Schlafmangel führt zu molekularen Veränderungen in unserem Gehirn
Schlafmangel wird mit einer Vielzahl gesundheitlicher Beschwerden in Zusammenhang gebracht, doch bieten sich auch therapeutische Einsatzmöglichkeiten des Schlafentzugs. Die Basis hierfür bilden Veränderungen im Gehirn, die beim Schlafentzug auftreten. Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich haben in einer aktuellen Studie gemeinsam mit Forschern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gezeigt, welche molekularen Veränderungen im menschlichen Gehirn durch ungewöhnlich lange Wachphasen hervorgerufen werden. Ihre Ergebnisse haben die Forscher in dem Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht.
Schlafstörungen sind ein weit verbreitetes Problem, vom dem sich hierzulande laut einer kürzlich veröffentlichte Studie der DAK rund 80 Prozent der Arbeitnehmer betroffen fühlen. Die Folgen des Schlafmangels können weitreichend sein. So gilt ein Zusammenhang mit Diabetes, Herzinfarkten und Schlaganfällen als erwiesen. Schlafentzug ist allerdings laut Aussage des Forscherteams aus Jülich auch „ein schnell, aber nur kurzzeitig wirksames Mittel gegen Depressionen.“ Die Wirkung beruht hierbei vermutlich auf den molekularen Veränderungen im Gehirn. Diese haben die Wissenschaftler in ihrer aktuellen Studie daher eingehend untersucht.
Schlafmangel mit unterschiedlicher Wirkung auf die Leistungsfähigkeit
Für die Studie mussten 15 gesunde männliche Probanden zunächst 52 Stunden am Stück wach bleiben und wurden dann im Jülicher PET-Zentrum vermessen. Im Anschluss folgte eine Übermittlung in das DLR, wo die Teilnehmer 14 Stunden lang unter Überwachung ausschlafen konnten, so die Mitteilung des Forschungszentrums Jülich. Während der Wachzeit absolvierten die Probanden mehrere Leistungstests beispielsweise zur Reaktionszeit und zur Gedächtnisleistung. Denn Schlafmangel kann die Leistungsfähigkeit deutlich beeinträchtigen. In den Tests zeigte sich, dass manche Teilnehmer infolge des Schlafmangels „extreme, teilweise sekundenlange Aussetzer“ hatten, während bei anderen kaum ein Leistungsabfall feststellbar war. Letztere könnten dank ihrer Veranlagung Vorteile in Berufen haben, in denen Menschen regelmäßig unter Schlafmangel fehlerfreie Leistungen abliefern müssen, schreiben die Forscher.
Schlafentzug erhöht die Zahl der verfügbaren A1-Adenosinrezeptoren
Die Messung der Veränderungen im Gehirn erfolgte mittels einer sogenannten Positronen-Emissions-Tomografie (PET). Dabei wurde deutlich, „dass sich durch den Schlafentzug die Zahl der verfügbaren A1-Adenosinrezeptoren erhöht“, berichtet Studienleiter PD Dr. David Elmenhorst vom Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-2). Durch den anschließenden Erholungsschlaf habe sich die Zahl der verfügbaren Rezeptoren allerdings wieder auf das Ausgangsniveau normalisiert. Die A1-Adenosinrezeptoren übernehmen laut Aussage der Forscher wichtige Funktionen in Bezug auf den Schlafdrang, der bei zunehmendem Schlafentzug immer stärker wird.
Regulation des Schlafdrangs
Die Rezeptoren sind als eine Art Empfänger in die Zellwand eingebaut, so dass der Botenstoff Adenosin andocken kann, dessen Signal die Rezeptoren in das Zellinnere weiterleiten. Durch dieses werden die Zellen in ihrer Aktivität heruntergefahren. Galt früher vor allem die Konzentration des Adenosins als maßgeblich für den einsetzenden Schlafdrang bei langen Wachphasen, so sind Forscher heute eher der Ansicht, dass auch die A1-Rezeptoren hier eine Rolle spielen. Denn die Adenosin-Konzentration schwanke praktisch im Sekundentakt, während sich die Anzahl der freien Rezeptoren viel langsamer ändere und damit besser für eine Art „Schlafgedächtnis“ geeignet scheine, berichten die Wissenschaftler.
Starker Anstieg der Rezeptor-Verfügbarkeit bei „resistenten“ Probanden
Bei den Probanden, die wenig anfällig auf den 52-stündigen Schlafentzug reagierten, zeigten sich deutliche Abweichungen in der Verfügbarkeit von A1-Adenosinrezeptoren gegenüber den Studienteilnehmern, die bei den Leistungstest erhebliche Schwächen aufwiesen. „Erstaunlicherweise konnten wir gerade bei dieser scheinbar resistenten Gruppe von Probanden keinen konstanten Wert, sondern eine besonders starke Erhöhung der A1-Rezeptor-Verfügbarkeit feststellen“, betont Studienautor Dr. Elmenhorst. Die Probanden mit einem starken Anstieg der Rezeptor-Verfügbarkeit seien widerstandsfähiger gegenüber den Leistungseinbußen und erfolgreicher in den Tests. Allerdings könne dieser erhöhte Wert nicht mit einer außergewöhnlich hohen Konzentration von Rezeptor-Molekülen gleichgesetzt werden, da die PET-Messung nur den Nettowert – also die freien Rezeptor-Moleküle – erfasse, erläutern die Forscher.
Geringe Adenosin-Ausschüttung Ursache für hohe Rezeptor-Verfügbarkeit?
Lediglich die Rezeptoren, die nicht blockiert und zum Messzeitpunkt verfügbar waren, konnten mittels PET-Messung erfasst werden. Die Konzentration der Rezeptor-Moleküle spiele hier jedoch vermutlich eine untergeordnete Rolle. „Unsere These ist, dass die Probanden, bei denen wir eine besonders hohe A1-Rezeptor-Verfügbarkeit gemessen haben, relativ wenig Adenosin produzieren und so auch weniger die Aktivität der Zellen hemmen“, erläutert Dr. Elmenhorst. Die Rezeptoren werden laut Aussage der Forscher auch mit der Wirkung von Koffein in Zusammenhang gebracht. Der Wirkstoff lagere sich an komplexe Eiweißmoleküle an und blockiere diese. Daher mussten die Probanden in der Versuchsreihe auf Kaffee und andere Wachmacher verzichten.
Therapeutische Anwendungsmöglichkeiten bei Depressionen
Den Angaben der Forscher zufolge sind die aktuellen Studienergebnisse auch für die klinische Medizin von Bedeutung. Denn Schlafentzug bilde ein schnell, aber nur kurzzeitig wirksames Mittel gegen Depressionen. Hier gebe „es viele Bestrebungen, die therapeutische Wirkung des Schlafentzugs bei der Behandlung von Depression zu verlängern.“ Bisher bestehe dabei allerdings das Problem, dass einmaliges Schlafen häufig schon ausreiche, um in den depressiven Zustand zurückzufallen, so Dr. Elmenhorst. Hier könne ein „besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen Stimmungslage und Adenosinregulation dazu beitragen, das Design von Wachtherapien zu optimieren“, so das Fazit des Studienleiters. (fp)
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