor Lack und Kollegen. Insgesamt habe bei Säuglingen mit hohem Allergie-Risiko der anhaltende Konsum von Erdnüssen beginnend in den ersten elf Lebensmonaten sehr effektiv zu einer Verhinderung der Entwicklung von Erdnussallergien beigetragen, berichten die Forscher weiter. „Seit Jahrzehnten empfehlen Allergologen für junge Säuglinge die Vermeidung von allergenen Lebensmitteln wie Erdnüssen, um Nahrungsmittelallergien zu verhindern“, doch die aktuellen „Ergebnisse legen nahe, dass dieser Rat falsch war und zum Anstieg der Erdnuss- und anderer Nahrungsmittelallergien beigetragen haben kann“, so Professor Lack.
Überarbeitung der Ernährungsempfehlungen erforderlich
Gegenüber dem „Kurier“ erläutert der Allergologe Zsolt Szepfalusi, dass angesichts der neuen Studienergebnisse „in den Ernährungsempfehlungen zur Allergievermeidung für Kinder demnächst einige gravierende Veränderungen“ zu erwarten seien. Im Prinzip bedürfe es einer Kehrtwendung der Gesamtstrategie. „Jetzt müssen wir unsere Strategie noch mehr in Richtung einer frühzeitigen Exposition mit Allergenen ändern“, so Szepfalusi, der erst kürzlich an der Vorstellung neuer Allergie-Empfehlungen beteiligt war. Diese hatten bereits die Aufnahme von Allergenen über die Beikost freigegeben, wohingegen zuvor eine komplette Meidung der der potenziellen Allergieauslöser in der Schwangerschaft und im Säuglingsalter galt. „Jetzt werden wir wohl mehr Gewicht darauf legen, dass sie es nicht nur dürfen, sondern ausdrücklich sollen“, zitiert der „Kurier“ den Allergologen. Dies sollte den aktuellen Studienergebnissen zufolge insbesondere für Kinder mit hohem Allergie-Risiko gelten.
Verbesserung der Allergieprävention
Zwar bezieht sich die LEAP-Studie ausdrücklich auf das Risiko einer Erdnussallergie, doch der Szepfalusi hofft, dass die Ergebnisse auch auf andere Allergene wie Milch, Eier und Weizen übertragbar sind. Insgesamt könnten die neuen Erkenntnisse nicht nur nach Auffassung der Wissenschaftler des Immune Tolerance Network zu einer deutlichen Verbesserung der Allergieprävention beitragen. (fp)
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Bild: Günther Richter / pixelio.de
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