Bald Todesursachen Nummer Zwei!
Noch immer werden Depressionen gesellschaftlich tabuisiert und vor allem unterschätzt. Dabei können die Folgen für Betroffene massive Auswirkungen haben. Auch die Zahl der klinischen Patienten schnellt seit Jahren in die Höhe. Nach Berechnungen der World Health Organization (WHO) leiden weltweit rund 350 Millionen Menschen an dem psychische Leiden. Allein 4 Millionen Menschen sind in Deutschland betroffen. Depressionen bleiben Außenstehenden oft verschlossen. Das liegt im Wesen der Krankheit: Erstens fühlen sich alle Menschen von Zeit zu Zeit bedrückt, sehen ihre Umwelt durch eine dunkle Brille und sagen „ich bin depressiv“ und halten depressiv Erkrankte lediglich für Menschen, die sich „schlecht fühlen“.
Der Rückzug der Kranken
Zweitens wird die Krankheit umso unsichtbarer, je mehr sie sich verschlimmert. Depressive empfinden sich als Last für ihre Umwelt. Sie finden keinen Sinn im Leben, bei chronischen Depressionen verlieren sie die Hoffnung und nicht wenige bringen sich um. Sie isolieren sich total von der Außenwelt.
So merkwürdig es klingt: Dass ein Depressiver in einer gefährlichen Phase steckt, merken seine Freunde nicht daran, dass er ihnen gegenüber ausfallend wird, sondern daran, dass er „verschwindet“: Er meldet sich nicht, geht nicht ans Telefon, in seiner Wohnung brennt kein Licht.
Todesgefahr bei Depressionen
Klinische Depressionen nicht ernst zu nehmen, kann tödliche Folgen haben. Außenstehende denken, den Betroffenen ginge es wie ihnen selbst. Sie hätten „schlechte Laune“, weil nicht alles klappt im Leben.
Doch die Kranken verlieren nicht nur die Lust am, sondern auch den Willen zu leben. Die WHO schätzt, dass Suizid und Freitod wegen Depressionen 2020 die zweithäufigste Todesursache auf der Welt sein wird.
Jeder zehnte tötet sich selbst
Deutlich wird die Gefahr an dem Anteil der Selbsttötungen unter den Depressiven: Circa 15 % der Menschen mit schweren Depressionen nehmen sich das Leben. Jeder zweite begeht mindestens einmal im Leben einen Selbstmordversuch.
Depressionen: Eine häufige Krankheit
Jeder 20. zwischen 18 und 65 in Deutschland ist an einer Depression so erkrankt, dass er oder sie sich in Behandlung befindet. Das sind 3,1 Millionen Menschen. Dazu kommen die nicht Erfassten, die sich nicht in Behandlung begeben, und die Älteren wie Jüngeren, die ebenfalls an der Krankheit leiden.
Kein subjektives Empfinden
Laien machen oft den Fehler, Depressionen für ein subjektives Empfinden der Betroffenen zu halten. Die Krankheit wirkt sich aber objektiv auf den Organismus aus: Depressive Störungen zeigen sich im Unterschied zu normaler Unlust zuerst durch körperliche Beschwerden auf. Dazu gehört fehlendes sexuelles Interesse, Schlaflosigkeit und mangelnder Appetit.
Dazu zählen aber auch starke Schmerzen im Magen-Darm-Bereich, Schwindel und chronische Erschöpfung.
Verwechslungsgefahr
Depressive Erkrankungen im klinischen Bereich lassen sich also in zweierlei Hinsicht verwechseln. Zum einen sehen sowohl Betroffene wie Außenstehende die körperlichen Symptome und vermuten andere Ursachen als eine Depression: Eisenmangel, Vitamin-D-Mangel oder grippale Infekte zeigen sich bisweilen ähnlich.
Zum anderen aber sehen sie die psychischen Probleme als Folge der körperlichen Symptome: Schlafmangel führt demnach zu Niedergeschlagenheit, Pessimismus kommt aus chronischer Erschöpfung oder Unlust aus fehlendem Essen.
Der Kranke selbst ist leider in seiner Hoffnungslosigkeit der letzte, der artikulieren könnte, was Ursache, was Wirkung ist.
Traurig ohne Grund
Wie können Außenstehende Depressionen erkennen?
Depressionen zeigen sich als Trauer ohne erkennbaren Auslöser, was die Betroffenen oft betonen. Wenn ich trauere, weil mein Freund mich verlassen hat oder meine Mutter gestorben ist, bin ich nicht depressiv.
Wenn ich aber selbst sage, ohne zu heucheln, dass ich an sich mit meiner Umwelt und meinen sozialen Beziehungen zufrieden bin, aber zugleich in tiefste Verzweiflung falle, bin ich es.
Wenn ich zwei Nächte hintereinander betrunken auf Parties war und nicht schaffe, morgens aufzustehen, es mir dabei auch psychisch schlecht geht, habe ich einen Kater. Depressiv bin ich hingegen, wenn ich morgens nicht aufstehen kann, mich wie gelähmt fühle, ohne meinen Teil dazu beigetragen zu haben.
Weinen, ohne zu wissen warum, die einfachsten Aufgaben nicht glauben bewältigen zu können, das Gefühl zu haben, ein Eisklotz laste auf der Brust, die Angst, aus dem Haus zu gehen – all das kennzeichnet eine Depression.
Was sind die Krankheitsbeschleuniger?
Depressionen treiben nicht nur in den Suizid, sie verschlechtern auch insgesamt die Gesundheit: Schlafmangel, Unterernährung und mangelnde Bewegung nagen am Organismus.
Andere Krankheiten verschlimmern sich durch die gleichzeitige Depression. Während positive Suggestionen psychosomatische Heilungen begünstigen, bedeutet eine Depression das Gegenteil: Diabetes mellitus und der Zustand nach Herzinfarkten verlaufen viel ungünstiger, wenn die Betroffenen an Depressionen leiden.
Das ist die Behandlung
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Depressionshilfe Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl bezeichnet Depressionen als „häufige, schwere, aber gut behandelbare Erkrankung“.
Eine Entwarnung gibt er nicht: „Die Lebenserwartung ist um zehn Jahre reduziert und der Leidensdruck ist höher als bei fast allen anderen Erkrankungen. Es ist eine häufige, schwere, meistens rezidivierend verlaufende Erkrankung.“
Zugleich beklagt er Wissensdefizite, vor allem bei Arbeitgebern. Erkrankten rät er, während ihrer depressiven Phasen keine Entscheidungen zu fällen.
Keine Trauer
Hegerl grenzt Depression scharf von Trauer ab. Trauer ist nämlich ein starkes Gefühl. Bei einer Depression hingegen „können die Erkrankten nicht nur keine Freude, sondern gar keine Gefühle mehr wahrnehmen, auch keine Trauer. Der Fachausdruck ist „Gefühl der Gefühllosigkeit“. Die Menschen fühlen sich innerlich wie versteinert. Hinzu kommt ein permanentes Gefühl der Erschöpfung und der inneren Anspannung, vergleichbar mit dem Gefühl vor einer Prüfung.“
Depressive Veranlagung?
Der Experte warnt davor, äußeren Anlässen eine zu große Bedeutung beizumessen:“Entscheidend ist eine Veranlagung, genetisch bedingt oder auch durch Traumatisierungen und Missbrauchserlebnisse in frühen Lebensabschnitten hervorgerufen. Wenn diese Veranlagung ausgeprägt ist, reichen schon geringe Anlässe – etwas Frust, eine kleine Überforderungssituation, um in eine Depression hinein zurutschen. Oft lassen sich aber auch gar keine konkreten Auslöser erkennen.“
Das gilt auch für den Mythos Winterdepressionen: Jahreszeit ohne Einfluss auf Depressionen gilt auch umgekehrt. Menschen in depressiven Phasen sind bei Sonnenschein nicht fröhlicher als im Novembernebel.
Indessen können durch Traumatisierungen hervorgerufene Erkrankungen mit schweren Depressionen einher gehen. Dazu zählen zum Beispiel das die Posttraumatische Belastungsstörung oder Borderline.
Die unterschätzte Krankheit
Klinische Depressionen sind nicht nur eine der häufigsten psychischen Krankheiten mit schweren körperlichen Folgen, sondern auch die am meisten unterschätzte. In Deutschland liegt das zum einen an einem sehr „deutschen“ Umgang mit dem Problem: Depressive gelten schnell als „Weicheier“, die „einen Tritt in den Hintern brauchen“, was ihr Leiden massiv verschlimmert.
Zweitens gilt oft das Verhalten von Selbstmördern als Auslöser für den Suizid, nicht aber eine klinische Depression als Ursache dieses Verhaltens: Wer keine Arbeit hat und keine sozialen Kontakte, wer Drogen nimmt oder dem Alkohol verfällt, gilt dann als jemand, der keinen Ausweg mehr sieht, weil er keine Perspektiven hat. Wenn aber der Grund für diese äußere Perspektivlosigkeit die Depression war, wird das oft nicht erkannt. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.