Die Krankenkassen müssen jedes Jahr mehrere Millionen Euro Betrugsschäden hinnehmen, weil Ärzte falsche Abrechnungen anfertigen, systematischen Kartenmissbrauch betrieben oder gefälschte Rezepte eingereicht werden. Allein die gesetzliche Krankenkasse AOK Bayern berichtet von über 60 Millionen Euro Verlust durch Betrügereien seit 2004.
Beispielsweise habe ein Arzt seit 2004 rund 1,2 Millionen Euro ergaunert, berichtet Dominik Schirmer, AOK-Beauftragter zur Bekämpfung von Fehlverhalten. Eine ehemalige Mitarbeiterin habe berichtet, dass sie ihre und die Gesundheitskarten ihrer Familie bei dem Arzt einreichen sollte – ohne dass jemals jemand krank war. Oder es wurden Patienten in Programme für chronisch Kranke eingeschrieben worden, ohne dass diese an einer solchen Erkrankung leiden würden. “Seither gelingt es uns nicht, diesen Arzt zu regelkonformem Verhalten zu bringen”, sagt Schirmer. Und auch dann nicht, dem Arzt den Zugang zum System zu entziehen. Ein Verfahren läuft noch immer.
Die AOK Bayern sieht dringend Handlungsbedarf, um Fehlverhalten im Gesundheitswesen wirksam zu bekämpfen. Matthias Jena, Vorsitzender des Verwaltungsrats der AOK Bayern, verdeutlicht dies am Beispiel Pflege: „Wir fordern ein bundesweites Zentralregister, das Betrugsfälle personenbezogen speichert.“ Bisher könnten Betrüger einfach ein Bundesland weiterziehen und dort eine neue Zulassung beantragen, ohne dass die Kranken- und Pflegekassen über die kriminelle Karriere informiert würden, sagt Jena. „Datenschutz darf nicht als Täterschutz missbraucht werden.“ Zugleicht fordert Jena, dass die Landesverbände der Pflegekassen sich polizeiliche Führungszeugnisse vorlegen lassen dürfen vom Inhaber eines Pflegedienstes, der leitenden Pflegekraft und ihrer Stellvertretung. Jena wünscht sich bei der Bekämpfung von Fehlverhalten eine erheblich engere Zusammenarbeit mit den Verbänden der Pflegedienste.
Insgesamt haben die Experten der AOK Bayern in den Jahren 2014 und 2015 mehr als 5.000 Verdachtsfälle von Fehlverhalten im Gesundheitswesen bearbeitet – darunter gut 3.000 Neufälle und 2.100 Bestandsfälle. Mehr als 3.400 Fälle konnten im Berichtszeitraum abgeschlossen werden. Bei knapp 400 Fällen hatte die AOK Bayern die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Über 1.320 der abgeschlossenen Fälle waren als Fehlverhalten einzustufen, rund 270 Fälle waren Abrechnungsfehler. Insgesamt gab es somit bei rund 60 Prozent der abgeschlossenen Fälle straf- oder zivil-/sozialrechtlichen Handlungsbedarf.
Der Gesamtschaden liegt bei 8,5 Millionen Euro. Rund 5,6 Millionen Euro konnte Bayerns größte Krankenkasse bisher erfolgreich zurückfordern. Seit Einrichtung der Fehlverhaltensstelle 2004 hat die AOK Bayern einen Gesamtschaden durch Betrug von über 60 Millionen Euro festgestellt. Über 40 Millionen Euro konnten zurück geholt werden.
Positiv sieht Dr. Helmut Platzer, Vorstandsvorsitzender der AOK Bayern, die neuen bayerischen Schwerpunktstaatsanwaltschaften Betrug im Gesundheitswesen. „Wir erleben einen konstruktiven Austausch.“ Platzer begrüßt auch die Ausweitung der Zuständigkeit dieser Staatsanwaltschaften auf alle Berufsfelder im Gesundheitswesen. „Wir freuen uns, dass die Bayerische Staatsregierung unsere Vorschläge aufgegriffen hat. Dadurch wird die Bekämpfung von Fehlverhalten effektiver – und auch die abschreckende Wirkung verstärkt.“
Aus der täglichen Ermittlungsarbeit berichtet Dominik Schirmer, Beauftragter zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen bei der AOK Bayern: „Die Betrüger gehen nicht nur dreist und unanständig vor. Sie werden auch immer professioneller.“ Gezielt würden betrügerische Pflegedienste elektronische Abrechnungsprogramme für ihre Betrugsmaschen einsetzen, so Schirmer. „Uns gegenüber rechnen sie dann aber – und das ist in der Pflege leider Standard – auf Papier ab.“ Schirmer fordert daher digitale und manipulationssichere Abrechnungssysteme in der Pflege. Im Kampf gegen Betrug im Gesundheitswesen setzt die AOK Bayern auf intelligente Softwareprogramme. „Künftig wollen wir Data Mining einsetzen, um die Abrechnungen von Leistungserbringern auf Betrugsmuster digital zu überprüfen“, sagt Schirmer. (sb)
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